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Ausgabe:

1986

Spalte:

234

Kategorie:

Liturgiewissenschaft, Kirchenmusik

Titel/Untertitel:

Vom Wort zum Leben 1986

Rezensent:

Bräuer, Siegfried

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Seite 1

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233

Theologische Literaturzeitung III. Jahrgang 1986 Nr. 3

234

Regression" vom Betreten des bergenden Kirchenraumes an bis zum
Ansprechen des „Urvertrauens" als Erinnerungsprozeß wichtig.

Im Gebets- und Lesungsteil der Messe sind ihm „Darstellung und
Integration in die Communio Sanctorum" (83) entscheidend. Dem
entsprechen tiefenpsychologisch die kollektiven und identifikatori-
schen Prozesse, in denen sich Wiederholen ereignet.

Credo und Predigt realisieren spirituell Nachfolge und Gemeinschaft
. Tiefenpsychologisch ist relevant das Angebot der Identitätsfin-
dung, das „Durcharbeiten" und die „kognitive Deutung" (83).

In der Eucharistie schließlich erscheint in der Realpräsenz das
„Eschaton in der Immanenz" (83). Tiefenpsychologisch gesehen wird
hier der Weg „von der Realität zur Wirklichkeit" transzendierend
beschritten. Ganzheit wird erfahrbare Wirklichkeit.

Die Überraschung in diesem Hauptteil des Buches besteht darin,
daß der psychoanalytische Prozeß mit seinem „Dreischritt Erinnern
- Wiederholen - Durcharbeiten" (69) als verborgenes Grundgeschehen
des Gottesdienstes herausgearbeitet wird. An alle Gestalter neuer
Liturgien appelliert Thilo mit der Bitte, diesen Dreischritt zu beachten
. Im Blick auf das Stundengebet erläutert er, wie wichtig Erinnern
und Wiederholen in regelmäßigen Abständen sei, gerade „um das
Neue bearbeiten und integrieren zu können" (98). Meditation stellt
Thilo mit Otto Haendler als „methodische Ausübung eines ohnehin
natürlichen Verhaltens" vor(l 12). Er warnt vor Überschätzung und
Kurpfuscherei - und zeigt an den Symbolen des Weges und der
umfriedeten Zufluchtsstätte den therapeutischen Erfahrungsreichtum
der Psalmengebete. Mit der Untersuchung der therapeutischen
Aspekte kirchlicher Amtshandlungen führt der Vf. die Überlegungen
seiner früheren Arbeiten „Beratende Seelsorge" und „Ehe ohne
Norm?" weiter.

Der dritte Themenkomplex schließlich befaßt sich mit den Funktionsträgern
von Heil und Heilung im kultischen Geschehen, „die das
Bild des Menschen von jeher geprägt und seine Menschwerdung gefördert
haben. Es geht dem Lehrer ähnlich, dem Richter, dem Arzt, jenen
Archetypen der Menschheitsgeschichte, die es von Anfang an gegeben
hat" (152). Thilo untersucht zuerst das Schamanentum als „Gattung
geistlicher Therapiegestalten" und „eine der Wurzeln für das Wesen
priesterlicher Existenz" (159). Pricstertum, in allen Hochreligionen
mit Ausnahme des Islam zu finden, „hat sich verstanden und versteht
sich noch heute als heilende, weil zusammenfügende Kraft". Priester
bzw. Priestcrin heilt durch Segnen, Opfern, Vergeben „die Welt, indem
er den Riß zwischen Wirklichkeit und Realität durch sein Handeln
überbrückt" (168). '

Im Abschnitt über das Berufsbild des evangelischen Pfarrers
(169-184) versucht Thilo, verschiedene Elemente zu differenzieren:
(1) Elemente des Prophetischen - mit den Gefahren natürlicher Theologie
und des Sadismus und Masochismus; (2) Elemente des Rabbi-
uertums- mit den Versuchungen des Narzißmus, und (3) die des Priesterlichen
- mit den Gefahren der Zwanghaftigkeit und der Depressivität
.

In einem zweiteiligen Anhang (187-216) findet sich die Liturgie
einer christlichen Seder-Feicr mit Erläuterungen und ein „Fragebogen
zum Problem der non-verbalen Kommunikation im Gottesdienst"
mit Auswertung und Kommentar. Literatur- und Personenregister
beschließen den Band.

Der spannende Versuch, den Hans-Joachim Thilo unternommen
hat, die dialektische Simultaneität von Heil - Heilung, Regression -
Progression, contemplatio - actio, „simul justus et peccator" am gottesdienstlichen
Geschehen aufzuzeigen, hat mich einerseits fasziniert
. Brillant formulierte Prozeß- und Trendanalysen, überraschendes
Aufzeigen von unvermuteten Zusammenhängen, Praktizieren
seines Postulates von der Ganzheitlichkeit - und liebevoll erfahrungsreiche
Urteile habe ich dankbar aufgenommen. Andererseits hat
mich gestört, daß ich mich durch kaum gebändigte Stoffmassen,
ablenkende Seitengedanken und manchen schnell hingeworfenen
Einfall durchschlagen mußte. Außerdem haben mich die vielen
Druckfehler geärgert.

Zwei Fragen zum Schluß: Muß man zwischen therapeutischer
Funktion und therapeutischer Wirkung des Gottesdienstes nicht noch
unterscheiden? Kann man von therapeutischer Funktion des Gottesdienstes
sprechen, ohne der Musik zu gedenken?

Wittenberg Hansjürgen Schulz

Vom Wort zum Leben. Elemente zur Feier des Sonntags- Lesejahr A.
Hrsg. von A. Albrecht, O. Fuchs, M. Limbeck. 1: Bereit sein für
Gottes Advent, l.bis 4. Adventssonntag; 86 S. 2: Auf! Werdet
Licht! - Schaut nicht so finster drein! Weihnachten bis Taufe des
Herrn (alttestamentliche Lesungen). 122 S. 3: Sich binden an Jesus
befreit. 2. Sonntag bis 8. Sonntag im Jahreskreis. 112 S.4: Bekehren
zu dem, der Leben gibt. Aschermittwoch bis 5. Fastensonntag.
96 S. 9: Signale für die Gemeinde. 22. Sonntag bis 28. Sonntag im
Jahreskreis. 124 S. 10: Ungeteilter Dienst. 29. Sonntag bis
34. Sonntag im Jahreskreis. 120 S. Stuttgart: Kath. Bibelwerk
1980/81. 8". je DM 13.80.

Die neue römisch-katholische Reihe zur Gestaltung von Gottesdiensten
ist aus der Gemeinde- und Schulpraxis entstanden und für sie
bestimmt (für die Verwendung als Ringbuch angelegt). Auch unter
den Mitarbeitern dominieren die Praktiker. Eine Einführung in das
Projekt fehlt, wird aber durch die klare Anlage der Hefte sicher kaum
vermißt. Der I.Teil, Verkündigung, besteht jeweils aus einer
knappen thematischen Einleitung und kurzen, bereits auf die homiletische
Aufgabe abzielende Auslegungen zu den Perikopen und
Predigten, häufig noch ergänzt durch Schülerpredigten. Im 2. Teil,
Gottesdienst, folgen Entwürfe mit ausgeführten liturgischen Stücken
für den Gottesdienstverlauf (Begrüßung und Einführung. Kyrie-Ruf.
Antwortgesang, Fürbitten, Präfation, Friedenswunsch, Mahleinladung
, Danksagung, Segensbitte) sowie besonderen Gottesdiensten
(Gottesdienst ohne Priester, Familiengottesdienst, Jugendgottesdienst
). Vielgestaltig ist der 3. Teil, Materialien, angelegt. Voran stehen
stets Texte aus der Gegenwart sowie am Schluß Fürbitten für die
Hand des Lektors. Dazwischen gefügt sind, je nach der Kirchenjahresthematik
, Texte, Entwürfe oder ausgeführte Gestaltungen von
Feiern, Seminaren,aberauch Beerdigungsansprachen.

In den liturgischen Formulierungen fallt das Bemühen um eine
klare, verständliche Sprache auf. Allzu aktuelle Anklänge und damit
auch die Gefahr der Verflachung werden vermieden. Die Fürbittgebete
, aber auch andere Passagen erinnern in ihrer Sprachgebung
wohltuend an Alfred Schillings bewährte „Fürbitten und Kanongebete
der holländischen Kirche" (Essen 1968ff). Anspruchsvoll ist
die Auswahl im Abschnitt „Texte der Gegenwart", Gedichte und
Prosastücke aus dem Werk von Autoren, deren Namen in interessierten
kirchlichen Kreisen geläufig sind, von Rose Ausländer bis Eva
Zeller. Gleiches gilt für die Texte aus der Gemeindeliteratur (u. a.
Roger Schutz, Martin Luther King) und dem theologischen Schrifttum
der Gegenwart (z. B. Edward Schillebeeckx, Dorothee Solle, Jürgen
Moltmann). Die meist relativ kurzen Predigten sind wohl vorwiegend
als Lesepredigten gedacht. Sie vermeiden nahezu durchweg das
allzu ausgewaschene traditionelle homiletische Vokabular. Wirklich
tieferlotende und eindrückliche Textauslegungen sind allerdings
ebenfalls selten.

Selbstredend basiert die Reihe auf der liturgischen Tradition der
röm.-kath. Kirche, sie atmet aber ökumenischen Geist und ist einschlägigen
evangelischen Veröffentlichungen in vielem vergleichbar,
vor allem in der starken Akzentuierung der Verkündigung, die schon
im Titel ihren Ausdruck findet. Evangelische Pfarrer können diesen
Heften mit Elementen zur Feier des Sonntags eine Fülle von praktischen
Anregungen entnehmen. Leider fehlt ein Verzeichnis der bearbeiteten
Perikopen.

Berlin Siegfried Bräuer