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Ausgabe:

1985

Spalte:

157-159

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Chirico, Peter

Titel/Untertitel:

Infallibility 1985

Rezensent:

Kirchner, Hubert

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Seite 1, Seite 2

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Theologische Literaturzeitung I 10. Jahrgang 1985 Nr. 2

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Diese ..lutherische Rechtsneurose" hat-in einer bestimmten exklusiven
Auslegung der Rcchtfcrtigungslehre ihre Quelle (vgl. S. I 12).

Auch der Ostkirche wirft Dombois ein „antijuristisches Pathos"
vor. „dessen sie sich selbst nicht bewußt ist", das jedoch als „eine der
schwersten Belastungen" dieser Kirche anzusehen ist (vgl. S. 387).

c) An zwei Fragckomplexen soll der Vorwurf Dombois', die lutherische
Reformation habe „das pneumatisch-reale Miteinander" von
tieist und Kirchenverfassung zerrissen (s. o.), uns etwas näher
gebracht werden:

I ■ Die Reformation erscheint Dombois gleichsam als ein geschichtliches
Naturereignis. Er charakterisiert sie mit Ausdrücken wie „tek-
tonisches Beben, mächtige explosive Kraft, Flächenfeuer" (S. 128),
das den sie bejahenden Kirchen eine neue „lebendige Identität"
(S. 126) verlieh. Aber er versteht dieses Ereignis nicht konsequent
vom handelnden Subjekt her. Daß im Evangelium Jesus selbst sich
dem Glaubenden mit eschatologischer Gewißheit verheißt - der
Grund aller particulac exclusivae der Reformationskirchen und der
reformatorischen Anschauung von der Einheit sowie der inneren und
äußeren Klarheit der Schrift - diese Einsicht wirkt bei Dombois m. E.
nicht deutlich genug als Kriterium des theologischen Denkens. Zu der
reformatorischen Entdeckung der Identität von Evangelium und Verheißung
bemerkt er: „Die Gleichstellung von Evangelium und
Verheißung ist ein Kennzeichen der reformatorischen Theologie,
wofür es kaum eine Entsprechung in der älteren theologischen Literatur
gibt" (S. 32). Auch spricht er von der „uns fremd gewordenen
Uberzeugung Luthers von der unmittelbaren Evidenz des Wortes"
(S. 201). A(n schärfsten wohl: „Die Reformation befand sich in der
verzweifelten Lage, sich zu entscheiden: Aut papa aut nihil. Sie
zögerte nicht, das nihil zu wählen" (S. 184). (Allerdings versteht
Dombois unter nihil „den Verzicht auf jede Kirchenverfassung" und
-die Spiritualisierungder universalen Kirche", ebd.)

2. Er formuliert: „Die innerste und stärkste Motivation der lutherischen
Reformation, das Ziel der Freiheit vom Gesetz, hat unbewußt
und ipso facto das Gegenteil seiner eigenen Anregung bewirkt.. .
anstelle der bußfertigen Freiheit die Wirksamkeit und Tabuicrung der
eigenen Schwächen." (S. 251) Wäre es nicht richtiger, diese innerste
Motivation der Reformation als Freiheit zum Glauben an das Evangelium
und zur Gestaltung der Christenheit aus dieser Freiheit zu verstehen
, die erst implikativ zur Freiheit vom Gesetz wird?

Trotz dieser Einwände begrüße ich dieses außergewöhnlich reiche,
bewegende und betroffen machende Werk mit der Hoffnung, daß es
eine breite und nachhaltige Wirkung findet, eine offene, kritische und
selbstkritische Leserschaft.

Wien Koloman N. Micskey

Ökumenik: Catholica

Chirico. Peter: Infallibility. The Crossroads of Doctrine. Wilmington,
Delaware: Glazier 1983. XXXVII, 349 S. 8" = Theology and Life
Series, 1. Kart.S 12.95.

Die Diskussion um die Unfehlbarkeit, allzu sehr eingeengt auf die
dogmatischen Festlegungen des [. Vatikanischen Konzils, nicht
Zuletzt durch Küngs kritische Anfrage,' hat sich ziemlich beruhigt. Sic
'st auch auf eine andere Ebene transferiert worden. Sie wird -
eigentlich erstaunlich genug - vor allem ökumenisch weitergeführt.
Beispiele dafür sind das lutherisch-katholische Gespräch in den USA2
sowie das anglikanisch-katholische Gespräch auf Wcltebene.1 Das ist
sicher eine gute Entwicklung, die vor allem dem Sachanliegen zugute
kommen dürfte. Aber selbstverständlich ist die Fragestellung damit
noch längst nicht erledigt. Die Tatsache, daß das anglikanisch-katho-
hsche „Windsor-Dokument" von 1981 (als erstes!) sofort eine überaus

kritische Beurteilung seitens der vatikanischen Kongregation für die
Glaubenslehre erfahren hat, beweist das zur Genüge und zeigt
zugleich auch die Spannungen auf, die gerade auch innerkatholisch
weiterbestehen, nicht zuletzt zwischen den solche interkonfessionellen
Gespräche führenden Bischöfen und Theologen einerseits und der
über die Reinheit der Lehre wachenden vatikanischen Kongregation
andererseits. Denn auch hier geht - trotz jener Beruhigung - die Diskussion
weiter, und offensichtlich auch nicht so ganz in der Linie des
Lehramtes. Das hier vorzustellende Buch beweist das.

Der Autor ist Professor Für systematische Theologie am St. Tho-
mas-Scminary in Kenmore/Washington. Das Buch erschien bereits
1977. Die jetzt vorliegende zweite Ausgabe 1983 ist zumindest um ein
Geleitwort von Bischof B. C. Butler erweitert. Dieses Geleitwort wie
auch das bischöfliche Imprimatur zeigen, daß hier nicht die scharfe
Kontroverse der siebziger Jahre fortgeführt werden soll. Worauf der
Titel bereits hindeutet, macht die Einleitung dann schon klar: Es geht
überhaupt nicht isoliert um das vatikanische Dogma von der päpstlichen
Unfehlbarkeit. Und wenn auch nicht davon abgesehen werden
kann, so kommt sie doch eigentlich nur als ein Sonderfall zur Sprache.
Dem Autor geht es vielmehr darum, die Unfehlbarkeit als eine Qualität
des Cilaubens allgemein in den Gesamtzusammenhang der Theologie
zu stellen, seine Bedeutung aus dem Kontext der christlichen
Wirklichkeit zu erheben, seine Tragweite vor dem Hintergrund des
christlichen Verstehens klarzumachen, kurz, die Lehre in den Prozeß
kirchlichen Lebens zurückzuholen. Zwei Aspekte erhalten dabei
besondere Akzente: die Geschichtlichkeit von Glauben, Kirche und
Lehre und das Eingebettetsein des Glaubens und seiner Äußerungen
in Bekenntnis, Lehre und Leben in die Strukturen und Grenzen allgemeiner
menschlicher Verstchensmöglichkeiten.

Es ist geradezu aufregend, zu welchen Feststellungen der Autor auf
diese Weise gelangt über Lehre und Dogma, über die Gültigkeit und
den Wert traditioneller Quellen, auch der biblischen Überlieferung,
über das kirchliche Amt und seine Möglichkeiten und auch über die
Möglichkeiten allgemeiner moralischer Kriterien. Entschieden plädiert
er für die Bedeutung gegenwärtiger Erkenntnisse für den aktuellen
Glaubensprozeß. Kritikern gegenüber widerspricht er entschieden
der Tendenz "to think that the only way to theological progress is the
study of theological documents of the past and the unearthing of all
the mcanings buried therein. With this view I am in profound dis-
agreement. I believc that the great documents ofthe past - the Scriptu-
res, the writings of the Fathers, the books of the classic theologians.
and the teachings ofthe magistcrium -are important theological sour-
ces prccisely because they refleet the understanding of living faith
reality at the pqint in time when they were issued." Demgegenüber
behauptet er: "Documents ofthe present can also aspire to do the
same (hing. They, too, can examine the living faith with modern tools
in an effort to capture new sides ofthe old faith reality. They, too, can
ask new questions, queslions newer dreamed of by the authors of the
old texts. They, too, can make new discoveries which build on the
oldcr understanding of reality."(S. XXXVI)

Die einzelnen Schritte, mit denen er seine Thesen entfaltet, können
hier nicht nachgezeichnet werden. Die Möglichkeit dogmatischer
Aussagen wird ebenso begrenzt wie andererseits als glaubensnotwendig
im Sinne der Glaubensgewißheit begründet. Und so erhält dann
auch das Dogma des I. Vatikanischen Konzils sein relatives Recht,
aber es ist ebenso relativ, wie jede Lehre relativ ist, nämlich in den
Grenzen der eigenen gegenwärtigen Verstehensmöglichkeiten zu
sehen wie nicht zuletzt in den Grenzen des Angenommenwerdens
durch das Bewußtsein der Gläubigen.

Noch einmal eine Probe: "The only way the Church can bc sure
that a pope or Council has spoken infallibly is by finding the meaning
proclaimed actually present in the consciousness of the faithful. Only
when the vast numbers of the faithful discover that the meaning of a
proclamation resonates with the meaning of the faith within them
and, further, make manifest this congruence of meaning explicitly by
word or implicitly by action - only then can the Church be assured