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Ausgabe:

1985

Spalte:

174-177

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Kellenberger, Edgar

Titel/Untertitel:

haesaed wae'aemaet als Ausdruck einer Glaubenserfahrung 1985

Rezensent:

Wächter, Ludwig

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Theologische Literaturzeitung 1 10. Jahrgang 1985 Nr. 3

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wirkendes höheres Wesen" (das dem Menschen nach seinem Tun
richterlieh vergilt) oder „als der sittlich bestimmte Grund alles Wirklichen
und die positive Kraft des Wirklichkeitsprozesses"* vorzustellen
sei.

Die vorliegende Studie von P. D. Miller beabsichtigt nicht, die
Frage der Existenz bzw. Nichtexistenz eines Vergeltungsglaubens im
Alten Testament umfassend zu beantworten (vgl. S. 6.121). Vielmehr
hat sich ihr Verfasser aus gutem Grund auf den Bereich der prophetischen
Verkündigung (vor allem des 8.-6. Jh. v. Chr.) konzentriert, um
hier - unter Aufnahme der Arbeiten von H. W. Wolff, C. Westermann
und N. Lohfink zur Struktur des prophetischen Gerichtswortes
-den stilistischen und theologischen Implikationen der Entsprechung
von Sünde und Gericht/Strafe nachzugehen: "This essay ... is a
study of the device/pattern/motif of correspodence between sin and
judgment. crime and punishment. that is, the prophetic announce-
ment that punishment will bc aecording to, in some way like. or
appropriate in either a literal or symbolic fashion to the sin
committed." (S. I) Obwohl die Propheten die Relation von Sünde
und Gericht/Strafe in unterschiedlicher Weise thematisiert haben,
laßt sich doch so etwas wie ein gemeinsames "correspondence
pattern" erkennen. Um dessen rhetorische Funktion und theologisches
Profil geht es in den vier Kapiteln des Buches.

Während Kap. I (S. 7-95) zunächst die relevanten prophetischen
Texte des 8.-6. Jh. v.Chr. (Hos2.2-l5: 4,1-3.4-6.7-10: 7.1 I f;
8-I-6: 10.1 f.l3b-15: Am5.7.IOf; 6,1-7: 7.161'; Mi 1.7: 2,1-5;
3.1-4.5-7.9-12: 7,4; Jes 1,19f.21-26.29-31; 3,16-4,1; 5,8-10; 7.9;
8.5-8: 28.1-4.7.-13.14-18: 29,1-3: 30.1-5.15-17; 31,1-3; 33,1;
Hab2,6b-8a.l5f;Jcr 5,12-17.19; 14,13-16; 23.lf; 30,16; Ez 27-28;
I5,14f; 36,6). "other poetic texts" (Jl 3,4-8: Dtn 32.21) sowie
ausgewählte Stücke aus den Geschichtsbüchern (2Sam 12;
ISam 2.27-36: 15.10-31.33; I Kön 21,17-24; 14.7-16; 2Kön
21,10-15; 17.15.20; I Kön 13.lf: 20.42; Jos 7.25; Ri 1,7) vorstellt
und analysiert', fragt Kap. II (S. 97-110) nach der Herkunft und
dem Sitz im Leben des "correspondence pattern". Miller kommt zu
dem Ergebnis, daß in der Hauptsache drei Quellen der Entsprechungsvorstellung
festzustellen sind: I. mehr oder weniger allgemeines
Sprach- und Stilmuster "wherein poetic justice is a common
»terary device*1 (S. 98): 2. Fluchformulicrungcn, wie sie in vergleichbaren
Vertrags- und Bundcsschlußdokumcnten des Alten Orients zu
linden sind und 3. Rechtsvorstellungen, die sich in "a talionic style or
Way of thinking" (S. 102) niederschlagen. In diesem letzten Bereich
'aßt sich das Material in drei gegenseitig überlappende Kategorien
aulteilen: in die allgemeine Entsprechung von Sünde und Strafe, in die
talionic correspondence" (d. h. Sündc-Strafc-Rclation nach dem
Muster des ius talionis) und in die sog. „Spiegelstrafe". Von den untersuchten
Texten werden der zweiten Kategorie Hab 2. 15-17;
Jl 4,4-13; Dtn32.2l; Mi 2.1-5: 3.1-4: Hos4,4-6; Jer.30,16;
Jes33,l; 3.11 und der dritten Kategorie Am 7.161'; Hos 10.1-3;
2Sam 12.10a; Hos 10.13-15: Mi 3,1 5 zugeordnet.

Unter Herausstellung der stilistischen und theologischen Aspekte
'aßt Miller in den beiden abschließenden Kap. III (S. 111-119) und
'V (S. 121-139) seine Ergebnisse zusammen. Dabei läßt sich das
untersuchte Textmaterial stilistisch mehrfach klassifizieren: im Blick
auf die verarbeiteten "talionic featurcs" (genannt werden sechs unterschiedliche
Konstellationen von einer Nominalform bis hin zur"non-
•alionic correspondence"). im Blick auf Bedeutung und Inhalt sowie
lrn Blick auf stilistische Eigentümlichkeiten (Wortwiederholungen.
Stilfiguren wie Vergleich. Metapher. Wortspiel, u.a.). Was sich
schließlich theologisch zu der Entsprechung von Sünde und Gericht/
Strale sagen läßt, hat der Verfasser vor allem im kritischen Gespräch
ni|t K. Koch herauszuarbeiten versucht. Er kommt dabei zu dem
Ergebnis, daß sich der Textbefund insofern als komplex darstellt, als
cnigen der untersuchten Texte die Auffassung von der ..schicksal-
wirkenden Tatsphäre" zugrundeliegt (S. 132-134), während andere
die Strafe als äquivalente Vergeltung Jahwes begreifen (S. 134-137).
So rechnet Miller anders als Koch mit einem größeren Anteil des

göttlichen Gerichtshandclns am innerweltlichcn Geschichtsprozeß:
"One of the clear conclussions of this study is that a notion of
retributive justice is not incompatible with an understanding ofdivine
judgment wrought out in the processes of history." (S. 138)

Die material- und gedankenreiche Studie von P. D. Miller, die
durch eine (zu selektive) Bibliographie7 abgeschlossen wird, darf nicht
nur als ein wichtiger Beitrag zur Struktur des prophetischen Gerichtswortes
, sondern auch zur Theologie des Alten Testaments angesehen
werden. Seit K. Kochs frühem und vieldiskutiertem Aufsatz über das
..Vergeltungsdogma" hat sie ein Zentralproblem biblischer Theologie
wieder nachdrücklich in Erinnerung gebracht. Darin ist ihr Hauptver-
dienst zu sehen.

Tübingen Bernd Janowski

1 Gibt es ein Vergeltungsdogma im Alten Testament?, ZThK 52, 1955.
S. I -42 = Ders. [Hrsg.], Um das Prinzip der Vergeltung in Religion und Recht
des Allen Testaments(WdF 125), Darmstadt 1972. S. 130-180.

' K. Koch im Vorwort (S. XI) des in Anm. I genannten Sammelbandes.

1 S. etwa G. von Rad. Theologie des Alten Testaments. Bd. I. München
'1966, S. 277fT,

4 Kritische Stimmen (H. Oese. F. Horsl. H. Graf Reventlow. J. Scharbert)
hat K. Koch in dem von ihm herausgegebenen Sammelband (s. Anm. I) zu
Wort kommen lassen. Zum Diskussionsstand s. jetzt W. SchottrolT. Art. pqtl.
THAT II. 1976. Sp. 466-486. hier: Sp. 479IY; W. S. Towner. Art. Retribution.
IDBSuppl. Volume. Nashvillc 1976. S. 742-744: R. Martin-Aehard u. a.. Art.
retribution. DBSX. fasc. 56. 1982. Sp. 582-586; K. Seybold, Art. Gerieht
Gottes, TRE XII. 1984. S. 459-466. hier: S. 463f. jeweils mit der älteren Lit.:
zum Problemkreiss. ferner G. Andre. Determiningthe Destiny. PQD in theOld
Testament (CB.OT 16). Lund 1980; R. Adamiak, Justice and History in the Old
Testament. The Evolution of Div ine Retribution in the Historiographies of the
Wildcrncss Generation, 1982.

5 K. Koch (-J. RololT). Art. Tat-Ergehen-Zusammenhang, in: K. Koch u. a.
[Hrsg.). Reclams Bibellexikon. Stuttgart 1978. S. 486-488. hier: S. 486.

" Mit Ausnahme des Abschnittes über Arnos (S. 21-25) sind diese Textanalysen
von durchaus weiterführender Qualität. Hinsichtlich der litcrarkriti-
schen Zuordnung wird man aber hier und dort anders urteilen können: auch
läßt sich u. E. das "correspondence pattern" nicht in allen von Miller herangezogenen
Texten finden, vgl. dazu die kritischen Hinweise bei B. F. Batto.
CBQ46, I984.S. 317-319. hier: S. 318.

7 Sie soll hier nicht vervollständigt werden, aber es fehlen so wichtige Titel
wie H. Gese, Lehre und Wirklichkeit in der alten Weisheit. Studien zu den
Sprüchen Salomes und zu dem Buche Hiob. Tübingen 1958 (bes. S. 42 IT. 45 ff):
W. SchottrolT(s. Anm. 4), u. a. Auch die neuere Erforschung des prophetischen
Gerichtswortes ist nur lückenhaft dokumentiert.

Kellcnbcrgcr. Edgar: häsäd, wä "mät als Ausdruck einer Glanbenserfahrung
. Gottes Ofl'en-Werden und Bleiben als Voraussetzung des
Lebens. Zürich: Theologischer Verlag 1982. 208 S. 8' = Abhandlungen
zur Theologie des Alten und Neuen Testaments. 69. Kart,
sfr 35.-.

Jahrzehntelang ist das Verständnis von häsäd durch Nelson
Gluecks 1927 in erweiterter Form erschienene Dissertation
(BZAW 47) geprägt worden: „Das Wort hesed im alttestamentlichen
Sprachgebrauche als menschliche und göttliche gemeinschaftgemäße
Verhaltungsweise". Glucck hatte, worauf K. auf S. 67 hinweist, in
Abkehr von dem bisher das Verständnis des Wortes bestimmenden
traditionell-dogmatischen Gnadcnbegriff. häsäd als die einem Rechts-
Pflicht-Verhältnis entsprechende Verhaltungsweise bezeichnet, die
sich von willkürlich geschenkter Gnade oder Güte streng unterscheide
. Diese am Bundesbegriff (d. h. einem bestimmten Verständnis
von bfnt) orientierte Auffassung und die von G. formulierte Übersetzung
..gemeinschaftgemäße Verhaltungsweise" haben vielfältige
Zustimmung gefunden.

Es gab wohl auch manche Kritik am Glueckschen Verständnis
eines Rechts-Pflichl-Verhältnisses (Jepsen. Asensio. Stoebe u. a.).
doch sie konnte sich nicht durchsetzen. K. stellt erneut Gluecks Auf-