Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1985

Spalte:

155-157

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

Dombois, Hans Adolf

Titel/Untertitel:

Das Recht der Gnade 1985

Rezensent:

Micskey, Koloman N.

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

155

Theologische Literaturzeitung 110. Jahrgang 1985 Nr. 2

156

Wegweisend für weitere Forschungen ist der bisher im deutschen
Sprachbereich erstmalig unternommene Versuch zur Definition von
Ideologie, Religion, Weltanschauung und christlichem Glauben unter
anthropologischen und religionspsychologischen Aspekten.

Der Hauptteil C (156-163) „Ausblick: Theo-Logie und Erfahrung
von Wirklichkeit" stellt die gewonnenen Ergebnisse der kritischen
Analyse in einen weiteren religionspädagogischen Zusammenhang.
Theologie und Erfahrung werden aber über den Ansatz von
E. Nipkow hinausgeführt, der die religiöse Bedeutung vor allem „der
christlichen Überlieferung für unsere Zeit in Gesellschaft und Erziehung
sichtbar zu machen und wirksam werden zu lassen" bemüht ist
und in einer gewissen Form von Vorentscheidung von Anfang an
„Religion auf die pädagogische und gesellschaftliche Rolle des Christentums
in unserer Zeit hin" zu konkretisieren bemüht ist (147).

Der Vf. bezieht demgegenüber von den Gegebenheiten der Reli-
gionsphänomenologie her die mannigfachen Ausformungen von Religion
und Frömmigkeit vor und außerhalb des Christentums in seine
Überlegungen mit ein.

Durch diese Bestimmung des Religionsbegriffs wird ein theologischer
Ansatz auch für ökumenische Gespräche - etwa mit afrikanischen
Theologen - eröffnet und zu einer konstruktiven Sicht der
komplizierten Sachlage Mut gemacht, die man bei vorhergehenden
Autoren vermissen mußte.

Besonders hinzuweisen ist auf den wissenschaftlichen Apparat
(164-217). Jeder an dem Themenkreis „wiederentdeckte Religion,
Religiosität und Frömmigkeit" Interessierte findet hier ein überaus
sorgfältig und sachkundig zusammengestelltes Literaturverzeichnis,
das zu weiterführender Arbeit anregt.

Greifswald Günther Kehnscherper

Kirchenrecht

Dombois, Hans: Das Recht der Gnade. Ökumenisches Kirchenrecht,
III. Verfassung und Verantwortung. Bielefeld: Luther-Verlag 1983.
477 S.8Geb. DM 75,-.

(Vgl. die Besprechung des I. Bandes durch S. Grundmann, ThLZ,
Jg. 88, 1963,Sp. 801-814,des2. Bandes durch H. Ammer, ThLZ, Jg.
101, 1976, Sp. 621-625.)

a) Dombois beschließt seine ungewöhnlich anregende Arbeit mit
einem Bild: „Das Evangelium gleicht einer Brücke über den Abgrund
des Nichts . .. (Diese Brücke) ist nicht bestimmt, Wohnhäuser, Läden
oder Zollstationen darauf zu errichten, wie es auf berühmten Brücken
der Welt geschehen ist. . . Man betritt diese Brücke als ein/einer -
aber alle die sie begehen, schauen auf ihr Ende - . . . Der Brückenbauer
aber ist... die Brücke selbst." (S. 416) Luther verglich das
Evangelium mit einem fahrenden Platzregen. Der von Dombois in
seiner Arbeit gegen die lutherische Tradition des öfteren und fundamental
erhobene Vorwurf der prinzipiellen Rechtsfremdheit und
Rechtsfeindlichkeit kristallisiert sich aus in seinem Bild vom Evangelium
als Brücke, bezogen auf das Bild vom fahrenden Platzregen.
Wenngleich Dombois die Semantik seines Bildes zweimal durchbricht
- die Brücke ist nicht dazu bestimmt, sich darauf fest einzurichten -
die Brücke baut sich selbst auf-; das theologisch Problematische dieses
Bildes - und des ganzen Werkes - wird dadurch nicht aufgehoben:
Die Semantik der Brücke enthält die grundlegenden Dimensionen der
Statik und der Passivität-das Evangelium ist jedoch actus purus. Auffallend
ist Dombois' Versuch, Luthers Entscheidung in der Lösung
des Sukzessionsproblems „successio: id est evangelium" umzukehren
: „evangelium est successio" (409), wobei er unter successio im
großen und ganzen die bischöfliche Sukzession der Alten Kirche versteht
. Diese war noch nicht von der „Häresie" des Papsttums (183),
dem Zentralismus verdorben. „Hat aber der päpstliche Zentralismus
gegen den Geist dieses pneumatischen Kirchenverständnisses verstoßen
, so hat es auch die (reformatorische) Gemeindekirche getan,
indem sie dieses verbindliche und pneumatisch-reale Miteinander
leugnet. Die Häresie des Papsttums wird in der Gemeindekirche auf
den Kopf gestellt und als Grundsatz proklamiert." (183) Die Folge ist
nach Dombois der Verlust der liturgischen und regiminalen Gemeinschaft
der Catholica in den Reformationskirchen, der wahrhaft
geschichtlichen Dimension der Einen Kirche und des von der liturgischen
und regiminalen Gemeinschaft der wahren Bischöfe getragenen
Rechtes der Kirche. Die lutherische Sicht der Rechtfertigung
führt zu einer Situation, in der der Geist rechtlos, das Recht geistlos
wird. (Vgl. S. 10.) Diese Folge umschreibt Dombois folgenderweise:
„Der juristisch formulierte Überdruck eines rechtsfremden Denkens,
der Ausfall einer Farbe im Spektrum des Geistes, . . . die Ablösung
von einer theologischen Theorie seinsmäßiger Vorgegebenheiten
durch einen Freiheitsbegriff, der die christliche Freiheit mit einem
bürgerlichen Existenzverständnis verbindet; Verbürgerlichung und
Akademisierung. Das stärkste bürgerliche Moment ist das Hervortreten
eines substratslosen Wortbegriffs, durch welchen das Subjekt die
Objekte bestimmt." (31) An anderen Stellen hält Dombois der lutherischen
Reformation und besonders der Augustana vor, den III. Glaubensartikel
- den vom Heiligen Geist-aufgelöst zu haben; der Heilige
Geist wird nicht mehr als das souveräne Subjekt des Hcilsgeschehcns,
sondern als Gabe des Wortes verstanden. Vgl. S. 45: „Der Satz"
[Art. V des Augsburger Bekenntnisses]: ,,,nam per verbum et sacra-
menta tamquam per instrumenta donatur Spiritus sanetus' ist unbiblisch
. Denn unbestritten Ijringt das N. T. die Geistmitteilung mit der
Taufe in Verbindung, aber nicht mit dem Abendmahl." (Aber auch
Dombois möchte auf S. 78 Christus und Geist „unvermischt und
ungetrennt" verstanden wissen.) In dieser lutherischen Sicht werden
Institutionen - gegen die Alte Kirche - als „verhärtete Form und Steigerung
von Gesetzlichkeit" (S. 17) begriffen. Dombois will in seiner
Darstellung des Rechtes der Kirche diese „ältere Gewohnheit" „auf
alle Fälle" ausschalten. Es geht ihm primär nicht darum, das faktische
Kirchenrecht vom Evangelium her in selbstkritische Bewegung zu
bringen, sondern er will zeigen, daß das Evangelium immer schon eine
bestimmte Form liturgischen, regiminalen und communiohaften
Rechtes in sich enthält. Aus dieser Sicht ergibt sich eine fundamentale
Frage an die lutherische Reformation: Ob nicht deren „proton pseu-
dos ein Rechtsintum ist, genauer eine aus theologischen Motiven hervorgehende
Fehlinterprctation des Rechtes und eben des Rechtes in
seinerGeschichtlichkcit" (11).

b) Dombois Arbeit ist eher lose aus drei Teilen aufgebaut. Im ersten
behandelt er den Problemkreis Rechtfertigung - Recht - Institution;
im zweiten bietet er eine „kirchenrechtliche Analyse des Augsburgischen
Bekenntnisses"; im dritten Teil beläßt er sich zuerst mit den
rechtstheologischen Positionen von Rudolf Sohm, Johannes Heckel,
Erich Wolf, Gerhard Glocge und dann mit zentralen Themen der
Rcchtsthcologic, wie das Problem der Kirchenverfassung, Kirchengewalt
, Volk Gottes und Hierarchie, päpstliche Unfehlbarkeit, die
verfassungsrechtliche Lage der Ostkirche, u. ä.

Der umfangreichste und auch thematisch gewichtigste Teil ist der
zweite (S. 71-252). Dombois übt hier fundamentale Kritik an der
lutherischen Reformation: „subordinatorische Geistlehre", S. 81;
„Auflösung des dritten Artikels", - vom Heiligen Geist - S. 87; „Ausfall
der kanonischen Prädikate der Kirche": „catholica" und „aposto-
lica", S. 87; Verdrängung des Begriffs der communio sanetorum
durch den der congregatio, S. 88; Verlust der Verstehensdimension
der Rechtssukzession, S. 89 und damit zusammenhängend Verlust der
rechtlich eindeutigen kirchlichen und theologischen Kompetenzträger
, S. 101 ff, bes. S. 1 11 und 251. „Was diese Korruption nun vollends
enthält und beleuchtet, ist die Tatsache, daß die lutherische
Lehre von der Kirche keine Lehre über die Rcgionalkirchc ausgebildet
hat." . . . „So mußte Heinrich Vogel im Rückblick auf 1933 .. . sagen,
die Frage nach dem Regiment der Kirche ist über uns gekommen wie
der Dieb in der Nacht, jedenfalls über uns Lutheraner. . ." (S. I 10)