Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1986

Spalte:

198-200

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Borse, Udo

Titel/Untertitel:

Der Brief an die Galater 1986

Rezensent:

Hübner, Hans

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

197

Theologische Literaturzeitung 111. Jahrgang 1986 Nr. 3

198

Zunächst zeichnet der Vf. in der Einleitung wesentliche Etappen
der Forschungsgeschichte zum Galaterbrief seit der alten Kirche,
wobei Marcion, Luther, die Tübinger Schule F. Chr. Baurs und die
holländische Radikalkritik des 19. Jahrhunderts genannt werden. Die
Tatsache, daß in Marcions Apostolikon der Galaterbrief an der Spitze
steht, wird für die Auslegung des Vf. insofern von Bedeutung, als er
nach Abwägung aller Argumente zur Entstehung des Galaterbriefes
zu dem Ergebnis kommt, der Galaterbrief sei der älteste Paulusbrief
und noch vor dem Erlaß des Aposteldekrets an die südgalatischen
Gemeinden der ersten Missionsreise von Apg 13 /14 gerichtet worden.
Eine enge zeitliche Nähe zum Römerbrief lehnt er gegen Lightfoot ab.
Während für Lightfoot der Galaterbrief gleichsam das rohe Modell ist,
der Römerbrief dagegen die vollendete Statue, betont Bruce stattdessen
mehr die Unterschiede beider Briefe. Der Römerbrief dürfe nicht
zum Maßstab für die Auslegung des Galaterbriefes gemacht werden,
sondern der Galaterbrief müsse in seinem eigenen Anliegen gelesen
und verstanden werden. Die in 2Kor 10-13 und Phil 3 angegriffenen
Gegner seien auch nicht notwendig mit den Unruhestiftern identisch,
gegen die Paulus im Galaterbrief polemisiere, wenn auch ihre Predigt
und Aktivität von ähnlicher Bedrohung für die Wahrheit des Evangeliums
gewesen sei und er ähnliche Worte der Warnung an die Bekehrten
gegen jene gebrauche.

Ausführlich setzt sich der Vf. mit den Argumenten auseinander, die
in der Forschung zugunsten der nordgalatischcn und der südgalatischen
Hypothese vorgebracht wurden und werden. Unter Heranziehung
der Namen für die Reisebegleiter des Paulus, die in Apg 20,4
genannt werden (Gajus aus Derbe und Timotheus aus Lystra) und die
Paulus nach Jerusalem begleiten, kommt der Vf. zu der Meinung, daß
die in 1 Kor 16.1 erwähnten galatischen Gemeinden, die an der
Kollektensammlung für Jerusalem beteiligt sind, zweifellos mit den
Gemeinden identisch seien, an die der Galaterbrief gerichtet sei. Zwar
hält er die Frage der Briefempfänger nicht für absolut wichtig, neigt
aber doch stark zu der Ansicht, daß die Empfanger die südgalatischen
Gemeinden der ersten Missionsreise seien. Diese These sucht der Vf.
dann nicht nur gegenüber Lightfoot als einem Vertreter der nordgala-
tischen Hypothese und der Einheitlichkeit des 2. Korintherbriefes
(Abfassung des Gal in Ephesus während der 3. Missionsreise) zu verteidigen
, sondern auch gegenüber C. H. Buck, der in JBL 1951 von der
Aufteilung des 2. Korintherbriefes ausgeht und den Gal zeitlich nach
2Kor 1-9, aber vordem Römerbrief ansetzt. Indem der Vf. den Galaterbrief
als den ältesten Paulusbrief ansieht und ihn zeitlich vom
Römerbrief abrückt, lehnt er auch die seit W. Wrede vertretene
Ansicht ab, die paulinische Lehre von der Rechtfertigung allein aus
Glauben ohne Tun von jüdischen Gesetzeswerken sei lediglich eine
Kampfeslehre in Auseinandersetzung mit dem Judentum und dem
Judenchristentum. Das zeigt sich auch daran, daß der Römerbrief in
einer nichtpolemischen Situation geschrieben worden sei und daß
dennoch die Rechtfertigungslehre dort im Mittelpunkt stehe. Unter
Berufung auf Bornkamm und Käsemann vertritt der Vf. vielmehr die
Ansicht, daß die paulinische Rechtfertigungslehre nicht aus einer
polemischen Situation zu erklären und keine theologische Theorie
zur Christusbotschaft hinzu sei, sondern als die eigentliche Entfaltung
und Auslegung der Christusbotschaft, nämlich der Soteriologie als der
Auslegung der Christologie, zu beurteilen sei.

Für die Analyse der Gliederung stützt sich der Vf. zwar auf Darlegungen
von H. D. Betz. der im Gal einen apologetischen Brief sieht,
der nach den Regeln antiker Rhetorik aufgebaut sei, weicht dann aber
in der Einzelauslegung doch von dieser Gliederung ab, da es kaum
anzunehmen sei, daß Paulus angesichts seiner Erregung und der
Dringlichkeit der Krise, mit der er sich überraschend konfrontiert sah,
bei der Gliederung des Briefes sich sorgfältig an die Regeln der antiken
Schulrhetorik habe halten können.

Da auf Einzelheiten der Versexegese nicht eingegangen werden
kann, sei zur Reihenfolge und Methodik des Vorgehens nur folgendes
gesagt: Nach den Hauptglicdcrungsüberschriftcn gibt der Vf. zunächst
eine kurze Inhaltsangabe; dann folgen zu kürzeren Abschnitten die

englische Übersetzung mit anschließender Textkritik, wobei er sich
auf den griechischen Text stützt, der von den United Bible Societies
1975 publiziert wurde und praktisch mit der 26. Auflage des Novum
Testamentum Graece (Nestle-Aland) von 1979 identisch ist. Danach
folgt dann eine ausführliche "phrase-by-phrase exegesis" des griechischen
Textes im Zusammenhang mit den Kenntnissen über den historischen
und (vermuteten) geographischen Kontext und im Dialog mit
der Forschung auf diesem Gebiet, wobei hier, wie schon oben
erwähnt, über die in der Bibliographie hinaus genannte Literatur weitere
Veröffentlichungen in die Auseinandersetzung einbezogen
werden.

Die Auslegung ist auf das Ziel gerichtet, die These zu beweisen, daß
sich das eigentliche Evangelium des Paulus in Übereinstimmung mit
denen befindet, die vor ihm Apostel waren, und vor allem, daß er sich
auch in Übereinstimmung mit Jesus selbst befand. Insgesamt eine
interessante Auslegung, die auch sehr ausführlich über den internationalen
Forschungsstand informiert.

Berlin Joachim Rohde

Börse, Udo: Der Brief an die Galater, übers, u. erklärt. Regensburg:
Pustet 1984. 261 S. 8' = Regensburger Neues Testament. Kart.
DM 34,-; Lw. DM.46-.

An Gal-Kommentaren mangelt es z. Z. nicht. Ich nenne hier nur
die neueren von F. Mußner (HThK), H. D. Betz (Hermeneia) und
F. F. Bruce (The New Intern. Greek Test. Com.). Nun ist im RNT die
Neubearbeitung des Gal durch Udo Börse herausgekommen, in einer
Reihe, die sich in etwa an ähnliche Leserkreise wendet wie NTD (Gal
von J. Becker) oder ZBK (Gal von D. Lührmann). Über NTD und
ZBK hinaus bringt RNT in gewissem Ausmaß wissenschaftliche Diskussion
und wichtige Wendungen im gricch. Original.

Insgesamt liegt aus der Feder von B. ein interessanter Kommentar
vor. Im Gegensatz zu so manchen heutigen Versuchen. Paulus (P.) als
Theologen aufzugeben (s. z. B. meine Rezension von H. Räisänen.
Paul and the Law, ThLZ 110,1985, 894-896), hat er gerade die theol.
Aussagen des Gal bzw. die mit diesem Brief gegebenen theol. Probleme
in wesentlichen Teilen gut herausgearbeitet. Daß ich ihm nicht in
jedem Falle folgen kann, liegt bei so schwierigen und umstrittenen
Texten, wie sie nun einmal im Gal enthalten sind, in der Natur der
Sache. So setzt er sich z. B. argumentativ von meiner Exegese von
Gal 3,19 ab. Wer hier recht hat, muß die weitere P.-Forschung zeigen.
Sicherlich zu weit geht er aber in der zu positiven Interpretation des
Gesetzes im Gal, wenn er etwa die „geistige Haft" von Gal 3,23 „als
Sicherheitsverwahrung oder Schutzhaft" deutet, die „die Gefangenen
für einen späteren Zustand ... vorbereiten" soll (S. 137). Hier ist der
Gedanke der Kontinuität „Gesetz - Glaube" zu stark eingetragen.
Erfreulich ist, daß er Gal 5,14 von 5,3 absetzt und somit die beiden -
im griech. Text unterschiedlichen! - Wendungen „das ganze Gesetz"
in gegensätzlicher Weise auslegt. Da er aber dem philologischen Sachverhalt
nicht nachgeht1, ist seine Exegese hier nicht konsequent genug.
Es bleibt jedoch trotz dieser kleineren Monita bei dem Urteil: Der
Kommentar ist in der Nachzeichnung der Theologie des Gal hilfreich
und nützlich.

Größere Bedenken habe ich da, wo sich B. auf das Gebiet der historischen
Rekonstruktion begibt. Ob man seine z. T. sehr eigenwilligen
Wege - Eigenwilligkeit muß nicht unbedingt nur negativ gewertet
werden - wegen seines Mutes loben oder wegen des Übermaßes an
Kühnheit tadeln sollte, ist wahrscheinlich von Fall zu Fall Ermessensurteil
. B. erkennt richtig, daß sich P. gegen die judaistische Irrlehre
wendet. Damit liegt er ganz auf der Linie der neueren P.-Forschung,
die mit Recht die Gnostikerthese für die Gegner des P. in Galatien aufgegeben
hat. Bedenklich ist aber seine Hypothese, nach der es nicht
ausgeschlossen ist, daß die Galater selbst aus falschem Verständnis der
paulinischen Botschaft in den Judaismus geraten seien, während P.
sich die galatische Irrlehre nur durch äußeren Einfluß, also nur durch