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Ausgabe:

1986

Spalte:

194-196

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Strecker, Georg

Titel/Untertitel:

Die Bergpredigt 1986

Rezensent:

Guelich, Robert A.

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Theologische Literaturzeitung III. Jahrgang 1986 Nr. 3

194

stcl?" (M. Barth et al., Regensburg: Pustet 1977, 45-134). Inhaltlich
hat B. kaum etwas geändert. Nur die Bermerkungen zur Politik des
heutigen Israel sind schärfer gefaßt. Überschriften und Zwischenüberschriften
zu den Kapiteln und Unterabschnitten sowie die Präzisierungeinzelner
Argumente machen die Gedankenführung durchsichtiger
. Ausführliche Register (Stellen, Verfasser, die wichtigsten neuen
kirchlichen Dokumente; 95-101) erleichtern die Benutzung der
Schrift, der Abdruck der Anmerkungen im Anhang (73-93) erschwert
sie.

B. will mit Hilfe des Paulus die Frage beantworten, wer das Volk
Gottes ist. Seine Antwort: Niemand habe ein Monopol auf diesen
Titel. Zum Gottesvolk gehören die Kirche, die Synagoge, der Staat
Israel und alle säkularisierten Juden; denn seit der Berufung Abrahams
würden auch die Ungeliebten von Gottes Erbarmen und Geduld
erhalten, und am letzten Tage würde Gottes Treue alle Untreue überwinden
. Schon jetzt aber sollten Juden und Christen sich als „Glieder
des Gottesvolkes und Kinder desselben Vaters" erweisen, und zwar
„durch die Anrufung und Ausrufung seines Namens, durch brüderliches
Miteinander und durch die missionarische Verantwortung für alle,
die sich der gnädigen Erwählung Gottes noch nicht bewußt sind" (72).

Zu dieser Antwort gelangt B. in drei Schritten. Zunächst behandelt
er die Problematik, die mit den Äußerungen des Paulus über das Gottesvolk
sowie ihrer Deutung verbunden ist ("I Tensions in Paul and
among his Interpreters", 11-27), dann die Argumente, mit denen
Paulus die Einheit des Gottesvolkes begründet ("II The Testimony of
Romans 9-11 and other Pauline Texts", 29-49), und schließlich die
Konsequenzen, die sich daraus für das heutige Zusammenleben von
Christen und Juden ergeben ("III The Church and the Jewish People
Today", 51-72). Widersprüchlich scheine, daß Paulus einerseits die
unzerstörbare Liebe Gottes zum jüdischen Volk „um der Väter willen
" (Röm 11,28 f) betont ; andererseits polemisiere er gegen die Juden
und sie seien für ihn aus Gottes Volk ausgeschieden (IThess 2,1 5f;
Röm 11,19-21). Das lasse sich weder durch den Hinweis auf die Psychologie
des Paulus noch durch die Annahme einer Entwicklung im
Denken des Paulus erklären. Unbefriedigend seien auch die mehr
theologischen Deutungen, nämlich die Substitutionstheorie (die
Kirche löst Israel ab), die Rede vom „Rest Israels" (= Judenchristen)
oder vom „gespaltenen Gottesvolk" und die „Zwei-Häuser-Theorie"
(Juden und Christen bedürfen und bereichern einander). Vielmehr
finde sich die Lösung im ganzen Abschnitt Röm 9-1 1 und in Eph 2 -
für B. ist der Epheser authentisch und ein „Schlüssel für Interpretation
des früheren Römer" (48). Röm 9-11 zeige: Gott allein bestimme, wer
Gottes Volk sei, nicht aber das Selbstbewußtsein von Juden oder Christen
. Die Existenz von Israel als Volk Gottes durch die Wandlung der
Geschichte hindurch stehe jenseits aller Diskussion. Zu Israel hätten
stets auch Repräsentanten der Feinde Gottes wie Pharao und Nichtge-
liebte wie Ismael und Esau gehört, und Israel würde erst zusammen
mit allen Völkern gerettet werden. Auch die Geschichte der Kirche
aus Juden und Heiden sei noch nicht an ihrem Ziel; in ihr werde das
eine Volk Gottes nur vorläufig und fragmentarisch repräsentiert und
sie sei gerade so ein Aufruf an alle Völker und ganz Israel, sich in
einem Hause zum Dienste Gottes zu sammeln. Eph 2 aber verdeutliche
die christologische Basis: Die Kirche aus Juden und Heiden sei
durch den Tod des jüdischen Messias zustandegekommen, und zwar
als der „Leib" und/oder die „Braut" Christi. Einzig dann dürfe sich
diese Kirche „Leib Christi" oder „Volk Gottes" nennen, wenn sie
anerkenne, daß sie an der Geschichte und Gemeinschaft der Juden
teilhat. Wer ohne den jüdischen Messias Jesus und ohne das Volk, aus
dem er stammt, Frieden auf Erden wünsche, der würde sich selbst vom
Heil trennen. Auf dem Hintergrund dieser Interpretation von
Röm 9-11 und Eph 2 sind der dogmatische Spitzensatz B.s und
dessen aktuelle Erläuterung zu sehen: Weil Gott treu sei. könne man
von einem „character indclcbilis" der Juden sprechen; „nicht einmal
der schrcckcnerregcnde Libanonkrieg 1982 und das von israelischen
Autoritäten erlaubte Massaker können Israels Erwählung zerstören
oder begrenzen" (53).

B.s eindrücklicher Sicht des Gottesvolkes wird man durch pauschale
Zustimmung oder Ablehnung sicher nicht gerecht. Nicht dem
dogmatischen Spitzensatz, wohl aber dessen exegetischer Begründung
hat die Aufmerksamkeit zu gelten. Sagt Paulus tatsächlich in Röm 9,
Gottes Volk sei von Anfang an aufgespalten in Erwählte (Isaak und
Jakob) und Nichterwählte (Ismael und Esau) und die letzteren seien
auch Glieder Israels und als solche Repräsentant der Völker, „die dem
Pharao und den Heiden die Tür zum Eintritt in das den Namen Gottes
preisende Volk offenhalten" (37)? Kaum, denn Ismael und Esau gehören
in Röm 9 gerade nicht zu Israel, und eine Funktion im Plan Gottes
hat Pharao, nicht aber sie. Pharao ist der Prototyp für die Heilsfunktion
des verstockten Israels in Röm 11, nicht Ismael und Esau. Empfiehlt
es sich wirklich, Röm 9-11 mit B. vom Epheserbrief her zu deuten
? Kaum, denn im Epheserbrief (ob authentisch oder nicht) ist
gerade das ungläubige und verstockte Israel von Röm 9-11 nicht
mehr im Blick. Sicher ist: Man wird bei diesen Fragen nur weiterkommen
durch eine gründliche Exegese von Röm 9-11 und Epheser
2, und eben dazu regt B. kräftig an.

Münster ' Martin Rese

Strecker, Georg: Die Bergpredigt. Ein exegetischer Kommentar. Göttingen
: Vandenhoeck & Ruprecht 1984. 194 S. gr. 8'. Kart.
DM 38,-; geb. DM 50,-.

Strecker schreibt seinen Kommentar, um „einen Beitrag zum
geschichtlichen Verständnis der Evangelien und zum Problem der
richtigen Bergpredigtauslegung zu leisten" (5). Er verfolgt sein erstes
Ziel, indem er die Bergpredigtauslcgung a) als das Endprodukt der
redaktionellen Überarbeitung b) der Traditionen durch den Evangelisten
analysiert, die in verschiedenen Stadien von den urchristlichen
Gemeinden entwickelt und angewandt wurden, und c)dessen Kern zu
der Verkündigung des historischen Jesus zurückreicht. Er verfolgt sein
zweites Ziel, indem er sich auf die „ursprüngliche Aussage" der Bergpredigt
konzentriert, die er als die notwendige Voraussetzung für das
richtige Übertragen ihrer „Meinung" in die Gegenwart sieht (23).

In der Einführung legt Strecker seine literarischen Voraussetzungen
dar, denen eine kurze Auslegungsgeschichte folgt. Auf Grund der klaren
sachlichen und strukturellen Übereinstimmung zwischen der
Bergpredigt (Mt 5-7) und der Feldrede (Lk 6,20-49) und seiner exegetischen
Analyse nimmt der Autor eine zugrundeliegende griechische
„Q-Quellenschrift" an, die Matthäus und Lukas in der jeweiligen Gestalt
ihres „Q-Exemplars" (QMT, QLK) zur Verfügung stand. Diese
verschiedenen Exemplare erklären teilweise die Unterschiede zwischen
Mt 5-7 und Lk 6,20-49, deuten aber auch daraufhin, daß die
Tradition mehrere Entwicklungsstadien durchschritt, und daß wir
deshalb keinen direkten Zugang zu der historischen Verkündigung
Jesu haben. Die Auslegungsgeschichte, die nach Auslegungstypen von
Luther bis zur gegenwärtigen Friedensbewegung gruppiert ist. ist ausgesprochen
„evangelisch" und „deutsch", indem vorreformatorische
und katholische Werke der Vergangenheit und Gegenwart selten oder
gar nicht erwähnt werden (z. B. T. Soiron, Die Bergpredigt Jesu, und
J. Dupont, Lei Beatitudes) und die Literaturangaben sich fast ausschließlich
auf deutschsprachige Werke begrenzen (z. B. wird Dupont
nicht im Literaturverzeichnis erwähnt).

Strecker teilt die Bergpredigt in drei Abschnitte ein: Auftakt
(5,3-12); Korpus (5,21-7,12); Schlußmahnungen und -gleichnisse
(7,13-27); die von einer Situationsangabe (5,1-2) und einem Nachwort
(7,28-29) umschlossen sind. Aus dieser Gliederung geht 5,20 als
die Überschrift für 5,21-7,12 hervor (23), das dann auch das Thema
der Bergpredigt als „die Forderung der Gerechtigkeit" darlegt (160).
Diese Gerechtigkeit bedeutet die Verwirklichung des im alttestament-
lichen Gesetz und in den Propheten ausgesprochenen Gotteswillcns
(5,17-19) (63), welchen Jesus selbst „in seinem vorbildhaften Auftreten
", vor allem aber auch in seiner Bergpredigt lehre erfüllt (5,17), welche
„Gesetz und Propheten ,zum vollen Maß bringt', d. h. in ihrer
eigentlichen Bedeutung bestätigt" (57). Kurz, für Matthäus macht die