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Ausgabe:

1986

Spalte:

202

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Titel/Untertitel:

Quellen geistlichen Lebens. Bd. II: Das Mittelalter 1986

Rezensent:

Haendler, Gert

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Theologische Literaturzeitung III. Jahrgang 1986 Nr. 3

202

seine Ausgabe des „Traite de la nature" (1960) sowie zahlreiche Aufsätze
beredtes Zeugnis ablegen.2 Zweifellos ist F. heute international
gesehen der beste Kenner des Enzyklopädisten und Kirchenschriftstellers
Isidor, obwohl der frühmittelalterliche Autor in Spanien wie
anderswo, oft im Zusammenhang mit der Erschließung der westgoti-
schen Geschichte, auch wieder stark ins Blickfeld des Interesses
gerückt ist.' Das umfangreiche Werk F.s ist gewiß weder theologisch
noch kirchengeschichtlich im engeren Sinne relevant, doch erschließen
die von Isidor benutzten Quellen (so Hieronymus, Augustinus,
Cassiodor) sowie das Ensemble der von Isidor im westgotischen Kulturbereich
gesammelten Kenntnisse klassischer wie nachklassischer
Herkunft, das von F. vorrangig an Hand der ersten drei Bücher der
„Etymologiae" („Origines") vorgestellt wird, nicht wenig an kirchengeschichtlichem
Bildungsgut und Quellenmaterial. F. rekurriert
natürlich nicht nur auf die „Etymologiae", sondern häufig auch auf
die stärker historisch bestimmten Schriften: „De viris illustribus", bei
Isidor nur auf Bischöfe bezogen; „Historia Gothorum"; „Chronicon".
Auch auf die theologisch bestimmten Schriften des Sevillaners bezieht
sich F.: „Sententiae"; „Synonyma": „De fide catholica"; „De ortu et
obitu patrum"; „De haeresibus", ohne die weder ein einigermaßen
geschlossenes Bild vom Werk des Bischofs noch gar von der allgemeinen
Kultur und vom Bildungsstreben seiner Zeit gegeben werden
könnte.

F.s Werk ist vorrangig als Quellenanalyse gedacht, obwohl es der
Form nach eine breite, wohldurchkonzipierte Darstellung ist, die sich
am Oberthema orientiert, ohne es irgendwie erschöpfend behandeln
zu können. Folgende sechs (vielfältig untergliederte) Teile behandeln
den enormen Stoß: Isidore Grammairien (1), La Rhetorique
Isidorienne (2), Declin General des Sciences Exactes (3), Regain de
L'Astronomie (4), Vestiges de la Philosophie Antique (5), La Culture
d'lsidore de Sevillc (6). Der letzte Teil hat besonderes Gewicht, weil er
sowohl die Arbeitsmethoden Isidors (6,2), die Rolle der profanen
Bibliothek im scinerzeitigen Sevilla (6,1), das Gegeneinander wie Miteinander
heidnischer und christlicher Einflüsse (6,3 + 4) wie auch die
Frage einer «Renaissance Isidorienne» (6,6) behandelt oder zumindestaufgreift
.

Das Verdienst von F.s Arbeit liegt vorrangig darin, daß er Wichtiges
zur sog. .musivischen' Arbeitstechnik Isidors sagt, aber auch die seinerzeit
von Dresscl4 getroffenen Feststellungen hinsichtlich der von
Isidor hauptsächlich benutzten Quellen präzisiert. Hatte Dressel auf
die antiken Autoren Solinus, Servius (Vergilkommentar), Sallust (Bellum
lugurthinum und Coniuratio Catilinac). Plinius (Naturalis historia
), Ciregor d. Gr. (Hiobkommentar), Augustinus, Hieronymus, Oro-
sius (Historia), Hyginus, Priscian. Iustinus und einige andere verwiesen
, so verfeinert und präzisiert F. diesen Raster. So erscheint hinsichtlich
der ersten drei Bücher der „Etymologiae" nun als gesichert,
daß für die Rhetorik Cassiodor, der durch Partien aus Augustinus und
Quintilian angereichert ist, als Hauptquelle zu gelten hat: derselbe
Autor war für die Dialektik maßgeblich, während Isidor seine Darlegungen
zur Musik anteilig aus Augustinus und Cassiodor schöpfte;
selbstverständlich wurde durch ständige Verfeinerung des musivischen
Rasters auch die Einbeziehung gelegentlicher anderer Quellen-
bcstandteile, die nicht genauer faßbar sind, möglich.

Der Autor hat dem Rez. brieflich mitgeteilt, daß ein dritter, mithin
ergänzender Band dieser großen Studie in Vorbereitung sei. Man darf
gespannt sein, wie und an welchen Punkten F. sich dort mit dem von
Isidor selbst vorgelegten, schier unerschöpflichen Werk und der in den
letzten Dezennien angewachsenen Forschungsliteratur auseinandersetzt
.

Halle (Saale) Hans-Joachim Diesncr

1 S. etwa die Rezension von . Opelt (Gnomon 32, i960,43 7 f").

2 S. vor allem: J. Fontaine. Problcmcs de methode dans l'ctudc des sourecs
isidorienncs (= Isidoriana. Leon 1961. S. 115-131); Ders., Fins et moyens de
l'cnseignement ccclesiastiquc dans l'Espagnc wisigothique (= Settimane di

studio del Centro italiano di studi sull'alto medioevo. Spoleto 1972,
S. 145-229).

' Etwa: M. C. Diaz y Diaz. (Hg.). Isidoriana, Leon 1961; J. Madoz, San Isidora
de Sevilla. Semblanza de su pcrsonalidad literaria, Leon 1960; H.-J. Diesner.
Isidor von Sevilla und das westgotische Spanien (= Abh. d. Sachs. Akad. d.
Wiss., Phil.-hist. KL, Bd. 67. H. 3, Berlin 1977/Spee-Vcrlag, Trier 1978); M.
Reydellct. Isidor von Sevilla (= Gestalten der Kirchengcschichtc, Bd. 3. Mittelalter
I, Stuttgart usw. 1983, S. 47-57); vgl. P. Riehe, Education et culture dans
l'Occident barbare. VIe-VIIIc siecles, Paris 1962 ('1973).

4 H. Dressel, De Isidori originum fontibus, Aug. taurinorum 1874 (Diss.).

Greshake. Gisbert, u. Josef Weismayer: Quellen geistlichen Lebens,

hg. u. eingel. Bd. II: Das Mittelalter. Mainz: Grünewald 1985.
287 S„ 6 Taf. z. T. färb. 8°. Lw. DM 42,-.

Im Vorwort umreißen die Wiener Herausgeber „Horizont und
Schwerpunkte mittelalterlicher Spiritualität" (9-14) und begründen
die getroffene Auswahl (15-17). Unter 40 Texten kommt Franz von
Assisi mit 4, Thomas von Aquin und Meister Eckhart mit je 3 sowie
Bonaventura, Johannes Tauler und Katharina von Siena mit je
2 Texten zu Wort. Die ausgewählten Abschnitte liegen größtenteils
bereits in deutscher Ubersetzung vor; doch wurden fast alle Texte neu
übersetzt, „und zwar so, daß die leichte Verständlichkeit den Vorrang
vor der philologischen Akribie hat" (16). Ausdrücklich bemerken die
Herausgeber, daß sie auch Theologen, „die keine kirchliche Anerkennung
fanden (Meister Eckhart, Jan Hus)" berücksichtigt hätten (17).
Auch ein jüdischer Text wird geboten aus dem „Sohar" der Kabbali-
sten „Vom Verstehen des Wortes Gottes" (145-47). Jedem Text ist
eine kurze Einleitung vorangestellt; Textnachweise am Ende sind so
ausführlich, daß ein weiteres Nachgraben ermöglicht wird. Die beigegebenen
Tafeln zeigen in Farbe Walther von der Vogelweide und
Franz von Assisi, in schwarz/weiß Bernhard von Clairvaux, Bonaventura
, Thomas von Aquin sowie Katharina von Siena. Die Auswahl
beginnt mit einer Homilicnsammlung aus dem 9. Jahrhundert - also
sehr spät. Zur Begründung heißt es, „daß sich im neuen fränkischen
und karolingischen Reich der Glaube noch in einem Gärungsprozeß
befand" (19). Als einziger Papst kommt Gregor VII. zu Wort, „ein
Riese an geistiger Energie, eine Führernatur von unbeugsam eisernem
Willen" (30). Was er der Markgräfin Mathilde zu schreiben hatte, ist
kaum originell, als „hausbacken" bezeichnen es auch die Herausgeber
(31). Der Band kann einen Zugang zum Mittelalter eröffnen. Er
möchte zudem auch „eine Einladung sein, den eigenen Glauben dem
Reichtum der Tradition zu öffnen" (17).

GH.

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Wieks, Jared: Cajetan und die Anfänge der Reformation. Münster
/W.: AschendorfT 1983. 136 S„ 1 Taf. 8' = Katholisches Leben
und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung. 43. Kart.
DM 26,-.

Während Thomas de Vio Cajetan (1469-1534) vorwiegend in Darstellungen
des Lutherprozesses, der theologisch-kanonistischen Literatur
zur Problematik des konziliaren Gedankens im 15./16. Jh. und
monographischen Beiträgen über die historische Begegnung von Tho-
mismus und Reformation (z. B. G. Hennig. Stuttgart 1966) Beachtung
gefunden hat, will der Vf. sein Lebenswerk als Beispiel für „katholische
Überzeugungen" (S. 9) der beginnenden Neuzeit würdigen. Er
beabsichtigt, einen biographischen Abriß der Jahre bis 1521 vorzulegen
, der Flexibilität und Vielfalt der frühesten Stellungnahmen Roms
zur .causa Lutheri' belegt.

Für den monastischen Weg im Dominikanerorden vorgesehen,
wurde Cajetan studienbedingt in Padua mit einer averroistischen
Aristoteles-Interpretation konfrontiert, die ausgeprägte areligiöse
Tendenzen verfolgte. Als Lehrstuhlinhaber und thomistischer Denker
entwickelte er analytische Fähigkeiten bei der eigenständigen Rezep-