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Ausgabe:

1986

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

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Neuerscheinungen

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Theologische Litcraturzeitung III. Jahrgang 1986 Nr. 3

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ten erhält der Leser erst aus einem späteren Beleg genaueren Aufschluß
über Vorkommnisse. Beispielsweise wird „die Tat des Gasser"
(13 Nr. 2), eine Sakramentsschändung, erst in weiteren Aktenstücken
genauer beschrieben (15 Nr. 4, 60 Nr. 58). 78 Nr. 74 C ist von
Michael Gaismairs Absicht, „den Herbst gefangen" nehmen zu lassen
die Rede. Erst 81 Nr. 78 erfährt man, daß es sich um Christoff Herbst,
Hauptmann von Toblach handelt. Natürlich können Regeste den
Quellenabdruck nicht ersetzen. Nuancen bleiben in der Regel unerkannt
; Paraphrasen setzen Akzente. Informationsverlust ist unvermeidlich
. Hin und wieder stößt der Leser auf diese Grundproblematik
der Gattung, z. B. wenn im Kopfregest Huters „moralisches Verhalten
" erwähnt wird, aus dem Quellentext aber hervorgeht, das übrige
Schreiben beziehe „sich auf das Verhör Jakob Huters in Innsbruck
und sein moralisches Verhalten" (309 Nr. 373). Aus den abgedruckten
Quellen geht hervor, daß die Innsbrucker Regierung den Brixener
Bischof aufgefordert hat, bei Huters ehemaligem Arbeitgeber in Prag
zu erkunden, wie Huter „sich gehalten" habe, d. h. was an dem
„geschray etlicher böser intzicht halben" dran gewesen sei (311
Nr. 373). Fragen erheben sich allerdings auch zum Quellenabdruck
selbst, wenn man gelegentlich durch eine Bemerkung etwas vom
Zustand der Druckvorlage erfährt. So heißt es in einer Nachbemerkung
zum Widerruf des Täufervorstehers und ehemaligen Priesters
Lienhart Lochmaier, der Widerruf sei wahrscheinlich von dem altgläubigen
Prädikanten „Dr. Gallus Müller aufgesetzt und wie Randbemerkungen
zeigen, nach Rücksprache mit Lochmair vielfach verändert
worden" (386 Nr. 507). Die Randbemerkungen sind dem Abdruck
selbst nicht zu entnehmen. Leider gibt das sehr knappe Vorwort
keinerlei Aufschluß über die Qucllcnsituation und die Prinzipien der
Wiedergabe. Nur im Vorwort zu Teil 2 erhält man Auskunft, daß „in
den Kopialbüchern im Landesregierungsarchiv in Innsbruck weder
Originale der Weisungen noch Berichte der örtlichen Obrigkeiten",
immerhin aber die Antworten der Regierung an „Amtleute, Pfleger
oder Richter" enthalten seien (VII). Im Fürstbischöflichen Hofarchiv
in Brixen dagegen fänden sich „Originalberichte der Pfleger und Richter
, auch Bekenntnisse Gefangener" (VIII). Nur wem diese karge
Äußerung aus Teil II noch gegenwärtig ist, wundert sich nicht, wenn
er im Regest zur Regierungsmitleilung an den Sterzinger Landrichter
vom 15. Mai 1536 ohne entsprechenden weiteren Hinweis liest: „Ferner
schickt sie eine Abschrift des Geständnisses des gerichteten Jacob
Huter" (325 Nr. 403). Allerdings wird ab und an das Prinzip der
Arkandisziplin durchbrochen, z. B. wenn es im Regest zum Regierungsschreiben
an Ferdinand I. vom 25. Juli 1538 heißt: „Der Bericht
fehlt" (385 Nr. 507 A). Die günstige Brixener Qucllenlage spiegelt
sich keineswegs auch immer derart im Quellenabdruck bzw. den
Regesten, daß man konsequent über vorhandene Beilagen Aufschluß
erhält, wie das 464 Nr. 639 Anm. I der Fall ist. Weshalb im 3. Teil
auf die Beigabc eines Aktenverzeichnisses verzichtet wurde, das in den
Teilen 1 und 2 vorhanden ist, ist dem Rezensenten verborgen geblieben
. Dankbar zu erwähnen ist das detaillierte Sachregister (zu Teil 1
und 2). das auch Anhaltspunkte für eine soziologische Quellenauswertung
(782 f: Soziale Stellung der Wiedertäufer) bietet.

Wenn die Bearbeiterin im Vorwort zum I. Teil anmerkte, in den
Akten sei „theologisch nicht übermäßig viel zu holen" (XI), so trifft
das auch auf Tiroler Täuferquellcn des 3. Teiles zu. Dafür ist nicht
nur die Quellcnüberlieferung verantwortlich. Das Tiroler Täufertum
im 2. Drittel des 16. Jahrhunderts war vielmehr eine an Vorstehern
orientierte Erweckungsbewcgung auf der Basis schlichter Bibelfrömmigkeit
. In Paulus sahen sie weniger den argumentierenden Theologen
als vielmehr den Apostel und eine Art Erz-Vorsteher; dessen
Lehre und Jakob Huters Lehren galten ihnen als „gleich ain ding" (22
Nr. 9 B Bekenntnis des Michael Ebner). Mehr auf das Konto der
Quellcnüberlieferung ist wohl der Tatbestand zu verbuchen, daß das
Bibclzitat in den Täuferaussagen kaum vorkommt. Die Lektüre der
Tiroler Täuferquellen hinterläßt bedrückende Empfindungen, da sie
Seite um Seite mit dem breitgefächerten Spektrum der Mechanismen
einer Glaubensverfolgung konfrontiert. Es entsteht der Eindruck, daß

die weltlichen Behörden zuweilen sogar kompromißbereiter waren als
die geistlichen, vor allem bemühten sie sich stärker, den Verdacht,
vorwiegend am Besitz der Täufer interessiert zu sein, zu vermeiden
(vgl. z. B. 272f Nr. 3390- Zugleich bezeugen die Akten aber soviel
Standhaftigkeit und Glaubenstreue, daß Ferdinand I. zeitweilig sogar
von der Anwendung der Todesstrafe abriet, weil sie sich als wenig
abschreckend erwies (507f Nr. 719 A). In Einzelfällen verweigerte
sogar das Gerichtspersonal seine Mitwirkung an der Bestrafung (z. B.
113 Nr. 124, 678-680 Nr. 1035). Vor allem Ferdinand I. erkannte
eine der Hauptursachen für die Ausbreitung des Täufertums, den Verfall
des kirchlichen Lebens und die mangelhafte geistliche Versorgung
vor allem der abgelegenen Filialdörfer. Vergeblich bemühte er sich
um Abhilfe (361-363 Nr. 463, 705 Nr. 1054). Das Material für eine
cindringendere Aufarbeitung der kirchlichen Verhältnisse in Tirol im
Blick auf die Täuferbewegung bereitgestellt zu haben, ist das Verdienst
der Bearbeitung. Dafür gebührt ihr Dank.

Corrigcnda: 28 Anm. I: Ferdinand hat bei seinem Aufenthalt in Innsbruck
den Sakramentsfrevel Jakob Gassers am 28. Januar 1532 in der St. Andrc-
Kirchc im Valsertal bei "Rodeneck keinesfalls „unmittelbar miterlebt". 90
Anm. 2 ist die Literaturangabc inkorrekt, vgl. 167 Anm. 7. 454 Anm. 13 recte
S. 417. 744 Michael (iaismair. recte 81.25 und Gaismair von Sterzing recte
170,20.

Berlin Siegfried Bräuer

Grislis, Egil [Ed.]: The Thcology of Martin Luther. Five Contemporary
Canadian Interpretations. Winnipeg/Canada: Lutheran C ouncil in Canada
1985. 125 S.m. I Abb. V.

Stahl. Karl Heinz: Luther. Martin Luther, die Reformation, die Konfessionen
und die Deutschen. Zweihundert Publikationen, kritisch untersucht.
Harsewinkel: Veit 1985.51 S.8" = WLA,2.

Kirchengeschichte: Neuzeit

Breuer, Dieter [Hg.]: Frömmigkeit in der frühen Neuzeit. Studien zur
religiösen Literatur des 17. Jahrhunderts in Deutschland. Amsterdam
: Rodopi 1984. VI, 252 S. 8" = Chloe. Beihefte zum Daphnis,
2. Kart, hfl 75.-.

Der vorliegende Band, der die Ergebnisse von zwei Kolloquien
(Aachen 1980, Nijmegen 1981) enthält, die der Entwicklung individueller
Frömmigkeitsformen und deren Bedeutung für die Geschichte
des neuzeitlichen Individuums gewidmet waren, stellt erneut unter
Beweis, daß eine interdisziplinäre Kooperation von Kirchengeschichtsforschung
und Literaturwissenschaft für beide Seiten ergiebig
und förderlich ist. Die Beiträge, die als Vorarbeiten zu einer Geschichte
der Frömmigkeit in der frühen Neuzeit anzusprechen sind,
sind folgenden Themenbereichen zugeordnet: Nach der Einleitung (1)
des Herausgebers D. Breuer (Aachen) „Absolutistische Staatsform
und neue Frömmigkeitsformen. Vorüberlegungen zu einer Frömmigkeitsgeschichte
in der frühen Neuzeit" werden die Rezeption der mittelalterlichen
Mystik (II), der spanischen Mystik (III), die geistliche
Liederdichtung (IV, „Funktionswandel einer Gattung") behandelt
und Einblicke in neue Wege individueller Frömmigkeit (V) vermittelt
.

D. Breuer interpretiert die Frömmigkeitsgeschichte des 17. Jh.s im
Rahmen des übergreifenden historisch-sozialen Umbruchs der Epoche
, der Entstehung des frühmodernen Staates. Er stellt heraus und
exemplifiziert in drei Exkursen (I: Pietas Bavarica: Frömmigkeit am
Münchner Hof; II: Pietas Austriaca - zum Nepomuk-Kult am Habsburger
Hof; III: Die Pietas Hzg. Augusts von Braunschweig-Lüne-
burg). daß „pietas" im 17. Jh. einen rcligionspolitischen Aspekt im
Rahmen der absolutistischen Slaatsform habe. Der aktive Mitvollzug
der staatlich sanktionierten Formen der pietas werde zum Indiz für die
Zuverlässigkeit des einzelnen Staatsbürgers. Die neuen Frömmigkeitsformen
des 17. Jh.s hätten dadurch in die Breite wirken können,
daß der Fürst oder Mitglieder seines Hauses sie sich zu eigen machten