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1986

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Systematische Theologie: Dogmatik

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Theologische Literaturzeitung III. Jahrgang 1986 Nr. 3

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genannt. Diese Dogmatik gewinnt ihr Profil nicht durch das beherzte
Gespräch mit den Lehrmeinurigen zur Linken und zur Rechten, sondern
durch den unerschütterlichen Willen zum Ausgleich. Randscharfe
Problembeschreibungen oder gar kantige und provozierende
Thesen sucht man in diesem Buch vergebens.

Das gilt nun auch für die ureigenste Domäne des Verfassers, für die
ökumenische Diskussion. Es verwundert, daß gerade in einer Ökumenischen
Dogmatik kaum ökumenische Texte genannt und eingehend
interpretiert werden. Wo die bedrängenden Probleme, Schwierigkeiten
und Aporien, aber auch die produktiven Möglichkeiten des ökumenischen
Dialogs liegen, das wird - obwohl der Vf. hier über reiche
Erfahrungen verfügt - nicht im Detail vorgeführt, sondern nur in
großräumigen Beschreibungen angedeutet. Die konkrete Situation
heutiger Ökumene bleibt schemenhaft, der Leser gewinnt keine klaren
Konturen von den erzielten Ergebnissen und den bleibenden Aufgaben
.

Es mag sein, daß sich das im Gewoge gegenwärtiger ökumenischer
Aktivitäten noch gar nicht leisten läßt. Schlinks Ökumenische Dogmatik
versucht erstmals in umsichtiger Bestandsaufnahme die Möglichkeiten
eines dogmatischen Konsensus zwischen den Kirchen auszuloten
. Das macht den Rang seines Buches aus. Aber mit der Orientierung
an dem gemeinsam gebliebenen Dogma ist noch nicht die
harte Wirklichkeit der Konfessionen berücksichtigt. An ihr bricht sich
jede Ökumenische Dogmatik, an ihr muß sie sich bewähren. Dazu
aber bedarf es noch einmal eines neuen Ansatzes.

Hamburg Hermann Fischer

Jüngel, Eberhard: Glaube und Demokratie (EvKomm 18, 1985,707-709).
Köcher, Renate: Die Schwierigkeit, in Freiheit zu leben (StZ 110, 1985,
661-672).

Moltmann, Jürgen [Hg.]: Annahme und Widerstand. Mit Beiträgen von H.-E.
Bahr, R. Eckertz, W.Lauf, L. Schottroff, K.Stock. München: Kaiser 1984.
119 S. 8- = Kaiser Traktate, 79. Kart. DM 14,-.

Peters, Albrecht: Zwischen Gesetz und Evangelium. Werner Eiert - ein
Versuch, ihn zu verstehen (LM 24, 1985, 553-557).

Plathow. Michael: Heiliger Geist - Hoffnung der Schwachen. Hannover:
Lutherhaus Verlag 1985. 75 S. 8". Kart. DM 16,80.

Sprondel, Gottfried: Die Legende vom religionslosen Zeitalter (LM 24, 1985,
557-561).

Welker, Michael: Erwartungssicherheit und Freiheit. Zur Neuformulierung
der Lehre vom Gesetz und Evangelium (EvKomm 18, 1985,680-683).

Systematische Theologie: Ethik

Reiter, Johannes, u. Ursel Theile [Hg.]: Genetik und Moral. Beiträge
zu einer Ethik des Ungeborenen. Mainz: Grünewald 1985.251 S. 8'
= Moraltheologie interdisziplinär.

Der Band ist erschienen in der Reihe „Moraltheologie interdisziplinär
" (hg. von V. Eid). Die Herausgeber J. Reiter (kath. Moraltheologe
in Mainz) und U. Theile (Humangenetikerin, Mainz) wollen mit den
zusammengestellten Aufsätzen informieren über die pränatale Diagnostik
genetisch bedingter Defekte, die extrakorporale Befruchtung
und die Gentechnologie. Die Darstellung der medizinischen Probleme
(S. 13-115, 199-239) nimmt gegenüber den ethischen Erörterungen
(S. 146-198) einen sehr breiten Raum ein. Darüber hinaus
werden juristische Aspekte (A. Eser) und rechtspolitische Perspektiven
(N. Binder) dargelegt. Ein ev. Ethiker kommt in dem Sammelband
nicht zu Wort, wenn man davon absieht, daß auf Arbeiten des
Rezensenten des öfteren wörtlich - teils ohne dies zu benennen
(S. 157)-Bezug genommen wird.

Die Hgg. sind der Meinung, daß ethische Probleme der Biotechnik
heute nur noch interdisziplinär behandelt werden können (S. 11). Das
Buch macht freilich deutlich, daß ein interdisziplinärer Dialog noch
nicht dadurch zustande kommt, daß „Wissenschaftler verschi'edener
Fachgebiete zu Wort kommen" (S. 11). Das ist kein spezifisches Problem
dieses Sammelbandes, doch wünschte man sich, daß die Beiträge

mehr aufeinander bezogen wären, daß deutlicher würde, wo in den
ausgedehnten medizinischen Darlegungen ethische Probleme sich
auftun. Dies ist für den Bereich der humangenetischen Beratung und
der vorgeburtlichen Diagnostik vor allem in den Ausführungen über
die Praxis der Beratung (S. 199-239, Artikel der Humangenetiker
U. Theile, U. Hillig, M. Stührenberg, E. Passarge) der Fall, ohne daß
die ethischen Implikationen hier hinlänglich herausgearbeitet sind.
Wenn U. Hillig das Ziel der humangenetischen Beratung wie folgt
beschreibt: „Es muß den Ratsuchenden dabei geholfen werden, die
jeweilige getroffene Entscheidung mit den uns heute zur Verfügung
stehenden medizinisch-diagnostischen und therapeutischen Methoden
bestmöglich zu verwirklichen" (S. 223), so wird der Wille der
betroffenen Frau bzw. Eltern zum alleinigen Maßstab des medizinischen
Handelns erklärt. Schon diese Entscheidung ist nicht ohne ethische
Problematik. Eine kritische Reflexion darüber, wie eine solche
„wertfreie" Beratung zwischen einem „medizinischen Fachmann"
und Ratsuchenden tatsächlich aussieht, wird nicht angestellt. Zwar
konstatiert U. Hillig (S. 224): „Eventuelle bevölkerungspolitische Erwägungen
mit dem Vorhaben, die allgemeine Gesundheit in der
Bevölkerung zu verbessern, haben bei der genetischen Beratung, wie
wir sie uns jetzt und für die Zukunft vorstellen, keinen Platz." Solchen
Bekenntnissen stehen aber widersprechende Aussagen anderer (auch
deutscher Humangenetiker) gegenüber, die nicht genannt werden. Der
Moraltheologe A. Auer hat zwar die Probleme der kindlichen Indikation
zum Schwangerschaftsabbruch aufgezeigt (S. 185-198), und er
meint durchaus nicht, daß das Urteil der Eltern allein ausschlaggebend
ist für eine kindliche Indikation (S. 194), doch werden andere,
von Humangenetikern angeschnittene Fragen, wie das Recht auf Zeugung
behinderter Kinder, die Problematik der Sterilisation (M. Stüh-
renberg/E. Passarge, 238) oder der Einführung von genetischen Tests
für Krankheiten, die therapierbar sind, wie die Phenylkctunorie
(T. M. Schroeder-Kurth, 105) und andere ethische Probleme genetischer
Beratung weder von A. Auer noch von den anderen Moraltheologen
erörtert. So bleiben viele der aus den medizinischen Darlegungen
sich ergebenden ethischen Fragen undiskutiert, denn die kindliche
Indi kation zum Schwangerschaftsabbruch ist nur ein Aspekt der genetischen
Beratung und vorgeburtlichen Diagnostik.

Es kann nicht ausbleiben, daß in einem Sammelband auch einander
widersprechende Aussagen stehen. So kommt der Mediziner und
Anthropologe E. Schleiermacher (S. 69-85) in der Frage nach dem
Beginn individuellen Lebens, die für die moralische Beurteilung etwa
von Experimenten mit Embryonen von entscheidender Bedeutung ist,
zu der eindeutigen Aussage, „daß das neue individuelle Leben mit der
Befruchtung der Eizelle beginnt. Die befruchtete Eizelle enthält alle
Qualitäten, zu denen der Keim sich später entwickeln kann" (84). Der
Moraltheologe A. Elsässer (S. 171-184) konstatiert aber, daß ,,hin:
sichtlich des Beginns menschlich personaler Individualität keine Eindeutigkeit
herrscht" (S. 180) und daß deshalb „ohne Zweifel schon
rein theoretisch eine absolute Unverfügbarkeit des Embryos während
der allerersten Entwicklungsstadien nicht mehr gewährleistet" sei
(S. 181). Er begründet dies u.a. damit, daß man von Individualität
nicht reden könne, solange sich die frühen Embryonalstadien noch
teilen und eineiige Zwillinge entstehen können (ein äußerst seltenes
Ereignis, 2 % aller Geburten). Hier kommt es zu einer problematischen
Vermischung der biologischen Kategorie von Individualität (die
durch die Neukombination des Erbmaterials begründet ist und in sich
die Fähigkeit zur Regulation und Integration der Teile zu einer umgrenzten
Ganzheit, also einem Organismus haben muß) mit einer
bestimmten philosophischen Definition (Boethius: persona est
substantia indivisa) und einem aristotelisch verstandenen Schichtenmodell
des Menschen. Daß dieses Problem überhaupt nicht erkannt
und diskutiert wird, hängt nicht zuletzt mit einem philosophischen
und weniger theologischen Verständnis von der Würde und dem Wert
des Menschseins und einem substanzhaften Verständnis von „Seele"
zusammen, das sich von dem des Mediziners E. Schleiermacher
(S. 83) unterscheidet. Das mehr philosophische als theologische Ver-