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Ausgabe:

1986

Spalte:

221-223

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Titel/Untertitel:

Die Wirklichkeit Gottes 1986

Rezensent:

Mildenberger, Friedrich

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Theologische Literaturzeitung III. Jahrgang 1986 Nr. 3

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lehre erscheint und deren Fundament sie bildet (s. S. 503-529: die
Offenheit der philosophischen Bewußtseinsstruktur für das christlich
bestimmte fromme Selbstbewußtsein). Für die Schleiermachersche
Ethik ist das Bewußtsein das „Zeitlichwerden und sich als zeitlich
Finden und Wiederaufnehmen der Vernunft. Das Bewußtsein daher
in seiner ihm wesentlichen Zeitlichkeit ist das ursprüngliche Symbol
der an sich unzeitlichen Vernunft; und die ursprüngliche Aufgabe für
unsere Tätigkeit ist also die, daß die ganze Vernunft Bewußtsein
werde, eine Aufgabe, die sich, wie in jedem Einzelwesen, so auch in
dem ganzen des menschlichen Geschlechtes nur allmählich realisiert
". Der ganze komplexe und faszinierende Problemkreis, der in
dieser Definition zu Tage tritt, findet im Buch von K.-W. sorgfältigen
Kommentar. Die Autorin gliedert, analytisch-systematisch vorgehend
, die Darstellung der gehaltvollen, von Schleiermachers Ethik
angebotenen Lqhre in drei Momente auf (leider bleiben die anderen
Schriften von Schleicrmacher im Hintergrund, wie auch die Sekundärliteratur
nicht herangezogen wird und keinerlei Interesse für eine
Historisierung der Schleiermacherschen Bewußtseinskonzeption besteht
): 1. Das Bewußtsein als Mittelpunkt des geistig-sittlichen
Lebens, d. h. des Prozesses der Vereinigung von Vernunft und Natur,
die ihren vornehmlichen Raum im menschlichen Leben findet
(S. 21-110); 2. Die Strukturierung des Bewußtseins nach dem Modell
der dialektischen Struktur des Seins als unmittelbares Vernunftsymbol
(S. 111-210); 3. Der Bewußtseinsprozeß als Artikulation von
Individualität und Gemeinschaft, von Gedanke und Sprache, von
Rezeptivität und Spontaneität usw. (S. 211 -502). Wenn man sich vor
Augen hält, daß der Schleiermacher-Forschung noch die Aufgabe
bevorsteht, in der barocken Kompliziertheit seines Schrifttums Klarheit
zu schaffen, d. h. aufzudecken, „was Schleiermacher wirklich
sagen wollte", so kann man nicht umhin, Arbeiten, die wie diese von
K.-W. sich bemühen, die Ethik entschlossen in den Mittelpunkt des
Schleiermacherschen Denkens zu setzen, mit Sympathie zu begrüßen,
auch wenn wir, im ganzen gesehen, einen kritischeren Abstand gegenüber
dem Gegenstand der Behandlung und eine weniger mikrologische
Darstellung gewünscht hätten. Aber die Mikrologie scheint eine
Krankheit zu sein, die loszuwerden der Schleiermacher-Forschung
schwerfällt*

Genua Giovanni Moretto

* Deutsche Übersetzung von Joachim Landkammer

Systematische Theologie: Dogmatik

Joest, Wilfried: Dogmatik. Bd. 1. Die Wirklichkeit Gottes. Göttingen
: Vandenhoeck und Ruprecht 1984. 341 S. = UTB 1336 Kt.
DM 26,80.

Man merkt es der Dogmatik von Joest an, daß sie aus einer langen
und engagierten Lehrtätigkeit hervorgegangen ist. Das gilt nicht nur
für die Art und Weise, wie hier der dogmatische Stoff aufbereitet und
vorgetragen wird: In einer klaren, faßlichen, die Fachterminologie
möglichst vermeidenden oder doch sorgfältig einführenden Weise
werden die dogmatischen Grundprobleme dargestellt. Die Auseinandersetzung
mit Lösungsvorschlägen aus der Tradition wie der
gegenwärtigen Diskussion ist auf das Wesentliche beschränkt. Repräsentative
Lchrmeinungen werden angeführt und beurteilt, ohne doch
die Ausführungen mit solcher Diskussion zu sehr zu belasten. Es gilt
auch für die vorgetragenen Inhalte: Diese Dogmatik bezieht in den
strittigen Fragen der gegenwärtigen Fachdiskussion entschieden Stel-"
lung und sucht die vorgetragenen Entscheidungen sorgfältig zu begründen
. Immer wieder wird dabei die Orientierung am Werk Karl
Barths kenntlich. Zugleich aber wird auch die Argumentation anderer
dogmatischer Positionen nachgezeichnet und bei den vorgetragenen
Lösungen so weit als möglich berücksichtigt. Diese Gesprächsfähigkeit
des Autors zeigt sich auch im Eingehen auf die allgemeine wissenschaftliche
und geistige Situation.

Zunächst werden in fünf Paragraphen die „Grund- und Anfangsfragen
der Dogmatik" behandelt. Joest kann sich dabei kurz fassen, da er
einen Großteil der Probleme, die hier vorliegen, ausführlich in seiner
„Fundamentaltheologie" (Theol. Wissensch. Bd. 11, 2. Aufl. 1981)
behandelt hat. Er begründet die Entscheidung für einen offenbarungs-
theologischen bzw. christologischen Ansatz seiner Dogmatik, erörtert
die Begründbarkeit theologischer Aussagen, behandelt dann eingehend
die Frage nach den Normen - hier ist besonders die sorgfältige
Diskussion der mit der historisch-kritischen Bibelauslegung gegebenen
Frage hervorzuheben, die Probleme einer Vermittlung der Christusbotschaft
und schließlich die Gliederung der vorgelegten Dogmatik
. Joest folgt nicht dem traditionellen Aufbau, der nach dem Prole-
gomena mit der Gotteslehre einsetzt, dann Schöpfungslehre und
Anthropologie folgen läßt, um mit der Christologie und Soteriologie
fortzufahren und dann die Darstellung mit Ekklesiologie und Escha-
tologie zu beenden. In einem ersten Teil „Die Wirklichkeit Gottes",
der hier zu besprechen ist, wird vielmehr spezielle Theologie (und
Schöpfungslehre), Christologie und Pneumatologie behandelt. Dem
soll der zweite Teil „Gottes Weg mit dem Menschen" folgen, der
Anthropologie, Soteriologie, Ekklesiologie und Eschatologie behandeln
soll. Dieser Weg der Darstellung, so begründet Joest das unkonventionelle
Vorgehen, entspreche am ehesten dem christozentrischen
Ansatz christlicher Gotteserkenntnis, vermeide so weit als irgend
möglich Doppelungen in der Behandlung des dogmatischen Stoffes
und gehe in etwa den großen Etappen im geschichtlichen Entfaltungsgang
der theologischen Reflexion parallel.

Den einzelnen Kapiteln zu Gottes- und Schöpfungslehre, Christologie
und Pneumatologie ist jeweils eine „Vorbesinnung" vorangestellt
. Diese nennt das Thema und erörtert dessen biblische Bezeugung
. Das geschieht so, daß zu Gotteslehre und Christologie (die
Pneumatologie sträubt sich nicht nur in dieser Hinsicht gegen eine
analoge Behandlung!) jeweils eine knappe Nacherzählung der biblischen
Geschichte vorausgeschickt wird, die dann auch die Kriterien
für die dogmatische Reflexion des jeweiligen Gegenstandes bereitstellt
. So meidet Joest einerseits einen Schriftgebrauch, der sich in der
Anführung der jeweils einschlägigen dicta probantia erschöpft, und
kann das biblische Zeugnis gerade in seiner geschichtlichen Gestalt
aufnehmen. Andererseits entlastet er damit die dogmatische Darlegung
von exegetischen Ausführungen, ohne doch den Nachweis der
Schriftgemäßheit schuldig zu bleiben. Der eigenen Darlegung wird
dann jeweils ein Paragraph vorausgeschickt, der auf die traditionelle
wie die aktuelle Behandlung des Themas eingeht. Zur speziellen
Theologie bemerke ich dabei nur noch, daß die von Joest vorgeschlagenen
Lösungen sich sehr stark gegen metaphysische Denkansätze abheben
, etwa gegen die Versuche der apophatischen Theologie, Gott
durch abstrakte Negation zu bestimmen (157). Das hängt sicher mit
dem gewählten Ansatz und seiner biblischen Fundierung zusammen
.

In der Christologie wird nach der Darstellung der Tradition zunächst
unter der Überschrift „Die Gegenwart Gottes in dem Menschen
Jesus" die Lehre von der Person Christi, dann unter den Stichworten
Kreuz und Auferstehung die Lehre von seinem Werk behandelt
. In der Lehre von der Person Christi will Joest dabei „dasZugleich
der Gegenwart Gottes in Jesus und seines menschlichen Gegenübers
zu Gott nicht substantial als ontische Doppelbeschaffenheit seiner
Person in sich selbst, sondern relational als das Miteinander zweier
Beziehungen . . . verstehen" (233). Im Verhältnis zu Gott war Jesus als
Mensch unter Gott. In seinem Verhältnis zu uns ist er zwar auch
Mensch mit uns Menschen, unser Bruder. Aber zugleich vollzieht sich
in ihm Gottes Kommen zu uns, das unsere Gottesferne aufhebt. Die
Präexistenzaussagen können dann so interpretiert werden, daß Jesus
in seinem Verhältnis zu Gott und in dem Verhältnis Gottes in ihm zu
uns nicht geworden ist, sondern gekommen, gesendet. Als dieser Gekommene
ist er der, der an unserer Stelle das Gericht der Gottverlas-