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Ausgabe:

1985

Spalte:

143-144

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Fuchs, Ottmar

Titel/Untertitel:

Von Gott predigen 1985

Rezensent:

Josuttis, Manfred

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Seite 1

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143

Theologische Literaturzeitung I 10. Jahrgang 1985 Nr. 2

144

Praktische Theologie: Homiletik

Fuchs. Ottmar: Von Gott predigen. Überlegungen - Anleitungen -
Beispiele. Mit Beiträgen von evangelischen und katholischen Autoren
. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn 1984. 165 S.
8". Kart. DM 22,80.

O. Fuchs. Professor für Pastoraltheologie und Kerygmatik in Bamberg
, hat in den letzten Jahren verschiedene wichtige Arbeiten vorgelegt
: „Sprechen in Gegensätzen. Meinung und Gegenmeinung in
kirchlicher Rede" (1978), „Die lebendige Predigt" (1978), „Die Klage
als (iebet. Eine theologische Besinnung am Beispiel des Psalms 22"
(1982). Sie alle zeichnen sich durch eine intensive Kombination theologischer
und linguistischer Fragestellungen aus.

In dem hier anzuzeigenden Band versucht Fuchs, diesen Ansatz für
einen zentralen Bereich der Homiletik fruchtbar zu machen, für das
Reden von Gott. Den ersten Teil bilden „Überlegungen zu einer indikativischen
Homiletik" (9ff), die in einigen Thesen gebündelt werden
(57ff). Der zweite Teil bringt sechzehn Beispiele gelungener Predigtpraxis
von römisch-katholischen und protestantischen Autoren, wobei
erstaunlicherweise - oder auch nicht - die alttestamentlichen
Texte als Grundlage weit überwiegen (68ff). Das Ziel der Veröffentlichung
fixiert der folgende Satz: „Die Predigt hat die Aufgabe,
den Indikativ des Glaubens an Gott dadurch profiliert und erfahrbar
zu vermitteln, daß die biblischen Begebenheiten in ihrer Gegebenheit
von Gott her erfahren werden: Die Geschehnisse der Schrift sind eine
Gabe Gottes!" (35).

Ich finde es bedauerlich, daß die äußeren Bedingungen der Gütersloher
Predigt-Reihe den Verfasser zu äußerster Konzentration gezwungen
haben. Die Art der Darstellung wie die Anzahl der Anmerkungen
lassen vermuten, daß ihm eine sehr viel breitere Entfaltung
des Materials möglich und wohl auch willkommen gewesen wäre.
Was er zur „Personalität Gottes als Ausdruck seiner Unverfügbarkeit
" (180 ausführt, verdient ebenso Beachtung wie die Verteidigung
der mythologischen Redeweise der Bibel (821 IT). „Ohne die biblische
Theologie als dem Menschen angebotene interpersonale Gottesbeziehung
wird der Appell des biblischen Geschehens zum moralischen
Gesetz" (27). Die homiletische Aufgabe wird erfreulicherweise sehr
erfahrungsorientiert formuliert: „Biblische Texte sind . .. das Substrat
von Gottesbegegnungen, die die Texte produziert haben und die.
von den Texten wieder produziert werden wollen. Biblische Texte
haben gleichsam in Trockenform, wasdureh Hinzugießen von jeweils
gegenwärtigem Leben und Vertraucnsinvcstitionen zugunsten aktueller
Begegnung verzehrt und verbraucht sein will." (32) Und zur Wahrnehmung
der Realgegebenheit Gottes gehört auch die homiletische
Interpretation positiven Alltagserlebens (641).

Der systematische Ansatz von Fuchs wird am deutlichsten faßbar in
einem graphischen Schema (47), das dann auch zur Analyse der abgedruckten
Predigten dient (69). Danach manifestiert sich die indikativische
Wirklichkeit Gottes einerseits in der biblischen Gotteserfahrung,
und zwar als anamnetische Gotteserfahrung und Jesusbegegnung,
andererseits auch in der gegenwärtigen Realerfahrung, wieder differenziert
als aktuelle Gotteserfahrung und Begegnung mit .jesuani-
schen" Menschen. Die Verknüpfung der unterschiedliehen Erfahrungsbereiche
, nämlich zwischen Gott und Jesus, zwischen Bibel und
Gegenwart und zwischen Gott und positiv erlebten Begegnungen wird
letztlich dogmatisch, nämlich trinitätstheologisch - gedacht (11. 31.
41).

Das Schema verrät, wo für Fuchs das eigentliche Problem der Got-
tesrede in der Predigt von heute liegt. „Gott .erscheint' in der Differenz
zwischen gegenwärtiger Ferne und erinnerter Nähe" (39). heißt
es im Rückverweis auf die Sprache der Psalmen, und: „Diese ,lex
orandi' bestimmt nicht nur die ,lex credendi', sondern auch die ,lcx
praedicandi'" (ebd.). Das ist wohl wahr. Aber zur Klage gehört auch
die Anklage Gottes, die Erfahrung seiner Gnade gibt es nicht ohne
Widerfahrnissc seines Gerichts, und ihm zu begegnen ist nicht nur

hilfreich, sondern auch schrecklich. Die aggressiven Komponenten
der Gottesbegegnung bleiben systematisch und homiletisch unerfaßt,
in diesem Band wie in der Theologie überhaupt.

P. Cornehl hat einen Psalm und einen modernen Science-Fiction-
Roman miteinander verglichen: ich zitiere aus dem letzten Abschnitt
der eindrucksvollen Predigt: „Psalm 139 und Lems .Solaris' sind beide
in ihrer Weise Grcnzübersehreitungen, Herausforderungen, den
Schritt ins Größere der Schöpfung zu tun. Ohne diesen Überstieg wird
es wohl nicht gehen. Ohne ein Element von Mystik, von Spekulation,
vielleicht auch Pantheismus, ohne visionäre Transzcndierung. ohne
die Poesie des Glaubens werden wir in positivistischer Ärmlichkeit
vertrocknen" (1060-

Friedland Manfred Josuttis

Praktische Theologie:
Seelsorge/Psychologie

Handbuch der Seelsorge. Bearb. von I. Becker u. a. Redaktionskreis:
R. Blühm, H.Fink, J. Henkys, H.-H. Jenssen, E.-R. Kiesow.
E. Winklcr. Berlin: Evang. Verlagsanstalt 1983.21984 619 S. gr. 8
Lw. M 29,50; Ausland 42,-.

Dieses dem Andenken an Otto Haendler gewidmete Sammelwerk
setzt die mit dem Handbuch der Praktischen Theologie (HPT) begonnene
Arbeit fort. Das dort von E.-R. Kiesow im Überblick behandelte
Gebiet der Scelsorgc wird nunmehr in dieser Form wesentlich und
gründlich erweitert und spezifiziert. 25 Autoren bieten in 35 Artikeln
eine grundlegende und zugleich praxisorientierte Information über
das Gesamtgebiet der Seelsorge an, wie sie sich derzeit in der DDR
vollzieht bzw. erstrebt wird. Die erfreuliche Konkretion im Blick auf
den gesellschaftlichen Kontext der Seelsorge schließt dabei nicht die
Bedeutung des Handbuchs für den Gebrauch in anderen Staaten aus.
Im ganzen ist ein lehrreiches, nicht monolithisches, aber in sich
kompatibles Sammelwerk entstanden, das auch von der redaktionellen
Leistung her Achtung abnötigt.

Im folgenden analysiere ich in Kurzform die einzelnen Beiträge in
den sieben Kapiteln des I landbuchs und ziehe dann eine Bilanz.

Das Handbuch beginnt mit dem Kapitel „Grundlegung der Seelsorge
" (19-91), dessen 1. Teil „Begriff und Theorie der Seelsorge" R.
Blühm geschrieben hat. Er geht von „Vorverständnis und Erwartungen
" gegenüber dem kirchlichen Arbeitsgebiet der Seelsorge aus,
die auf Hilfe in persönlichen Krisensituationen zielen. Die hohe
Cieltung der Seelsorge in der Einschätzung von Kirche wird betont.
Den starken Erwartungen auf Zuspruch, Lebenshilfe, Trost wird aber
in der realen Praxis, vor allem auf der Handlungsebene Gemeinde,
nur unzureichend entsprochen. Deshalb ist es ein Hauptanliegen
Blühms, Seelsorge und Gemeindeleben zu verbinden. Ebenso w ichtig
ist ihm ein angemessenes Verhältnis zur Psychologie, insbesondere
der Psychotherapie. Mit Recht wird aber im Gegensatz zu einer
bloßen Addition Psychologie als fruchtbare „Ergänzung und Anregung
für theologische Arbeit" verstanden. Die Eigenständigkeit der
Theologie im Dialog mit der Psychologie gewinnt Blühm durch
seinen Rekurs auf biblische Anthropologie. Es werden maßgebende
Lehrbücher der Psychologie aus der DDR herangezogen, aber es wird
auch die Gesprächstherapie Rogers' und Tausche berücksichtigt.
Kritisiert wird eine alleinige Konzentration auf den Modus des
Gesprächs. Vom biblischen Zeugnis her werden Gebet und Zuspruch,
aber auch nonverbale Hilfen zur Geltung gebracht. Immer wieder
werden die Gefahren der Überfremdung der Seelsorge durch Psychologismen
einerseits, wie auch das fehlende Eingehen auf die Menschen
in ihrer konkreten Situation durch einen ungeschichtlichen Bibli-
zismus andererseits deutlich vor Augen gestellt. Blühms Beitrag ist
eine solide Grundlegung, der allerdings besondere, über die derzeitige
Situation hinausführende Thesen fehlen.

Der 2. Teil der Grundlegung bringt eine informative Darstellung