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1985

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Systematische Theologie: Ethik

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Neuerscheinungen

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Theologische Literaturzeitung 1 10. Jahrgang 1985 Nr. 2

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und Ehescheidung von Pfarrern und Pastorinnen zu äußern (II).
Auch als Grundlage für das vorliegende Werk dient eine theologische
Position, die für das „Christsein in der sozialistischen Gesellschaft der
DDR" (ebd.) bedeutsam wurde, nämlich der Versuch, sich der christlichen
Identität im Wandel der Zeit dadurch kritisch zu vergewissern,
daß man die sog. nicht-theologischen Faktoren erkennt und verantwortlich
in eine wirklichkeitsgerechte Lebensführung einbaut. Dementsprechend
geht es dem Vf. um ein Konzept christlicher Identität in
der heutigen Geschlechterlicbe (15), tief ausgelotet mit den Mitteln
eines meditativen und reflexiven Denkens, dessen christologische
Integration durch die Namen K. Barths, D. Bonhoeffcrs, E. Jüngels
und J. Möllmanns angezeigt wird (16).

Nicht-theologische Faktoren also: Gegenwärtige Gotteserfahrung,
die sich geschichtlich auf die Anfechtung (52) als Scheitern des Christseins
in zu eng. fremd und bedrückend gewordenen Denkformen und
Verhaltensmustern der Überlieferung sowie auf die - vorzüglich
analysierten - „Aporien" der Liebe (176, 198, 237) zwischen den
unendlich reichen Möglichkeiten der Liebe und der mitmenschlichen
Begegnungen heute und dem noch größeren Angewiesensein des Mensehen
auf diese Liebeserfahrung einläßt, wird verstehbar als Orientierung
des Verhaltens am Menschen Jesus, nicht aber mehr an einem
autoritären metaphysischen Gott (580, an der Mitmenschlichkeit
Jesu, die denen gilt, die unter Lieblosigkeit leiden (202). nicht aber
'nein an den restriktiven Regeln einer autoritären Vcrz.ichtsmoral
(921). Im Kern heißt daher die Aufgabe, in welcher sich Dienst und
Zeugnis des Christen bewähren: „In-Schutz-Nehmcn der so tief bedrohten
Liebe" (237), Einstehen für eine verantwortlich gestaltete und
nunmehr gegenüber allgemeinen Formeln und kerygmatischen Behauptungen
(II, 59) konkretisierte „Freiheit zur Welt", die im Kontext
des Sozialismus und der vorhandenen Freiheitsrechte (Kap. II)
ausgelegt wird als Selbslverwirklichung in Partnerschaft (grundlegend
222, wo allerdings der theologische Bezug auf eine „Partnerschart zwischen
der Selbslverwirklichung des Menschen und der Selbstverwirklichung
Gottes" ins Fragliche übertrieben erseheint).

Liebe wird im Zusammenhang der Mitmenschlichkeit als dialektische
Einheit von Eros und Agapc verstanden, als ganzheitlichc,
erotisch-sexuell-sozialc Begegnung und als Nächstenliebe im Sinne
des In-Schutz- oder In-Obhut-Nchmens des Partners (I 14, 237). Ihre
maßgebliche Gestalt findet sie in der monogamen Beziehung, wobei
betont wird, daß dies nicht für die Ehe als formale Ordnung, sondern
für die „Sympathie-Ehe" und damit eben die Ehe als Form der monogamen
Liebe gelte (I 10, 1 19) Obgleich daher Ehe und Kleinfamilie
a|s ideale Formen betrachtet werden (106, 240, 2580, gewährleistet
der Ansatz bei den Prinzipien der ganzheitlichen Partnerschart und
Hilfe (124), die unter vier Gesichtspunkten als Gleichberechtigung,
Vertiefung und Verinnerlichung der polaren Spannung, Wechselverhältnis
von Zuwendung und Freigabe, wechselseitige Verantwortlichkeit
entfaltet werden (132-141). ein breites Vorfeld und „Umfeld von
Ehe und Familie" (108, 111,1 15,261 fl), das der persönlichen Verantwortung
offensteht.

Das alles ist sehr lesenswert, nach-denkenswert. Hingegen ist es
nicht eigentlich neu. Auch wenn man es respektiert, daß der Vf. auf
Literaturbezüge (außer auf die obengenannten Autoren) verzichtet,
lallen doch andauernd Parallelen zu anderen Darstellungen der Thematik
auf, die um der Sache willen kenntlich gemacht werden sollten.
Um nur die auffälligste zu erwähnen: Man fragt sieh, warum nicht bei
dem durchgehenden Motiv des „In-Obhut-", ,.In-Schutz-" ,,InPflege
-Nehmens" des anderen (87, 101) der Name K. Logstrup
genannt wird. Von ihm hätte sich auch lernen lassen, daß es vorteilhafter
wäre, die „Beimengungen" der nicht-theologischen Faktoren
als kulturelle Interprctamcntc des C hristlichen aufzufassen; die Würdigung
der unterschiedlichen Muster christlicher Kultur in Vergangenheit
und Gegenwart hätte dann differenzierter, gerechter auch,
auslallen können.

Auch die wiederholt als Kritik an Kant (58, indirekt 401". 95, I 14)
vorgetragcne Ablehnung einer normativen, präskriptiven zugunsten

einer phänomenologischen, indikativen Ethik überzeugt nicht recht -
nicht angesichts der ja vom Autor selber gemachten Vorschläge für
Prinzipien und schon gar nicht in Anbetracht der heutigen ethischen
Theoriediskussion. Dem ..lebendigen Leben abstrakte moralische
Vorschriften auferlegen zu wollen" (109). wäre sicher falsch; aber das
ist noch keine zureichende Kritik an Sollenssätzen und Wertetafeln
(1091). Und eben: ein bloßes ,,Verstehen und Analysieren der in Gang
befindlichen Herausforderung und Flerausbildung verantwortlicher
mitmenschlicher Beziehungen" (109, 47, 198) kann allzu leicht auch
eine bloße Apologie der - jetzt in der Umwelt des Autors (62IT) -
bestehenden Gesellschaft mit sich bringen.

Diese Gefahr wird durch den Ausfall human- und sozialwissenschaftlicher
Untersuchungen noch verstärkt. Das kann auch nur zum
Teil mit dem Mangel an statistischen Angaben über das Sexualverhalten
in der DDR (34) erklärt werden. Wo vielmehr die theologische
Bedeutung „nicht-theologischer" Wissensehaftsfaktoren geringgeschätzt
wird, wird das theologisch-ethische Urteil subjektivistiseh.
Das ist zum Beispiel da der Fall, wo der Autor erklärt, „seines Erachtens
" sei die partnerschaftliche Kleinfamilie die psychisch beste Basis
für eine den heutigen Lcbcnsanlbrderungcn entsprechende Kindheit
(107), besonders aber da, wo er andererseits - und kaum zureichend
ausgeglichen mit jenem Votum - das von einer Frau in verantwortlicher
Freiheit um ihrer Selbstverwirklichung willen beanspruchte
Recht, ein eigenes Kind ohne Ehe aufzuziehen, für eine menschliche
Bereicherung und sogar lorderungswürdig hält: „seines Erachtens"
gibt es gegen dieses Recht keinen stichhaltigen grundsätzlichen Einwand
(69f, 125IT, 271). Wirklich nicht? Dies ist übrigens tatsächlich
ein neuer Diskussionsbeitrag. Er führt die - zutreffende - Annahme
einer relativen Selbständigkeit familiärer, ehelicher und nichtehelicher
Partnerschaftsformen (126) entschlossen fort: man wäre aber
doch wohl besser beraten, würde man heute um des Kindeswohles
willen die Familie fordern (und nun gewiß nicht nur die Kleinfamilie),
also dem Zeitgeist eher gegensteuern.

Nicht, daß der Vf. dem „Zeitgeist" verfallen wäre; es geht ihm ja um
verantwortliche Freiheit, und so läßt er z. B. das Recht auf Schwan-
gerschaftsabbruch nur für extreme Ausnahmesituationen als mit dem
christlichen Gewissen vereinbar gelten (266). Und endlich: sehr abwägend
sind seine Erörterungen zur Frage des Lebenszeugnisses kirchlicher
Amtsträger (273-281). Einerseits stehen dem Pfarrer, der Pastorin
die gleichen Freiheiten zu wie jedermann. Andererseits ist aber
ihre Lebensführung keine Privatsache; es kommt auf das Vertrauensverhältnis
zwischen Gemeinde und Pfarrer(in) an, ob nichteheliche
Partnerschaften, nichteheliche Mutterschaft oder eine Ehescheidung
wegen einer zerbrechenden Partnerschaft als Möglichkeiten persönlicher
Verantwortung annehmbar sind. Allerdings wäre es doch wohl
noch ein Unterschied, ob die Kirche eine unverheiratete Pastorin
moralisch und mitmenschlich stützt, weil sie ein eigenes Kind hat
„aus einer im Vorfeld der Ehe zerbrochenen Partnerschaft oder auf
Grund einer bewußten Entscheidung zum Kind ohne Ehe" (281).
Man sollte den Konfliktfall nicht zum Regelfall machen.

Das Buch schließt mit einem Abschnitt über die kirchliche Trauung
als Zeugnis für die Heiligkeit und Mitmenschlichkeit der Ehe. Hier
gibt der Vf. zu erwägen, ob es nicht sinnvoll wäre, im freiwilligen Verzieht
auf eine zweite Trauung eine Möglichkeit zu sehen, christliche
Identität in der Kontinuität eines Menschenlebens durchzuhalten.
Der freiwillige Verzicht wäre ein Hinweis auf die Menschlichkeit des
vergebenden und uns in die Liebe hineinziehenden Gottes (288). Das
leuchtet mir nicht ein, aber es regt zum Nachdenken an.

Bern Hermann Ringeling

Lohte, Eduard: Die Ethik der Bergpredigt und was sie uns heule vu sagen hat.

Hannover: Lutherhaus Verlag 1984. 26 S. 8- = Vorlagen. 21. Kart. DM 6.-.

Maequarric. John [Ed.]: A Dictionary of C hristian l.thies. London: SCM
Press 1984. XIII.366 S.gr. 8". Kart.£ 8.50.