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Ausgabe:

1985

Spalte:

154-155

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Ritter, Werner H.

Titel/Untertitel:

Religion in nachchristlicher Zeit 1985

Rezensent:

Kehnscherper, Günther

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Theologische Literaturzeitung 110. Jahrgang 1985 Nr. 2

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dem Zug der Zeit. Erfreulicherweise beginnt sich dieses zu ändern. Die
Religionspädagogik erinnert sich ihrer eigenen Geschichte und arbeitet
sie auf. Die vorliegende Veröffentlichung stellt die für den Druck
überarbeitete Fassung einer Dissertation dar, die von K. E. Nipkow
betreut und im Jahre 1978 am Fachbereich Theologie der Universität
Tübingen eingereicht wurde. Gegenstand der Untersuchung sind die
Ansätze der Religionspädagogik während der Zeit der Reformbewegung
von 1900 bis 1929.

Die Untersuchung ist selbst ein Beispiel für einen thematisch-pro-
blemorientiertcn Umgang mit der Tradition. Dementsprechend wird
in einem einleitenden Teil zunächst eine zusammenlässende systematische
Analyse des gegenwärtigen Konzeptes von thematisch-pro-
blemorienticrtem RU erarbeitet, um von daher eine Auswahl des
historischen Materials vorzunehmen. Die Verfasserin unterscheidet
dabei zwei Gesichtspunkte in der gegenwärtigen Diskussion. Einmal
das Kriterium der lebenswcltlichen Relevanz für die Auswahl und
Behandlung von Themen im RU und zum anderen die Auffassung
Hin Unterricht generell als Problemunterricht. Dementsprechend
gliedert sich die Untersuchung in zwei Teile.

In Teil A wird die Rückfrage nach der,,Wendung des evangelischen
Religionsunterrichts zur Lebenskunde" (S. 21 bis 128) gestellt. Die
Untersuchung arbeitet heraus, daß das Zusammenwirken von Tendenzen
der liberalen Theologie einerseits und der Reformpädagogik
andererseits den RU zunehmend dem didaktischen Kriterium der
lebensweltlichen Relevanz unterwarf. Leben statt Lehre-so lautet die
Parole. Dies wird exemplifiziert erstens an der lebenskundlichen
Wende im Katechismusunterricht sowie an der Wendung zur Apologetik
im RU der höheren Schulen (1. Kap.), zweitens an den pädagogischen
Bemühungen um den RU, wie sie sich in der Religionspäd-
agogik ..vom Kinde aus" und in den Bemühungen um den Gesamtunterricht
niedergeschlagen haben (2. Kap.) und drittens am Siegeszug
der Lebenskunde im ev. RU nach dem I. Weltkrieg (3. Kap.). Ein
Exkurs über die politischen Auseinandersetzungen um den RU von
1918 bis 1921 (S. 88 bis 101) arbeitet den Zusammenhang mit den
Politischen Entwicklungen heraus.

Teil B der Arbeit wendet sich der „Problemoricnticrung als methodisches
Prinzip im Religionsunterricht" zu. Hier wird der Entspre-
chung zwischen den Inhalten des Evangeliums und den unterrichtlichen
Vermittlungsstrukturcn nachgegangen. Hier geht es um den
Arbeitsschulgcdankcn, insbesondere um dessen Rezeption bei Otto
Eberhard (4. Kap.). Und hier wird deutlich, daß durch die Beschäftigung
mit der Arbeitsschulbcwegung sich auch im RU die Ablösung
des Formalstufenschemas vollzieht und der Schüler als Subjekt des
Lernens begriffen wird. Das 5. Kap. wendet sich der interessanten
Verbindung von neukantianischer Bildungstheorie und evangelischer
Religionspädagogik zu, die sich bei Hans Schlemmer findet. Ein
Schlußteil der Arbeit reflektiert über die Aufgaben der gegenwärtigen
Religionspädagogik im Licht der Reformbemühungen zwischen
1900-1929.

Die Untersuchung ist in ihrer Zielsetzung präzise. Sic ist in der Herausarbeitung
der leitenden Fragestellungen klar. Sic ist im Duktus der
Überlegungen und Ausführungen verständlich geschrieben. Sie bereichert
unsere Kenntnis der Geschichte dcrRcligionspädagogik in unserem
Jahrhundert in einem erfreulichen Maße. Sie bringt gewiß nicht
m allen Punkten neue Erkenntnisse, aber ihr entscheidender Beitrag
,st m. E. darin zu sehen, daß hier unter der systematischen Perspektive
der Problemorientierung die Geschichte der Religionspädagogik in
den ersten dreißig Jahren unseres Jahrhunderts aufgearbeitet wird.
Erfreulich ist dabei, daß nicht vorschnell nivelliert wird, sondern
gerade die jeweils spezifischen Konturen und Unterschiede (etwa
zwischen O. Eberhard und H. Schlemmer) deutlich herausgestellt
werden. In Teil B gehl es nicht nur um die Problemorientierung als
methodisches Prinzip (so die Überschrift), sondern um die Problem-
Orientierung als ein grundlegendes didaktisches Prinzip des RU, wie ja
auch die Ausführungen zu O. Eberhard und H. Schlemmer deutlich
belegen.

Die vorliegende Untersuchung vermag unser gegenwärtiges Pro-
blcmbewußtscin zu schärfen - nicht zuletzt im Blick auf die anstehenden
Aufgaben der Moralerziehung und der Frage nach dem Schüler
als dem Subjekt des Unterrichts. Sie stellt neben den Arbeiten von
R. Preul (Religion - Sozialisation - Person, 1980) und Fritz Krotz
(Die religionspädagogische Neubesinnung, 1982) einen wesentlichen
Beitrag dar, der uns hilft, die Geschichte der Religionspädagogik in
unserem Jahrhundert klarer zu sehen.

Würzburg Gottfried Adam

Ritter, Werner H.: Religion in nachchristlicher Zeit. Eine elementare
Untersuchung zum Ansatz der neueren Religionspädagogik im
Religionsbcgriff. Kritik und Konstruktion. Frankfurt am Main -
Bern: Lang 1982 Europäische Hochschulschriften: Reihe 33. Religionspädagogik
, 5.217 S. 8°. Kart, sfr 51,-.

,,Dic Theologie hat von Gottes Wort zu reden und nicht von dem,
was Menschen glauben, empfinden oder tun." In diesem Sinn hatte
K. Barth die Religion als einen aussichtslosen und vermessenen Versuch
betrachtet, über Gott zu verfügen. Olfen blieb die Frage, ob und
in welchen Formen das an den Menschen ergehende Wort Gottes
nach einer Antwort verlangt und welche Arten der Antwort dem
Wort Gottes gegenüber überhaupt angemessen sind. Ist Gnade erfahrbar
?

Etwa seit 1960 wurde die Frage nach einem theologischen Erfassen
von Religion und Frömmigkeit wieder dringlicher gestellt. Die Promotoren
des religionstheoretischen Ansatzes waren neben anderen
„Erfahrungstheologen" vor allem H. Halbfas und S. Vierzig, wobei
P. Tillichs Religionsverständnis den Weg gebahnt hatte.

Seit der Mitte der 60er Jahre versuchten dann folgerichtig religionspädagogische
Theoriemodelle mit dem wiederentdeekten Religionsbcgriff
dem schulischen Religionsunterricht eine breitere und für alle
Schüler verbindlichere Basis zu geben, als es Christenlehre und Bibel-
unterricht vermocht hatten.

Es zeigte sich aber bald, daß die Verwendung der ,,wiederentdeckten
Religion" in religionspädagogischen Lehrbüchern und Unterrichtsentwürfen
fundamentale Unstimmigkeiten und widersprüchliche
Tendenzen aufwiesen.

Hier hat der Vf. eine theologiegcschichtlieh eminent wichtige Aufgabe
übernommen, sich konstruktiv darum zu bemühen, einen christlich
-theologisch begründeten Ansatz der KeA.evrj/i.vpädagogik im
Umfeld der gegenwärtigen geistig und kirchensoziologisch pluralcn
Situation zu liefern.

Hauptteil A (17-81) bringt in 4 Kapiteln eine kritische Auseinandersetzung
mit der kaum überschaubaren Fülle religionsgeschicht-
lichcr, religionssoziologischer und religionspädagogischer Publikationen
, die teils an den traditionellen Religionsbcgriff anknüpfen, teils
aber auch neue Begründungsversuche gegenwärtiger Religionstheorien
anbieten. Die für den Vf. vorgegebene Stoffmenge macht das Auflegen
eines Rasters notwendig, um Durchschaubarkeit zu erreichen.
Auch der nicht so sehr mit den aktuellen Trends in diesem Sachbereich
vertraute Leser wird hier didaktisch geschickt und ansprechend
in die Problematik eines wichtigen Abschnitts gegenwärtiger Theologiegeschichte
hineingenommen.

Hauptteil B (82-155) geht der Behandlung der Frage der „Bedürftigkeit
des Menschen nach einer. weltanschaulichen' oder ideologischen
' Gesamtorientierung" in der religionstheoretischen Literatur
der Gegenwart nach. Dabei werden auch die ältere theologische Forschung
zur Thematik „Religiöses Apriori oder .ideologische' Bedürftigkeit
" sorgfältig analysiert und humanwisscnschaftlichc Aspekte
unter besonderer Berücksichtigung neuerer Forschungsergebnisse von
Psychologie und Pädagogik herangezogen. Jeder hier irgendwie
bekannt gewordene Autor wird sachgerecht und verständnisvoll aufgenommen
.