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1986

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Systematische Theologie: Ethik

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Neuerscheinungen

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Theologische Literaturzeitung 111. Jahrgang 1986 Nr. 3

230

ständnis der Menschenwürde (die Orientierung an der freien Selbstverfügung
des Menschen als „Träger höchster geistiger und sittlicher
Werte", J. Reiter, S. 151, V. Eid, S. 166) hängt mit dem Grundansatz
der zu Worte kommenden Moraltheologen zusammen, die Vertreter
der im kath. Bereich sogenannten „autonomen Moral" sind. Dies
fuhrt dazu, daß kath. lehramtliche Äußerungen zwar u. a. erwähnt
werden (S. 153-156), daß sie dann aber im Sinne der autonomen
Moral teleologisch auf ihren Beitrag zur Förderung bzw. Bewahrung
„allgemeiner Humanität" (J. Reiter, S. 157,159) interpretiert werden.
Damit hängt einmal die Konzentration des ganzen Sammelbandes auf
die Anwendung der Biotechnik am Menschen zusammen, so daß die
Frage nach dem eigenständigen Daseinsrecht der Natur und dem
Naturschutz nur nebenbei und in Hinsicht auf das Eigeninteresse des
Menschen an der Qualität und Integrität seines Lebens in Blick
kommt (J. Reiter, S. 156; V. Eid, S. 165), und zum anderen, daß man
- ganz im Sinne teleologisch-utilitaristischen Denkens - Experimente
mit Embryonen (A. Elsässer, S. 181) oder gentechnologische Eingriffe
(J. Reiter, S. 157, 1590 für verantwortbar hält, wenn sie „entweder
der Grundlagenforschung oder der Verbesserung der conditio humana
oder auch eindeutig therapeutischer Zielsetzung dienen" (A. Elsässer,
S. 182; J. Reiter, S. 159f). Die Frage, ob der gute therapeutische
Zweck die ethisch problematischen Mittel (etwa Experimente mit
Embryonen) zu rechtfertigen vermag, und die Problematik der
Abgrenzung von Grundlagen- und anderer Forschung und von therapeutischen
und anderen Zielen wird nicht hinreichend reflektiert,
obgleich das von den Medizinern Dargelegte genügend Anlaß dazu
gegeben hätte.

Der Sammelband vermag dem Anspruch eines interdisziplinären
Gesprächs also nicht zu genügen, es sei denn, man verstehe darunter
die Zusammenstellung von Informationen verschiedener Wissenschaften
und überlasse die Integration und Aufarbeitung der ungeklärten
Fragen und der teils gegensätzlichen Aussagen dem Leser. Bei dieser
Kritik soll jedoch nicht verkannt werden, daß die Hgg. für die derzeit
aktuelle Diskussion Material an die Hand geben wollten, daß dieses
aktuelle Interesse Vorrang vor einem tiefergehenden interdisziplinären
Gespräch hatte, das längere Vorbereitung erfordert hätte. So
bietet der Sammelband vor allem viel Information zur weiteren Diskussion
der Probleme.

Bonn Ulrich Eibach

Der ethische Kompromiß, hg. von Helmut Weber. Freiburg/Schweiz: Uni-
versitätsvcrlag; Freiburg-Wien: Herder 1984. Weber, Helmut: Zur Einführung
(7-14)- Lohfink, Gerhard: Gesetzeserfüllung und Nachfolge. Zur Radikalität
des Ethischen im Matthäusevangelium (15-58) - Eid, Volker: Die gestörte
Kommunikation über das Ethische. Fakten und Hintergründe (59-76) -
Breuning, Wilhelm: Konscnsbildung in der kirchlichen Gemeinschaft (77-112)
- Mieth. Dietmar: Christliche Überzeugung und gesellschaftlicher Kompromiß
(113-146).

Gnuse. Robert: You Shall not Steal. Community and Propcrty in the Biblical
Tradition. Maryknoll, N. Y.: Orbis Books 1985. IX, 162 S. gr. 8-.

Cöggclmann. Waller: Evangelische Ethik zwischen sozialer Frage und Nationalstaat
(Diss. theol. Tübingen 1984).

Heyl. Cornelius von: Friedliche Lösung von Konflikten (EvKomm 18, 1985,
584-586).

Honecker, Martin: Verantwortung am Lebensbeginn. Ethische Gesichts-
Punkte zur Gentechnik (EvKomm 18,1985.383-387).

Krämer, Hans: Aktive Euthanasie-christlich?(StZ 110,1985,673-680).

Lohse, Eduard: Friedensantrag der Kirchen (EvKomm 18, 1985,
558-562).

Mieth, Dietmar: Arbeit und Menschenwürde. Freiburg-Basel-Wien: Herder
1985. I20S.87 Kart. DM 12,80.

Ortkemper. Franz-Josef: Als Christ leben. Denkanstöße aus der paulinischen
Ethik(BiKi 40,1985,125-132).

Veikkola. Juhani: Arbeit und Ruhe. Fragen und Perspektiven aus biblischer
Sicht (Diakonie 11,1985,326-333).

Witschen, Dieter: Das Prinzip der Gerechtigkeit - ein deontologisches Prin-
zip?(ThGI 75,1985,248-269).

Zilleßen, Dietrich: Ethische und theologische Grundlagcnproblemc der Gentechnologie
(EvErz 37,1985,384-390).

Praktische Theologie: Allgemeines

Piper, Hans-Christoph: Der Hausbesuch des Pfarrers. Hilfen für die
Praxis. Mit einem Beitrag von E. Olszowi. Göttingen: Vanden-
hoeck & Ruprecht 1985. 161 S. 87 Kart. DM 22.80.

Die Besprechung dieses Buches hat für mich einen besonderen
Akzent: Ich habe Vorbehalte gegen die Rolle, die alle Beratungsarbeit
und CPT in unserer Kirche zu spielen beginnen, ich habe aber überhaupt
keine Vorbehalte gegen den Verfasser, den ich kenne und persönlich
wie in seiner Arbeit schätze. Nun legt gerade er ein Buch vor,
das auf dem Büchermarkt eine ausgesprochene Lücke füllt und einen
Engpaß in der kirchlichen Arbeit zu behandeln versucht. Meine beiden
Voraussetzungen machten die Lektüre von vornherein reizvoller
als die mancher anderen theologischen Werke, deren Thematik fern
von der Gemeindepraxis liegt. Und sie haben vielleicht auch geholfen,
daß es eine ausgesprochen lohnende Lektüre geworden ist.

Folgende Fragen bewegen und bewegten mich im Blick auf den
Hausbesuch des Pfarrers:

Wie kann ich überhaupt Besuche machen, ohne daß ich mich von
vornherein verrückt machen lasse durch die Fülle der Anforderungen,
denen ich ja doch nie gerecht werden kann?

Wie ist es beim Hausbesuch mit dem Gebet und mit dem biblischen
Bezug, ich meine, mit dem direkten Einbringen der Bibel in das
Gespräch? Wann soll ich beten und wann nicht? Haben die recht, die
der Meinung sind, es müsse immer gebetet werden oder die, die das
Beten bei solchen Besuchen als Vergewaltigung überhaupt ablehnen
?

Welches Ziel haben die Besuche? Gelten sie der Mission, der Seel-
sorge, dem bloßen Kontakt, einem bestimmten Anlaß?

Ich halte aus vielen Gesprächen mit Pfarrern heraus diese Fragen
für allgemeingültig, und Piper gibt hilfreiche Antworten, auf die ich
noch eingehen möchte.

Das Buch beginnt mit dem Protokoll eines „Rundgespräches unter
Kollegen" über „Chancen und Grenzen des Hausbesuches", das auf
lockere und unakademische, sprich verständliche Weise in den Sachstand
einführt. Dann folgen dreizehn Besuchsprotokolle mit je einer
anschließenden Reflexion in einer Gruppe. Eine „Ermutigung zum
Hausbesuch. Pastoraltheologische Erwägungen" schließt den Teil des
Buches, der von Piper verfaßt ist. Es folgt noch eine ausführliche Betrachtung
des „Supervisionsmodells" durch Eleonore Olszowi, eine
Soziologin, die noch zwei Fragebogenmodelle zur Auswertung
anfügt.

Das Buch halte ich zunächst einmal für eine Entlastung des Pfarrers
im Dienst. Natürlich gibt es ihm keine Freiheit, keine Besuche zu
machen. Im Gegenteil. Es spricht die Not an, die darin besteht, daß in
der Regel wenig Besuche gemacht werden, weil der Pfarrer im Besuch
aus dem Schutz seiner Institution heraustreten muß, und „im seelsorgerlichen
Gespräch überläßt der Pastor seinem Gemeindeglied den
Vortritt". (117) Er hat keinen Talar an, kein Predigtkonzept, kein
Lektionar, keine Agende (116), „er geht in eine offene Situation ohne
die ihm vertrauten Sicherheiten hinein" (116). Aber gerade deshalb
müssen Besuche sein, denn „die Kirche des Wortes ist zugleich die
Kirche des Zuhörens" (11). Aber er soll nicht denken, er müsse alle
fälligen Besuche machen. Er soll sich eine Gruppe heraussuchen, die
ihm liegt, Ältere oder Jüngere, Konfirmandeneltern oder Gemeindeglieder
, zu denen man aus einem bestimmten Anlaß gehen muß wegen
einer Taufe, eines Todesfalles, der Kirchensteuern u. ä. Es kommt
darauf an, daß Besuche gemacht werden und nicht, daß alle Besuche
gemacht werden, die nötig sind. Man soll allerdings, wenn man sich
eine bestimmte Gruppe herausgesucht hat, nach einer bestimmten
Zeit „oder von heute auf morgen" (122) wechseln. In diesen Zusammenhängen
gibt Piper eine ganze Reihe von praktischen Ratschlägen,
u. a. „Anlässe suchen", „mit anderen zusammenarbeiten", „Schwerpunkte
setzen", „Grenzen wahrnehmen", „Gespräche strukturieren"
(121 ff). Natürlich wird hier auch die berühmte „Supervision" ange-