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Ausgabe:

1986

Spalte:

183-185

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Long, Burke O.

Titel/Untertitel:

I Kings 1986

Rezensent:

Thiel, Winfried

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Theologische Literaturzeitung III. Jahrgang 1986 Nr. 3

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von ihnen noch für sekundär (ÜPent 232ff), so erkennt Blum, daß sie
schon an ältesten Erzählungen (Gen 18) und Kompositionen vorgegeben
sind. Sie ist ein Erbe der segmentären vorstaatlichen Gesellschaft
, stammt aber in der in der Vätergeschichte vorausgesetzten entwickelten
Form eher aus der späten Richterzeit (12-Stämmevolk).
Das bedeutet aber: „Die früheste methodisch ausweisbare Vorgeschichte
unserer Überlieferung geht z. E. zurück in die vorstaatliche
Zeit" (504 Anm. 22), die ältesten Kompositionen gehören in die frühe
Königszeit. Damit ist aber - nach Blum - jeglicher Rekonstruktion
einer „Väterzeit" oder „Väterreligion" in der nomadischen Vorgeschichte
Israels der Boden entzogen (gegen die von Alt ausgehende
Forschungsrichtung und auch gegen den Rezensenten). Allerdings gesteht
Blum am Ende versöhnlich zu, daß die von Westermann herausgearbeiteten
familiären Bedeutungsaspekte der Vätererzählungen
ohne die sie belastenden überlieferungsgeschichtlichen Implikationen
ihre Wichtigkeit neben der von ihm betonten völkergeschichtlichen
Grundtendenz behalten („Die Polyvalenz der Vätergeschichten"
5050-

Das Referat hat hoffentlich deutlich gemacht, daß es sich hier um
einen ausgesprochen interessanten, detailliert ausgearbeiteten und
abgerundeten Neuentwurf handelt, der nicht nur für die Rekonstruktion
der Entstehungsgeschichte, sondern auch für das Verständnis der
Vätergeschichte weitreichende Konsequenzen hat. Die Ausführungen
zur Jakobgeschichte halte ich über weite Strecken für voll überzeugend
(hier scheint mir nur in der Verknüpfung der Josefgeschichte,
bes. hinsichtlich ihres Schlusses noch ein Problem zu liegen; vgl. die
andeutenden Überlegungen C. Westermanns hierzu, Genesis 3,8-10).
Nicht ganz so überzeugend erscheint mir das entworfene Bild vom
Wachstum der Abrahamstradition zu sein; hier klafft zwischen der
Abraham-Lot-Erzählung und der „Vätergeschichte 2" eine zu große
Lücke. Aber selbst wenn es richtig sein sollte, daß erst in exilischcr
Zeit Einzelerzählungen wie Gen 12,10-20 oder Gen 16 in die Abrahamserzählung
eingearbeitet sein sollten (warum z. B. in
Gen 12,6-13,4 so kompliziert, wenn Rahmen und Einfügung einem
einzigen Bearbeiter zugeschrieben werden?), dann schneidet Blum die
Frage nach der Herkunft dieser Einzelerzählungen doch vielleicht zu
schnell ab: Gen 12,10-20 ist doch wohl kaum durch seine - keineswegs
markanten - Hinweise auf die Exodustradition hinreichend
erklärt, kann man dann aber so rigoros sagen, daß eine „Rückführung
auf die nomadische Vorzeit" ausgeschlossen sei (309)? Dagegen
scheint mir in der Bestimmung der D-Schicht Blum gegenüber früheren
Ansätzen (Kessler, Rendtorff u. a.) ein gutes Stück vorangekommen
zu sein, auch im Hinblick auf eine Pentatcuch und DtrG verknüpfende
Redaktion. Auch den Nachweis, daß P in der Vätergeschichte
nicht Quelle, sondern Bearbeitungsschicht ist, halte ich lür
überzeugend gelungen; aufgrund dieser Annahme erklärt sich z. B.
zwanglos, warum ein Toledot Abrahams (= Isaakgeschichte) fehlt.

Das endgültige Urteil über dieses gewichtige Werk wird sich erst im
weiteren Gang der Forschung herausbilden; doch gehe ich von mir
aus, zu welcher weitreichenden Revision meiner früheren Ansichten
mich seine (zweimalige)" Lektüre gebracht hat, dann möchte ich die
Voraussage wagen, daß es - komplettiert durch eine Kompositionsgeschichte
von Ex bis Dtn, an der Blum jetzt arbeitet - eine ähnlich
große Wirkung auf die Forschung haben wird wie sein berühmter Vorgänger
vor 100 Jahren: „Die Composition des Hexateuchs ..." von
Julius Wellhausen.

Siegen Rainer Albertz

Long, Burke O.: 1 Kings with an Introduction to Historical Literature.
Grand Rapids, Michigan: William B. Eerdmans Publishing Company
1984. XV, 265 S. gr. 8' = The Forms of the Old Testament
Literature, IX. Kart. £ 18.60.

Die Kommentarreihe "The Forms of the Old Testament Literature
(FOTL)", als deren dritter Band das vorliegende Buch erschien,' wendet
sich an ein breites Publikum. Dennoch verläßt sie die Bahnen herkömmlicher
Kommentarwerke. Ihre Eigenart besteht in der Konzentration
auf die formkritische Analyse; die anderen in den Kommentaren
normalerweise verhandelten Fragestellungen spielen nur eine
Rolle, sofern sie diesem Hauptzweck dienen. Übersetzungen und textkritische
Erörterungen sind nicht beigegeben. Die Kommentierung
der Texte erfolgt nach einem festen Schema: Structure (mit - gelegentlich
seitenlangen - tabellarischen Übersichten), Genre, Setting, Intention
, Bibliography. Da die Interpretation jeweils in analoger Weise
von der größeren zur kleinen Einheit fortschreitet, ergeben sich zahlreiche
Wiederholungen.

Der Kommentar wird durch eine "Introduction to Historical Literature
" eröffnet, in der als "Basic Genres of Historical Literature"
Genealogien, Listen, Notizen, Erzählungen, Annalen, Chroniken,
Geschichtsberichte, Biographien, Memoiren, Geschichtswerke charakterisiert
werden. Die folgende "Introduction to 1 Kings" bespricht
Aufbau, Entstehung, Formen und Absicht der beiden Königsbücher.
Dabei geht L. auch auf das Problem des Deuteronomistischen Geschichtswerks
(DtrG) ein. Bemerkenswert ist die scharfe Kritik, die er
an den Vertretern einer doppelten (Gray, Friedman, Freedman, Cross,
Nelson) und einer mehrfachen (H. Weippert, Dietrich, Smend, Vei-
jola, Würthwein) dtr. Redaktion des Geschichtswerkes übt. Er bemängelt
die Schwäche ihrer Argumentationsbasis und die Disparatheit der
Resultate, verweist auf das Mißverständnis der Hyperbel von der
„ewigen" Dynastie als real gemeinte Aussage und entdeckt problematische
Voraussetzungen, von denen gelte: "All these assumptions are
based on little more than modern cultural preferences and literary ta-
stes." (18) L. selbst schwebt ein Modell ähnlich dem M. Noths vor:
"composed by one person and . . . essentially a unified work" (21), ein
„parataktisch" gestaltetes Ganzes mit relativ geringen Erweiterungen
(z. B. 2Kön 17,34-41). Das ist eine beachtliche Konzeption, die der
integrativen Art dtr. Sprach- und Denkweise Rechnung trägt. Allerdings
dürften die von L. zum Vergleich herangezogenen außerbiblischen
Texte, die assyrischen Königsinschriften und das Geschichtswerk
Herodots, keine besonders treffenden Parallelen zum DtrG darstellen
.

Ähnlich zurückhaltend gegenüber der Annahme redaktioneller
Schichtungen beurteilt L. die Kapitel I Kön 1 und 2. In Kap. 1
erkennt er anscheinend den Abschluß der „Thronfolgegeschichtc".
Der Text stellt eine Einheit dar; seine Struktur "seems less determined
by some political point than by the requirements of good narrative"
(36). Nicht nur in der Abschiedsrede 2,1-9.10— 12a, sondern auch in
2,12b-46 sieht L. eine dtr. Komposition vorgegebener Überlieferungen
, obwohl sich in der letzteren Einheit nur wenige dtr. Spuren finden
. 2,12b—46 stelle eine Brücke zwischen den Regierungen Davids
und Salomos dar. Die Einheit enthalte keinesfalls Kritik an Salome
sondern eher eine Rechtfertigung seiner Aktionen. Außerdem wolle
sie die Kontinuität zwischen der Herrschaft Davids und der Salomos
aufzeigen.

Ansonsten aber sind Literarkritik, Übcrlieferungs- und Redaktionsgeschichte
nicht Anliegen dieses Kommentars. Im wesentlichen begnügt
er sich damit, zur jeweiligen Einheit die Problemlage zu benennen
, den Stand der Forschung zu skizzieren und (in der Regel) das
Fehlen eines Konsenses zu konstatieren. Der Verzicht auf Herausarbeitung
älterer Überlieferungsformen hat freilich Konsequenzen.
Nicht nur große redaktionelle Kompositionen, sondern auch kleinere
Einheiten können oft nur hinsichtlich ihres „Sitzes" im Kontext und
ihrer Funktion im größeren Ganzen bestimmt werden. So ergeben
sich hinwiederum zahlreiche wichtige Beobachtungen zu den redaktionellen
Verfahren und Prinzipien im DtrG.

Der Abschnitt "Genre" bietet eine Bestimmung der Form sowie der
Gliedgattungen ("generic elemcnts"). Zur Gattungsdefinition mögen
einige Beispiele genügen. Die Geschichte von der Königin von Saba
(10,1-10.13) bestimmt L. als „Legende", den Abschnitt 11,1-13 als
„theologische Beurteilung (theological review)", 12,1-20 als „Erzählung
", 12,21-24 als „Bericht", den großen Zusammenhang
12,33-13,34 als „Prophetenlegende", ebenso auch die Elia-Geschich-