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Ausgabe:

1986

Spalte:

200-202

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Fontaine, Jacques

Titel/Untertitel:

Isidore de Séville et la culture classique dans l'Espagne wisigothique, I/II 1986

Rezensent:

Diesner, Hans-Joachim

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199

Theologische Literaturzeitung 111. Jahrgang 1986 Nr. 3

200

judaistische Eindringlinge erklären könne. Zwar läßt B. auch diese
Möglichkeit offen. Entscheidend ist aber für ihn (S. 24): „Seine früheren
Erfahrungen mit den Judaisten [auf der Jerusalemer Missionssynode
; H. H.] hat er wahrscheinlich in die Vorstellung von den Widersachern
in Galatien eingebracht."

Positiv ist zunächst auch zu werten, daß für B. die historische Einordnung
des Gal ein konstitutives Element seines Kommentars ausmacht
. Inhaltlich scheint mir aber seine Annahme verfehlt, daß P. den
Gal nur wenige Monate vor Rom geschrieben habe, und zwar nach
2Kor 1-9 und vor 2Kor 10-13. Sein Kriterium ist zunächst die thematische
Nähe zwischen Gal und Rom, des weiteren „spezifische"
Übereinstimmungen zwischen beiden Briefen und vor allem zwischen
Gal und 2 Kor. Jedoch, wenn schon die thematische Nähe als Kriterium
gilt, dann kann sie nicht auf die „Rechtfertigung nicht aus Werken
, sondern aus Glauben" in Gal und Rom eingeschränkt werden.
Dann ist auch die Affinität der Argumentation von 1 Kor 8 und
Rom 14f zu bedenken, wo P. in einem anderen Geiste urteilt als in
Gal. John W. Dräne- leider ignoriert B. dessen wichtiges Werk "Paul,
Libertine or Legalist?, A Study in the Theol. of the Major Pauline
Epistles" (London 1975)! - erklärt mit Recht (S. 67), daß des P. Verhalten
beim factum Antiochenum "runs quite contrary to Paufs
instructions on the very same thing in 1 Cor 8.1-13, and his Statement
of his own procedure in 9.19-23". Und wir können hinzufügen:
Gal 2,11 ff widerspricht ebenso Rom 14f. Man wird also von Gal zu
1 Kor eine Entwicklung zur „Toleranz" zu konstatieren haben, die
dann zum Rom durchgehalten wird. Gal 2,11 ff und überhaupt die
Argumentation in Gal ergäbe für die Reihenfolge 1 Kor - 2 Kor 1 -9 -
Gal -2Kor 10-13 - Rom eine merkwürdige „Zick-Zack-Linie". Die
von Dräne aufgewiesene Entwicklung korrespondiert der Entwicklung
vom Gesetzesverständnis im Gal zu dem im Rom, nämlich von
einer nahezu völlig negativen zu einer sehr differenzierten Sicht. B.
hat in seinem methodischen Vorgehen einseitig die thematischen
Übereinstimmungen als Argument für die zeitliche Nähe von Gal und
Rom herangezogen, die gravierenden Differenzen aber außer acht
gelassen. Dies war m. E. schon in seiner Habilitationsarbeit „Der
Standort des Gal" (BBB41, Köln 1972) der entscheidende Fehler.
Zwar sagt auch er, daß Rom eine „weiterentwickelte" Erörterung
gegenüber Gal bringt (RNT, 10), die inhaltlichen Differenzen kommen
ihm aber nicht zu Gesicht. So versteht er Rom als „ergänzenden
Kommentar zum Gal" (ib. 126), ja, angesichts des angeblich einheitlichen
Verständnisses beider Briefe erscheine „es eher angebracht, den
früheren Gal zur Auslegung des Rom heranzuziehen als umgekehrt"
(ib. 128)1

Gegen einen Abstand von nur wenigen Monaten zwischen Gal und
Rom spricht auch die toto coelo unterschiedliche Sicht Jerusalems in
beiden Briefen. Auch nach B.s Auslegung von Gal 4,25 „gebiert" das
dem Sinai entsprechende irdische Jerusalem „zur Sklaverei" (ib. 172).
Konsequent deutet er dann das „Israel Gottes" Gal 6,16 richtig als
Kirche aus Judenchristen und Heidenchristen (ib. 223). Im Rom
bekommt aber gerade dieses irdische Jerusalem einen positiven theol.
Stellenwert, wenn P. in eigentümlicher Brechung das atl. Motiv der
eschatologischen Völkerwallfahrt nach Jerusalem von der Kollekte
her uminterpretiert (Rom 15,25fl).

Die Gliederung des Briefes überzeugt nicht (1,1-10 Briefeingäng;
1,11-6,10 Hauptstück: 1,11 -2,21 1. Teil: Das paul. Evang.; 3,1 -4,20
2. Teil: Gesetz und Glaube; 4,21-6,10 3. Teil: Gesetz und Freiheit;
6,11-18 Briefschluß). Leider hat sich B. mit der Gliederung von Hans
Dieter Beiz nach Gesichtspunkten der antiken Rhetorik so gut wie
nicht auseinandergesetzt.

Eigenwillig ist der Versuch, Titus mit Timotheus zu identifizieren: Titus sei
Kurzform oder Ersatzname für Timotheus: „entweder als vertraute Umgangsbezeichnung
oder als Angleichung an die Zweisilbigkeit des eigenen Namens
Pauli" (ib. 81). Daß der Name Titus nur Gal und 2Kor vorkommt, erklärt B.
damit, daß diese beiden Briefe während der schwierigen Situation nach dem
dramatischen Aufbruch von Asien und angesichts der Bedrängnisse in Makedonien
geschrieben worden seien (ib. 82). Doch selbst dann, wenn man seine m. E.

unzutreffende Datierung des Gal annähme, bleibt die Hypothese äußerst
unwahrscheinlich. Das Argument, mit dieser Annahme entfalle das Befremden
hinsichtlich der Nichterwähnung des Titus in Act, berücksichtigt zu wenig den
fragmentarischen und oft historisch unzuverlässigen Charakter dieser Schrift.
Am Rande bemerkt: B. scheint mir die historische Zuverlässigkeit der Act zu
hoch zu veranschlagen; man trifft ihn immer wieder bei Harmonisicrungsversu-
chen von Act und Gal an.

Wohl kaum unter die Kategorie „eigenwillige Interpretation", sondern unter
die der philologischen Unmöglichkeit fällt die Übersetzung „anschließend -
danach liegen (schon heute) 14 Jahre -" für Inam Siä öexawnn. cTdTv
Gal 2,1. Seine Absicht ist dabei vor allem, die angebliche Schwierigkeit auszuräumen
, die durch die Frage entstehe, was P. denn in den 14 Jahren zwischen
Petrusbesuch und 2. Jerusalembesuch getan habe. Ist es aber wirklich so
schwierig, sich 13 bis 14 Jahre Missionsarbeit in Syrien und Kilikien vorzustellen
, auch wenn wir darüber so gut wie nichts wissen? B. dürfte sich freilich
seines gewaltsamen Umgangs mit dem lexikographischen Tatbestand bewußt
sein: gibt er doch in seinem Aufsatz ,,P. in Jerusalem" offen zu, „daß es für die
vorgeschlagene Berechnungsart von Sid keine zwingende Parallele gibt". Sein
Verweis auf Act 24,17 ist ein Bumerang für ihn, da Sid hier eindeutig „nach"
heißt; daß der damit angegebene Zeitpunkt zufällig die Gegenwart ist, die B. für
Gal 2,1 reklamiert, ist kein Argument für seine Hypothese. Kein namhafter Altphilologe
wird ihm hjer zustimmen. Mit Hilfe dieser Fehlübersetzung erstellt B.
dann eine eigene Chronologie (ib. 109-111) und vermehrt damit die Zahl der
z. Z. vorgelegten neuen P.-Chronologien, die fast alle recht gekünstelt sind und
kaum längere Überlebenschanccn haben dürften.

Auf weitere Einzelheiten des Kommentars einzugehen verbietet der
hier zur Verfügung stehende Platz. Aber mit dem, worauf in dieser
Rezension aufmerksam gemacht wurde, konnte zur Genüge Symptomatisches
gesagt werden. Der Leser wird sicher bei seiner Lektüre
reiche Anregung finden. Die Lektüre lohnt - sie muß aber sehr kritische
Lektüre sein. Wer als Praktiker zu diesem Kommentar greift,
sollte auf jeden Fall einen weiteren zu Rate ziehen, um unterschiedliche
Hypothesen kritisch vergleichen zu können. Aber das gilt im
Prinzip für die Lektüre eines jeden Kommentars.

Göttingen i Hans Hübner

1 H. Hübner, Das Gesetz bei Paulus, Ein Beitrag zum Werden der paulini-
schen Theologie (FRLANT 119)Göttingen ' 1982,38 und 38, Anm. 82.

2 U. Börse, Paulus in Jerusalem: Kontinuität und Einheit, FS F. Mußner, hg.
P.-G. Müller u. W. Stenger, Freiburg/Basel/Wien 1981, (43-64) 57.

Demarest, Gary W.: 1,2 Thessalonians, I. 2 Timothy, Titus. Waco, Texas:
Word Books 1984. 333 S. gr. 8' = The Communicator's Commcntary, 9. geb.
$ 14.95.

Friedrich. Johannes H.: Wortstatistik als Methode am Beispiel der Frage
einer Sonderquelle im Matthäusevangelium (ZNW 76, 1985,29-46).

Holtz, Traugott: Jesus-Überlieferung und Briefiteralur. Zur Frage des Ortes
der Jesus-Überlieferung in der frühen Gemeinde (Wiss. Zcitschr. d. Univ. Halle
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Meier, John P.: Structure and Theology in Heb 1,1-14 (Bibl 66, 1985,
168-189).

Pedersen, Sigfrcd: Theologische Überlegungen zur Isagogik des Römerbrie-
res(ZNW 76, 1985,47-67).

Sauter, Jürgen: Traditionsgeschichtlichc Erwägungen zu den synoptischen
und paulinischen Aussagen über Feindesliebe und Wiedervergeltungsrecht
(ZNW 76,1985,1-28).

Kirchengeschichte: Mittelalter

Fontaine, Jacques: Isidore de Seville et la culture classique dans
l'Kspagnc wisigothique, I/II. Deuxieme ed., revue et corrigee. Paris:
EtudesAugustiniennes 1983. XIX, 1013 S., 1 Taf.gr. 8°.

Der bekannte französische Latinist hat das jetzt in zweiter, nur
wenig verbesserter Auflage vorliegende Werk über Isidor bereits 1959
herausgeben können und damit viel Beachtung gefunden.' Seitdem
hat er sich in jene Epoche und in den Autor weitervertieft, wovon