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Ausgabe:

1985

Spalte:

135-136

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Ringleben, Joachim

Titel/Untertitel:

Aneignung 1985

Rezensent:

Kloeden, Wolfdietrich

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Seite 1

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135

Theologische Litcraturzeitung 110. Jahrgang 1985 Nr. 2

136

„über die Möglichkeit einer Religionsphilosophie im Sinne Hegels"
(S. 127). Hegels Vorliebe für das „ontologisehe Argument" erhält in
diesem Zusammenhang den ihm zukommenden hohen Stellenwert
für das Ganze des Systems.

Der Ertrag des vorliegenden Bandes über die „Religionsphilosophie
Hegels" ist beträchtlich, sowohl für eine konzentrierte Beschäftigung
mit religionsphilosophischen Problemen, als auch für die Hcgelfor-
schung. Hegel hat auch für die Religionsphilosophie, wie durch
Walter Jaeschkes wichtige Veröffentlichung erneut deutlich wird, eine
höchst aktuelle Bedeutung.

Leipzig Hans Moritz

Systematische Theologie: Allgemeines

Ringkben Joachim: Aneignung. Die spekulative Theologie Seren
Kierkegaards. Berlin-New York: de Gruyter 1983. X, 509 S. 8" =
Theologische Bibliothek Topelmann,40. Lw. DM 128,-.

Die vorliegende umfangreiche Habilitationsschrift hat die Zielstellung
, die Begriffe ,^4neignunif' und ..das Erbauliche" als Grundanliegen
kierkegaardscher Denkweise herauszuarbeiten und theologisch
durchzureflekticren. Mit der Untersuchung der genannten Begriffe
soll, wie es in der Einleitung heißt, ein sinnvoller Beitrag zum Verständnis
von Kierkegaards Theologie erbracht werden. Wenn das
Augenmerk also auf diese zu richten ist, dann impliziert das die Redlichkeit
, nicht bei der üblichen Sichtweise, d. h. bei der „Philosophie"
Kierkegaards stehenzubleiben, sondern die Dialektik zwischen dem
„Erbaulichen" und christlicher Religiosität (vgl. die so eingeordneten
Reden Kierkegaards!) ernstzunehmen und herauszuarbeiten. Gerade
das wird praktiziert, wobei die Bewegung vom „unmittelbar Religiösen
" über die spezifisch theologische „Aneignung" zum metaphysisch
absoluten" selbst geht. Das geschieht in einer ..Sachlogik, die sich
auf das Grundlegend-Umfassende hin entwickelt" (S. 2).

Nimmt man die eben erwähnten drei Stufen, die zur markanten
Oberstufe des religiösen Stadiums gehören, als Impulse für die religiöse
Entwicklung des Individuums zum Einzelnen hin. so stellen sie,
um das gute Gleichnisbild hervorzuheben, den Webschuß dar: „Als
durchgehende Kette" fungieren die großen Themen kierkegaardsehen
Denkens wie „Subjektivität", „Wahrheit", „Gott", „der Einzelne".
„Christus", „Paradox". „Freiheit". „Glaube", „Liebe". „Geist",
„Existenz", „ernst", „Selbstscin" u. a. (S. 2). Dem „einschlagenden
Schuß" entsprechen die jeweiligen Stichworte in den Kapitel- bzw.
Tcilabschnittsüberschriftcn: „das Erbauliche" (S. 9-96), „die Aneignung
" mit der speziellen „Aneignung" in der ersten Hälfte
(S. 97-156), dem „Erwerben" und der „Zeitlichkeit" in der zweiten
Hälfte (S. 157-189); das „Absolute" mit der „Dialektik des Absoluten
" in der ersten Hälfte (S. 201-283), dem „Absoluten" „als Form
seines Inhalts" in der zweiten Hälfte (S. 285^10) und schließlich die
eben genannten Hauptbegriffe „im Horizont eines Begriffs von religiöser
Erfahrung" (S. 41 1-466).

Wenn es um den Begriff des „Erbaulichen" geht, müssen natürlich
die „Grundzüge des Gottesverhältnisses" (vgl. S. 17-24) untersucht
werden. Dabei geht es um die wichtigen Aussagen in der „Abschließenden
unwissenschaftlichen Nachschrift", die 1846 unter dem
Pseudonym „Climacus" erschienen ist. In diesem Werk wird - in der
Linienführung von den „Philosophischen Brocken" (1844) her - das
direkte Gottesverhältnis, welches im Raum des Ästhetischen angesiedelt
ist, vom christlichen Verständnis her zurückgewiesen (S. 20; vgl.
SV VII, 489'). Dementsprechend kann Kierkegaard folgern: „In der
religiösen Sphäre ist das Positive aus dem Negativen kenntlich. Das
höchste Wohlbefinden einer glücklichen Unmittelbarkeit, das Freude
über Gott und das ganze Dasein hinausjubelt, ist sehr liebenswert,
aber nicht erbaulich und wesentlich kein Gottesverhältnis." (SV VII,
489; vgl. S. 200

Solche Kierkegaard-Sätze laden dazu ein, Kierkegaards Theologie
„spekulativ" zu deuten (vgl. S. 3,20 und dazu die formale Anlehnung
an die Sprache Hegels, die beabsichtigt ist!). Der Vf. wertet solche
Passage nicht als „Parallele" oder „Analogie", sondern findet darin
„die innere gedankliche Struktur des Gottesverhältnisses selbst - und
zwar in einer Terminologie, die besonders geeignet ist" (S. 21; vgl. die
angeführten Zitate S. 23 und besonders - nach einer gedanklichen
Entwicklung der Stadien des Selbst - die gute Herausarbeitung der
reziprok zu nehmenden Bewegung der Wahl des Absoluten („Gen.
obj.", S. 203-254; „Gen. subj.", S. 255-283).

Folgerichtig muß daher das Absolute spekulativ-theologisch gegen
vereinfachende Tendenzen in der Theologie (z. B. der des Rationalismus
!), aber auch gegen die Tendenz zur Versöhnung, der Mediation
im Sinne Hegels gesichert werden. Das geschieht nun im Grundteil
„III" durch die Hineinarbeitung der aufbrechenden Reduplikation:
Gott ist selbst die absolute Subjektivität. Als schöpferischer Grund
von Freiheit ist er sich selbst gegenüber verdoppelnd, nämlich (a) in
der eigenen, absoluten Selbständigkeit, (b) in dem Schallen der göttlichen
Sclbstmittcilung(vgl. S. 407 und SV VII, 220). Dem entspricht
auf der zeitlichen Ebene die Möglichkeit des Menschen, sein einfaches
Selbst zu vertiefen und zu verdoppeln zum „theologischen Selbst"
(SV XI, 192), womit er eine neue Unmittelbarkeit gegenüber dem
Absoluten erhält. Das geschieht bei Kierkegaard sicherlich mit Orientierung
an und zugleich mit Distanzierung von Fiehtes Spekulativem
„Ich".

Richtig ist, daß mit den Nachweisen aus der „Abschließenden
unwissenschaftlichen Nachschrift" die Möglichkeit gegeben ist, die
„Erbauung" und die „Aneignung" als Kategorien religiöser Erfahrung
unter dem Gesamtaspekt der Theologie Kierkegaards am Ende
der Untersuchung zusammenklingen zu lassen. Dabei wird wieder auf
Hegel verwiesen: „Unverkennbar nehmen dabei Hegel wie Kierkegaard
in letzter Hinsicht Maß am Paradox des menschgewordenen
Gottes" (S. 461). Solche Feststellungen wollen das Grundsatzprogramm
des Verfassers erhärten helfen, nämlich bei Kierkegaard eine
spekulative Theologie nachzuweisen.

Am Ende der Arbeit linden sich fünf Exkurse. Besonders wichtig ist
der Exkurs III unter dem Titel „Der Glaube und das Absurde"
(S. 472-477), der ergänzend wichtige Entwürfe - zitiert nach Thcunis-
sen/Greve: „Materialien"' - aus den Tagebüchern („Papirer") enthält
. Bei einer Vertiefung in die Gesamtaussagen innerhalb der
„Papirer" aus der gleichen Zeit ab 1850 hätte der Verlässer eine Reihe
von Aussagen des großen Dänen gefunden, die dem Paradoxgedanken
- anders als bei Hegel - einen liefen, ehristlich-existentiellen Ernst
geben. Das Paradox der Inkarnation wird angeeignet im Sinne reformatorischer
Theologie.

Diese Anmerkung soll überhaupt nicht die verdienstvolle. Kierkegaards
theologische Grundaussagen aus einer bestimmten Sicht
erhellende Arbeit schmälern. Erfreulich ist auch die Einarbeitung der
umfassenden, aktuellen Kierkegaardliteratur über den deutschen
Sprachraum hinaus.

Krefeld Wolfdietrich von Kloeden

1 Zitiert wird nach der vom Verfasser benutzten, aber nicht als solche
gekennzeichneten I.Aull, der „Samlede Vaerkcr" Kierkegaards, hrsg. von
A. B. Draehmann. I. L. Helberg, U. O. Lange. Kopenhagen 1901IV. Band
1-XIV. Diese Ausgabe wird mit „SV" und der nachgestellten Band- wie
Seitenzahl zitiert. Die Übersetzungen stammen v on M. Junghans aus der Werkausgabe
bei E. Diederichs 16. Abt. Köln-Düsseldorf 1958.

1 M. Theunissen u. W. Circve [Hrsg.]: Materialien zur Philosophie Kierkegaards
, Frankfurt'M. I979(suhrkanipTaschenbuch Wissenschaft ^41).

Kichmond. James: Albrecht Ritschi. Eine Neubewertung. Aus dem
Engl, von H. Krause. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1982.
268 S. gr. 8* = Göllinger Theologische Arbeiten, 22. Kart.
DM 48.-.