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Ausgabe:

1986

Spalte:

188-190

Kategorie:

Judaistik

Titel/Untertitel:

Aus dem Leben einer jüdischen Familie 1986

Rezensent:

Wiefel, Wolfgang

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187

Theologische Literaturzeitung 111. Jahrgang 1986 Nr. 3

188

die Hinrichtung hoher Beamter [S. 106] würde Hadrian nicht stärker
als andere Kaiser belasten.)

Mit ihren Legenden und Bildern auf Münzen suchten die Aufständischen
möglichst alle Juden anzusprechen. Dennoch weisen einige
Briefe Bar Kosibas auf Spannungen hin (z. B. gegenüber Männern von
Thekoa). Müßte hier nicht doch noch radikaler nach dem Verhältnis
von Gruppierungen innerhalb der Juden Palästinas gefragt werden, als
M. es tut?

Briefe, Dokumente und Münzen geben keine eindeutigen Kriterien,
daß der Aufstand mit messianischen Ideen verbunden war (etwa
Weintraube oder Stern). Mit Bezug auf diese Zeugnisse wendet sich M.
dagegen, eine Proklamation durch Rabbi Akiba zum Messias anzunehmen
, wenn er auch eine Unterstützung durch den Rabbi für möglich
hält. Ob der Titel des „Nasi", der „Erlösung" und „Befreiung
Israels" bringen wird, vielleicht auch messianisch verstanden wurde,
erwägt M. nicht; ebenso nicht, ob andere Titel verwendet werden
könnten. Doch damit dürfte sich von neuem die Frage nach Verständnis
und Ausbeutung der Münzen in damaliger Zeit stellen. Denn auf
Grund der schmalen Quellenlage bleiben manche Interpretationsmöglichkeiten
offen, so daß letztlich Behauptung gegen Behauptung
steht (so hat etwa M. in einer Veröffentlichung aus dem Jahre 1949
[also vor der Auftindung der Bar Kochba-Dokumente] den „Simon"
der Münzen nicht für den Simon Bar Kosiba gehalten). Wäre es deshalb
nicht möglich, daß man z. B. den Königstitel auf Münzen vermied
, weil damit an hasmonäische oder herodianische Könige
erinnert würde? Herodes Archelaos z. B. hat auch die Weintraube auf
Münzen prägen lassen, aber gewiß nicht, um messianische Vorstellungen
damit zu verbinden. Sofern nun Ausdeutungen offenbleiben,
dürfte man u. a. die Äußerungen über messianische Ideen bezüglich
Bar Kosiba in der rabbinischen und christlichen Literatur (trotz Kritik
an manchen Aussagen) nicht so einfach zurückweisen.

Es ist zu hoffen, daß durch neue Textfunde weitere Klärungen erfolgen
. Um so wichtiger ist es, daß M. mit der Veröffentlichung dieses
numismatischen Werkes ein wichtiges Arbeitsbuch vorgelegt hat, das
für jede weitere Beschäftigung mit dem Bar Kochba-Aufstand unerläßlich
ist.

Berlin Karl Matthiae

Baumann, Arnulf H., Käte Mahn u. Magne Saebn [Hg.]: Luthers
Erben und die Juden. Das Verhältnis lutherischer Kirchen Europas
zu den Juden. Hannover: Lutherisches Verlagshaus 1984. 144 S. 8°.
Kart. DM 16,80.

„Die Frage, wie sich Luthers Erbe zu den Juden in ihrem Bereich
verhalten haben, ist durch das Lutherjahr 1983 verstärkt aktuell
geworden. Immer wieder, wenn die Ausfalle des späten Luther gegen
die Juden zur Sprache kamen, tauchte die Frage auf, ob und inwieweit
Luthers Haltung gegenüber den Juden auch bestimmend für das Verhalten
der lutherischen Kirchen geworden sei.

Das vorliegende Buch bietet einen Uberblick über die Entwicklung
in den evangelisch-lutherischen Kirchen in der Mitte, im Norden und
Westen Europas von der Reformationszeit bis heute ... Zugleich werden
aber auch Grundsatzfragen behandelt, die heute im Verhältnis
zwischen Christen und Juden aktuell sind, nicht zuletzt die nach der
rechten Weise des christlichen Zeugnisses gegenüber den Juden. Diese
Erörterungen dienen der Weiterführung des Gespräches innerhalb der
Lutherischen Europäischen Kommission Kirche und Judentum, sie
wollen aber auch Anstöße geben für ein weiteres Nachdenken über
diese Fragen in den lutherischen Kirchen." (S. 9)

Mit diesen Worten umreißen die Hgg. selber treffend Inhalt und
Anliegen der Studie, die durch die Lutherische Europäische Kommission
Kirche und Judentum in den vergangenen Jahren erarbeitet worden
ist. Sie „wendet sich an lutherische Christen in ganz Europa,
denen das Verhältnis von Juden und Christen am Herzen liegt, insbesondere
an solche, die aktiv im kirchlichen Dienst stehen oder sich in

der Begegnung mit Juden engagiert haben. Sie kann zur Vertiefung
ihrer Kenntnisse über die Entwicklung im eigenen Land helfen, aber
auch ziy Erkenntnis, wie und warum es in anderen Ländern anders
gelaufen ist." (S. 11)

Der Inhalt gliedert sich in sieben Abschnitte, die in sich allerdings
noch einmal stark unterteilt sind: Die lutherische Reformation und
die Juden - Die Geschichte des Verhältnisses zwischen den lutherischen
Kirchen in einigen Ländern Europas und den Juden - Die
lutherischen Kirchen Europas und ihr Verhältnis zu den Juden in der
Gegenwart - Probleme und Positionen im Verhältnis der lutherischen
Kirchen zu den Juden - Organisationen - Literatur - Anhang (Be-
griffserklärungen, Register).

Sicher ist das Ganze überaus knapp. Der so weit gespannte geographische
und zeitliche Rahmen - und das ist gerade das über alle sonstigen
Publikationen der neueren und neuesten Zeit hinausführende Besondere
dieses Buches - kann auf derart begrenztem Räume mit kaum
mehr als Stichworten gefüllt werden. Dennoch ist den Hgg. recht zu
geben, wenn sie (auch im Vorwort) feststellen: Das Buch „zeigt, wie
außerordentlich unterschiedlich sich die Einstellungen und Verhaltensweisen
zu den verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Ländern
ausgeprägt haben". Und weiter: „Es bietet Material zur Beantwortung
der eingangs gestellten Frage, wie es nirgends sonst zugänglich
ist." (S. 9) Und das wiederum liegt nicht zuletzt daran, daß die
einzelnen Abschnitte von verschiedenen kompetenten Autoren oder
speziellen „Arbeitsgruppen aus allen Bereichen der in der Lutherischen
Europäischen Kommission Kirche und Judentum vertretenen
Kirchen und Organisationen ausgearbeitet" wurden (S. 144).

So werden viele Anregungen und weiterführende Hinweise geboten,
für die man allen Mitarbeitern und den Hgg. dankbar sein kann. Demgegenüber
ist es nur ein geringer Schönheitsfehler, daß für viele Dokumente
, die genannt oder z. T. direkt zitiert werden, genauere Nachweise
fehlen. Das Literaturverzeichnis am Schluß vermag das nicht
aufzufangen.

Schöneichc Hubert Kirchner

Stein, Edith: Aus dem Leben einer jüdischen Familie. Das Leben
Edith Steins. Kindheit und Jugend. Vollständige Ausgabe 1985.
Druten: De Maas & Waler; Freiburg-Basel-Wien: Herder 1985.
XXXI, 376 S., 27 Taf. gr. 8' = Edith Steins Werke, VII. Lw.
DM 68,-.

Dem Lebensweg Edith Steins-nachzudenken, bedeutet noch heute,
über vier Jahrzehnte nach ihrem gewaltsamen Tod im Konzentrationslager
Auschwitz, sich einem Exerzitium der Trauer zu unterziehen
. Der Blick auf das als Torso hinterlassene Lebenswerk der vom
Judentum zum Katholizismus konvertierten Philosophin läßt ahnen,
welche denkerische Potenz hier der europäischen Geisteswelt entrissen
wurde. Die Mehrzahl derer, die sie heute verehren, haben Gestalt
und Schicksal durch eine bald nach dem Kriege erschienene Biographie
kennengelernt. Der Kölner Karmel, dem Edith Stein als Schwester
Teresia Benedicta a Cruce seit 1934 zugehörte, hatte sie bereits
1948 herausgebracht.' Ihr lagen die autobiographischen Aufzeichnungen
zugrunde, die später zunächst in einer unvollständigen Fassung
unter dem Titel Kindheit und Jugend veröffentlicht wurden.2
Erst jetzt nach dem Tode ihrer Geschwister3 kann die unverkürzte
Gestalt im Rahmen einer noch nicht abgeschlossenen IObändigen
Werkausgabe4 erscheinen.

Daß das Buch nunmehr „Aus dem Leben einer jüdischen Familie"
heißt, trägt einer durch den christlichriüdiscrien Dialog veränderten
Bewußtseinslage Rechnung, entspricht aber auch der inneren Ausrichtung
des zu Lebzeiten der Philosophin unveröffentlichten Lebensberichts
. Er wurde zum größeren Teil in den Jahren 1933-1935, zum
kleineren im Frühjahr 1939 aufgezeichnet."Beidemal erfolgte der Abbruch
der Niederschrift angesichts einer wichtiger erscheinenden philosophischen
Arbeit: imersteren Falle zugunsten der Studie Endliches
und ewiges Sein, im anderen im Zusammenhang mit dem Auftrag für