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Ausgabe:

1986

Spalte:

204-206

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Mecenseffy, Grete mit M. Schmelzer

Titel/Untertitel:

Österreich, III. Teil 1986

Rezensent:

Bräuer, Siegfried

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Theologische Literaturzeitung 111. Jahrgang 1986 Nr. 3

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tion des aristotelischen bzw. thomanischen Erbes. Durch seine einschlägigen
Kommentare sowie sein kirchliches Engagement ausgewiesen
, wurde er seit 1507/08 mit Leitungsfunktionen seines Ordens
betraut, die ihn als konsequenten Verfechter einer romtreuen Prima-
tialtheologie bekannt machten (S. 33). Ein neuer Tätigkeitsbereich
eröffnete sich ihm im Dienste der päpstlichen Diplomatie, die ihn
1518 zu einer Legationsreise in heikler Mission (Besteuerung der
Reichsstände wegen des geplanten Türkenkreuzzuges) nach Augsburg
führte. Unterdessen war der Prozeß gegen Luther u. a. durch energisches
Betreiben Prierias' in Gang gekommen, dessen übersandter
.Dialogus' die „erste theologische Antwort auf Luther von Rom aus"
darstellte (57). So wurden atmosphärische Rahmenbedingungen einer
antikonziliaren Stimmung geschaffen, die Mißtrauen erregten und
sich später als kommunikationsstörend erweisen sollten. Cajetan
mußte mit der belastenden Hypothek seiner häresieaufspürenden
Ordenskollegen Tetzel und Prierias dem berühmten Gespräch vom
12. bis 14. 10. 1518 entgegensehen (61), das von einer unverhohlenen
Abneigung gegenüber seinen fiskalischen Forderungen begleitet
wurde. Diese mißliche Doppelrolle „warf ihre Schatten auch auf die
wirklich maßvollen . . . Antworten des Kardinals auf Luther und
seine .. . Herausforderungen" (135). Beachtenswert ist dennoch Caje-
tans irenisches Bemühen um eine kontroverstheologische Hermeneutik
des kontextbezogenen Einfühlungsvermögens, die schließlich nur
noch „einen einzigen" Dissenspunkt (110) festhielt.

Das bevorstehende Augsburger Treffen hatte literarische Aktivitäten
des Kardinals ausgelöst, die erstmalig die Überzeugungen der
Reformation ernsthaft in die Diskussion einbezogen. Luthers Begriff
der Heilsgewißheit im Rahmen der Sakramententheologie (z. B. 83,
99, 120f, 133) machte aber die Gegensätzlichkeit der Denkmethoden
evident. Die erzielte „Teilübereinstimmung" (110, 122) konnte
wegen der „tragischen Verschiedenheit der Argumentationsebenen"
(112) nicht festgeschrieben werden, zumal der Vorwurf, eine „neue
Kirche" (84, 103 Anm. 90, 110, 133) bauen zu wollen, unentkräftet
geblieben war und letztlich die Priorität der romtreucn kirchlichen
Verpflichtung Cajetans signalisierte (92,110).

Es wäre zu fragen, ob seine nicht unangefochtene thomistische
Beweisführung (unscharf S. 86 beschrieben), die auf einer schmalen
Dokumentationsgrundlage der sich gerade erst formierenden reformatorischen
Theologie entgegentrat, im echten Sinne eine geistige Begegnung
von Thomismus und Luther ermöglichen konnte.' Cajetans
schwierige Mission, die im Beziehungsgeflecht von Religion und realpolitischem
Machtdenken erfolglos blieb, konnte kaum noch auf der
theologischen Ebene das erreichen, was erwartet wurde. Über die
Ablaßfrage war das Gespräch in eine Grundsatzdebatte der papalen
Lehrvollmacht eingetreten, die den .Gegner' ständig zwang, dogmatische
Beweise nachzureichen oder ,ad hoc' aufzustellen (106, 109,
119-121).

Außerdem war das Vertrauen in die Glaubwürdigkeit der scholastischen
Methode, die Cajetan meisterlich handhabte, geschwunden. Sie
wurde beim Treffen mit Luther der Eigenart eines alternativen Denkansatzes
nicht gerecht, der die internalisierbaren Phänomene der religiösen
Erfahrungswirklichkeit thematisierte.

Dem Vf. muß für seine fundierte und vielfach überzeugende Darstellung
gedankt werden. Sie fordert nicht nur das Verständnis des
Thomaskenners, Ordensmannes und Papalisten Cajetan, sondern
belegt auch einen gewissen Pluralismus Roms, der (verunsicherte?)
Anpassungsfähigkeit erkennen ließ. Die begrenzte Dialogbereitschaft
einzelner Vertreter wie Cajetans konnte allerdings nicht mehr einen
tragfähigen Konsensus herstellen, da sie agitatorische Tendenzen
implizierte, die den Regulierungsmechanismus einer „wechselseitigen
Korrektur von Papst und Konzil"2 betontermaßen zur kirchenpolitischen
Wirkungslosigkeit verurteilen wollten.

Unverkennbar war Luther selbst im Begriff, eine Vorstellung von
seiner aktiven Rolle im diplomatischen Kräftespiel zu gewinnen. Das
gestattete ihm Loyalitätsbekundungen gegenüber der Person des
Papstes, die freilich von dem Versuch begleitet wurden, die mit dem

Prozeßverfahren befaßten Repräsentanten des Dominikanerordens zu
neutralisieren bzw. als parteiisches Moment auszuschalten.

Es wäre interessant, aus der Perspektive der kontroverstheologisch-
thomistischen Methode Cajetans ebenso überzeugend die weitere Entwicklung
bis zu seinem Todesjahr zu verfolgen, um so ein abgerundetes
Bild zu erhalten.

Oettersdorf Wolfgang Rochier

1 Luther weist wiederholt in seinen auch Cajetan zugänglichen .Resolutio-
nes' seinen Gegnern nach, daß sie nicht einmal imstande seien, „ihre eigenen
Meister in rechter Weise zu gebrauchen". Leif Grane: Modus loquendi theolo-
gicus .. . Leiden 1975, 167(AThD; 12).

2 Hermann Schüssler: Der Primat der Heiligen Schrift als theologisches und
kanonistisches Problem im Spätmittelalter. Wiesbaden 1977,278.

Mecenseffy, Grete [Bearb.] mit M. Schmelzer: Österreich, III. Teil.
Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn 1983. 795 S. gr. 8"
= Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte, 50: Quellen
zur Geschichte der Täufer, XIV. Lw. DM 280,-.

Mit dem vorliegenden Bd. wird die Erschließung der österreichischen
Täuferquellen und damit eine Respekt abverlangende dreißigjährige
Arbeit der Wiener Historikerin G. Mecenseffy abgeschlossen
(zu Bd. 1,1964 vgl. ThLZ 91,1966, 118; zu Bd. 2 vgl. ThLZ 99,1974,
617). Er enthält die Tiroler Täuferquellen aus den Jahren 1532-1564,
soweit sie überliefert worden sind. Den terminus ad quem setzt der
Tod Ferdinand I., der sich vorgenommen hatte, das Täufertum mit
Gewalt auszurotten und dennoch scheiterte. Immer wieder mußte er,
wie in seinem letzten Mandat in der Sache vom 2. Oktober 1563, feststellen
, die Täufersekte sei aufs neue aufgeflammt, und so schritt er
gegen sie mit den bekannten Rechtsmitteln unnachgiebig ein. Mehr
als ein Drittel der Quellen des Bds. betreffen die Jahre 1532-1534
(13-265 Nr. 1-327). In diese Zeit fiel die von Jakob Huter organisierte
Auswanderung großen Stils nach Mähren.

Die Anlage des Bds. ist die gleiche wie in den beiden Vorgänger-
Bdn„ (Großteil der Quellen in Regestenform). Die Regesten sind in
der Regel ausführlich gehalten. Typische Wendungen werden wörtlich
eingefügt. In Einzelfällen mag man die Entscheidung für die
Regestform bedauern, vor allem hinsichtlich der Verhöraussagen, der
Täufer-Urgichten (z.B. 71-73 Nr. 68: Valtein Fall; 227-230
Nr. 263 B und C: Affra Kniepasserin und Hans Stainer; 448-459
Nr. 628: Lienhard Raiffer-Schmidt), zumal das Aktenmaterial ohnehin
vorwiegend die obrigkeitliche Sicht widerspiegelt. Nicht einsichtig
ist, weshalb die Urgicht Anton von Wolkenstcins nur als Regest
wiedergegeben wird. Wolkenstein wurde zu Unrecht des Täufertums
beschuldigt. Er vertrat die lutherische Position, (248 Nr. 294),
während seine Frau tatsächlich unter Täufereinfluß stand. Leider fehlen
hier wie auch sonst weitgehende Verweise (z. B. 383 Nr. 503 B
fehlt Verweis auf377 Nr. 491, desgleichen 461 Nr. 430 Ende auf449 ff
Nr. 628). Der Benutzer kann sich aber mit Hilfe des Personenregisters
weiterhelfen. In diesem Fall und auch bei anderen Personen wird er
im Unklaren gelassen über das weitere Schicksal des Beschuldigten
und Inhaftierten, sofern nicht ein späteres Quellenstück Auskunft
gibt. (319 Nr. 391 wird Jakob Huters peinliches Verhör erwähnt. 321
Nr. 396 ist von der „Witwe Huters" die Rede, d. h. die Hinrichtung
wird als bekannt vorausgesetzt). Die Bearbeiterin hat zwar vorsorglich
im Vorwort zum 2. Teil eingrenzend festgehalten (XI), die Erklärungen
und Schrifttumsnachweise im Anmerkungsapparat könnten
„keinesfalls den Anspruch auf Vollständigkeit erheben" (XI), etwas
mehr in dieser Hinsicht wäre für den 3. Teil wünschenswert gewesen.
Die Auswertung der Sekundärliteratur erweckt zuweilen den Eindruck
des Sporadischen, zumal die Angaben beileibe nicht immer bei
der ersten Erwähnung zu finden sind. So wird beispielsweise die
neuere Gaismairliteratur verzeichnet, aber für Michael Gaismairs
Verwandten Erhart Gaismair nicht ausgewertet (48 Nr. 40). Nicht sei-