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Ausgabe:

1986

Spalte:

232-234

Kategorie:

Liturgiewissenschaft, Kirchenmusik

Autor/Hrsg.:

Thilo, Hans-Joachim

Titel/Untertitel:

Die therapeutische Funktion des Gottesdienstes 1986

Rezensent:

Schulz, Hansjürgen

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Theologische Literaturzeitung 111. Jahrgang 1986 Nr. 3

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sprachen, wo sich mein Vorurteil zu rühren beginnt, zumal das Buch
eine Reihe von Fremdwörtern aufFührt, die als neue Fachsprache von
Beratungsgeschulten auch im Umgang mit Gemeindegliedern - wo sie
bestimmt nicht hingehören! - gern gebraucht werden als Ausweis einer
besonderen Qualifizierung, bei der man sich vielleicht nicht
immer sicher ist, ob sie auch bemerkt wird, wenn man sie nicht ausdrücklich
und fremdartig bezeichnet. Ich nenne z. B. „Interaktion",
„Balintgruppe", „Ambivalenz", „Interaktionskette". Ich wage zu fragen
, ob nicht verständliche deutsche Ausdrücke auch der Sache zugute
kommen und sie vor dem Verdacht einer nur für Intellektuelle
geeigneten Sonderbehandlung schützen könnten. Damit verbindet
sich für mich eine Sachfrage: In der Art und Weise, wie Piper selbst in
den an die Gesprächsprotokolle anschließenden Gesprächsrunden
Supervision beschreibt, habe ich nicht den Eindruck, daß es sich
immer um „fachkundige" (127) Begleiter handeln müsse, was doch
wohl bedeutet: besonders ausgebildete. Vielmehr scheint mir das Geheimnis
der Hilfe an sich im Gespräch mit Kollegen und Freunden zu
liegen, d. h. wohl schon in dem Entschluß, sich zu offenbaren und mitzuteilen
, auch gerade in seinen Schwächen und Fehlern.

Ein paar andere Regeln, die ich mir aus den Gesprächsbeurteilungen
herausgeschrieben habe: Der erste Satz ist wichtig und muß
möglichst vorher überlegt sein (37f). Es gibt eine Spannung zwischen
Gesprächen, die mit Amtshandlungen zusammenhängen und Seelsorgegesprächen
. Es kann aber leicht „umschlagen", wobei immer die
Seelsorge den Vorrang hat, weil unter Umständen ihr „kairos" nicht
wiederkommt (41). Gemeindeglieder im Krankenhaus sollen möglichst
nicht nur vom Krankenhausseelsorger, sondern auch von ihrem
eigenen Pfarrer besucht werden. Geburtstagsbesuche sind wichtig!
Überforderung, wie sie zum Beispiel entsteht, wenn man eine Gemeinde
oder einen Gemeindeteil „durchbesuchen" will, „erstickt"
(112f). Und schließlich geht Piper auch darauf ein, daß die Ausbreitung
der „beratenden Seelsorge" ihren Anteil haben kann an der Vernachlässigung
der Hausbesuche, weil man sich vielleicht nur dann ein
wirkliches Gespräch erhofft, wenn der andere „kommt" und man
nicht, womöglich noch überraschend, hingehen muß (113).

Piper gibt jedem Kapitel, in dem ein Hausbesuch wiedergegeben
und besprochen wird, ein Bibelwort bei, das deutet und tröstet und vor
allem begreiflich macht, daß alle Besuche letztlich den gleichen
Absender haben, nämlich Gott selbst. In zwei Gesprächen kommt es
auch zum Gebet, und zwar nicht erst auf Anforderung, und auch dies
verdient festgehalten zu werden, weil viele Pfarrer der Meinung sind,
das Beten habe nur dann Sinn, wenn es verlangt werde.

Natürlich sind mit diesem Buch nicht alle Probleme gelöst. Und
vielleicht könnte es ein neues Problem hervorrufen, das ich wenigstens
andeuten möchte: ob nicht die Spontaneität ganz verloren gehen
könnte beim Besucher, wenn er zu sehr darauf bedacht ist, alles „richtig
" zu machen. In den in Pipers Buch wiedergegebenen „Fällen" wird
beileibe nicht alles richtig gemacht, das ist erfrischend. Aber es sind
Besuche im Rahmen einer Ausbildung, und mitunter schimmert die
Hoffnung durch, man könne eines Tages nicht erst nur hinterher, im
Nachgespräch, sondern vorher schon alles richtig machen - aber dann
könnten die Hausbesuche ihr Herz verlieren, ihre Lebendigkeit.
Zittau Dietrich Mendt

Schürmann, Heinz: Im Knechtsdienst Christi. Priesterliche Lebensform
. Freiburg-Basel-Wien: Herder 1985. 104. S. 8°. Kart.
DM 13,80.

Die der heutigen Situation und dem Neuen Testament gemäße priesterliche
Lebensform ist nach Schürmann ein pro-existenter Dienst in
einer eschatologisch-alternativen Lebensweise. Diözesan- und Weltpriester
haben „eine Affinität zu den evangelischen Räten, zum geistlichen
Räte-Zustand", der vom kanonischen Räte-Stand zu unterscheiden
ist. Die „Doulos-Existenz" erfordert eine pneumatisch gewirkte
und wirksame „Er-griffenheit", die zur geistlichen Hörigkeit,
zur armen Entäußerung und zur Ehelosigkeit bereit ist. Der geistliche

Gehorsam ist konstitutiv für die Doulos-Existenz, die Ehelosigkeit ist
konsekutiv und nur von der ganzheitlichen Doulos-Existenz her zu
verstehen. Die stark von Ignatius' Exerzitienbuch beeinflußten Ausführungen
sind „von der Erwartung getragen, daß die eschatologisch-
alternative Lebensweise in dem sich verabsolutierenden und damit
selbstzerstörerischen Säkularismus... als wirkmächtiges Zeichen"
bedeutsam sein könne.

E. W.

Praktische Theologie:
Liturgiewissenschaft

Thilo, Hans-Joachim: Die therapeutische Funktion des Gottesdienstes
. Kassel: Stauda 1985.222 S„ 1 Taf. gr. 8". Kart. DM 42,-.

Hans-Joachim Thilo, Theologe und Psychotherapeut, möchte mit
diesem Buch das Gespräch zwischen Theologie und Psychoanalyse
fordern und vertiefen. Er untersucht die Beziehungen zwischen F-Teil
und Heilung, zwischen Liturgie und Therapie.

Der erste Themenkomplex ist der der „Ganzheit". An den Spannungen
zwischen den Begriffen Realität und Wirklichkeit, Zeichen
und Symbol, Bios und Zoe, Empirie und Erfahrung versucht der Vf.
aufzuzeigen, wie vereinseitigt und behindert unser traditionelles
Denken ist. Realitäten „sind empirisch sichtbar, meßbar, erkenntnistheoretisch
einzuordnen und statistisch zu beweisen . . . Nur - Realitäten
sind zwar beweisbar, haben es aber auch nötig, bewiesen zu werden
, um ihren Wahrheitsgehalt zu deklarieren. Die Frage ist aber, ob
das die Ganzheit menschlicher Erfahrungen darstellt. . . Damit sind
wir bei dem Begriff .Wirklichkeit'. Ihm eignet als Charakteristikum,
daß er sich jeder empirischen Beweisbarkeit entzieht und das nicht
nur im Bereich der Transzendenz. Ich kann auch in der Immanenz
niemandem .beweisen', daß ich ihn liebe . . . Wenn nun zwar Liebe
nicht beweisbar ist, so ist sie doch als Wirklichkeit darstellbar und
.begreifbar'. Eben dieses ereignet sich im Symbol. Symbol hier zunächst
verstanden als sichtbare Wiedergabe dessen, was ich in mir und
an mir erlebt und erfahren habe. Leib, Seele und Geist sind hierfür die
Vermittler des Erfahrenen; sie stellen die Transzendenz des mir zuteil
gewordenen Erlebnisses dar. Das eben wollen wir im folgenden unter
Transzendenz verstehen: Das Leben in einem dauernden Wechsel
zwischen Realität UND Wirklichkeit. Nur in der Anerkennung der
Existenz innerhalb dieses Spannungsbogens findet Leben seinen
eigentlichen Sinn und seine Erfüllung" (14f).

Zweiter Themenkomplex ist der Kultus. Heiler und Erlöser gehören
„seit Jahrtausenden zu den religiösen Vorstellungen der Menschheit
". Was bringt Jesus Neues? „Christus ist... der, der total heilt.
Seine Aufgabe ist es, im Auftrage Gottes Geist, Leib und Seele zu
bewahren (IThess 5,23)" (46).

Angesichts der weltweit um sich greifenden religiösen Bewegungen
in und neben dem Christentum zeigt sich das „Vakuum der zur Zeit
herrschenden Theologie" (58). Diesem Vakuum muß mit interdisziplinärer
, ganzheitlicher Denkarbeit entgegengewirkt werden. Die
Einstellung zu den Religionen könnte und sollte sich dabei ändern:
nicht Abwehr, sondern „Ehrfurcht gegenüber dem Gott der Geschichte
, auch dem der Religionsgeschichte" (72).

Nachdem Thilo die Zusammenhänge zwischen Kult und Heilung
in Eleusis, Delphi und Epidaurus dargestellt hat, wendet er sich den
christlichen Liturgien zu. Er untersucht den (lutherischen) Meßgottesdienst
(80-97), das Stundengebet (97-109), die Meditation (109-122)
und auch die kirchlichen Amtshandlungen (122-143) auf ihre therapeutischen
Funktionen. Der Vf. prognostiziert, daß „die Zeichen auf
Wiederentdeckung der Wirklichkeit stehen und die liturgisch-therapeutische
Funktion des Gottesdienstes zunehmen wird" (81). Dann
deckt er Schritt für Schritt die tiefenpsychologische und theologische
Relevanz im Gottesdienstvollzug auf. In der Eingangsliturgie sieht Vf.
theologisch die Spannung Schöpfung - Fall, Deus revelatus - Deus
absconditus markiert. Tiefenpsychologisch ist ihm die „positive