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Ausgabe:

1985

Spalte:

133-135

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Jaeschke, Walter

Titel/Untertitel:

Die Religionsphilosophie Hegels 1985

Rezensent:

Moritz, Hans

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Theologische Litcraturzeitung 110. Jahrgang 1985 Nr. 2

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begriffe (d. h. der .Kategorien') auf eine bloß phänomenale Welt keineswegs
zwingend ist" (106).

So ist es am Ende doch noch gelungen, Kant in die Lehre der Scholastik
heimzuholen. Wer sich daran nicht stört und es erträgt, daß der
Vf. von vornherein schon weiß, wo die ganze Wahrheit zu linden ist,
wird in diesem Buch manchen interessanten Einblick in Kants Entwicklung
erhalten. Um selbst einen Gewinn davon zu haben, wird er
freilich das Buch gegen die Intention des Vf. lesen müssen: Als die
Darstellung einer Entwicklung zu größerer Radikalität und Freiheit
des Denkens.

Neinstedt Hans Schleid'

Jaeschke, Walter: Die Religionsphilosophie Hegels. Darmstadt: Wissenschaftliche
Buchgesellsehafl 1983. VII, 154 S. 8' = Erträge der
Forschung. 201. Kart. DM 36,50.

Es ist in der Theologie auch heute noch selten, daß Hegels philosophisches
System mehr als lediglich historisches Interesse erweckt. Die
Abkehr von Dialektik. Metaphysik und absolutem Geist dominiert.
Der Hauptstrom theologischer Arbeit ist daher nach wie vor von
Berührungsängsten Hegels System gegenüber durchdrungen. Das mag
mit dem theologischen Anspruch dieser Philosophie als Ganzer zusammenhängen
, hat aber wohl auch mit einer philosophischen und
theologischen Auslcgungsgeschichte und Forschungsgcschichte zu
lun. die Hegel als Pantheisten und Atheisten interpretierte (bereits bei
Heinrich Heine nachzulesen). Als theologisch schwierig werden
jedoch genauso die Christo logischen Konzeptionen Hegels empfunden
, die bereits bald nach Hegels Tod seine Schule in eine „linke" und
„rechte" Formalion zerbrechen ließen, je nachdem, ob man die chri-
stologischen Aussagen des Bekenntnisses auf eine einzelne historische
Person oder auf das Gesamt der Menschheit bezog (D. F. Strauß).

Wenn nicht alles täuscht, haben seit einigen Jahren jedoch gesamtgesellschaftliche
Prozesse eingesetzt, die die Fachtheologic vor Probleme
stellten, die die distanzierte theologische Konzentration auf die
eigene Fachentwicklung durchkreuzen. Die Diskussionen um Säkula-
1 isation, Sozialethik oder Religion in der Profanität sind ein Indiz
dafür. Damit sind von der Lage des Christentums her Zwänge verbunden
, die den Blick wieder öffnen, auch für philosophische und reli-
gionsphilosophischc Konzeptionen, die die Theologie mit Natur- und
Gesellschaftsentwicklung verbinden. Eine intensive Beschäftigung
mit Hegels Religionsphilosophie kann in dieser Lage grundsätzlich
hilfreich sein.

1 s ist erstaunlich, wie es dem Verfasser der zu besprechenden
Arbeit zur Religionsphilosophie Hegels auf knappem Raum gelungen
ist. Hegels Entwicklung als Religionsphilosoph und zugleich die Forschungsgeschichte
darzustellen. Alle wesentliche Literatur zur Sache
kommt im Text bzw. den Anmerkungen zur Sprache, und zwar so,
daß der Leser nicht nur über die Positionen der Interpreten informiert
Wird, sondern auch etwas vom Ringen um philosophisches, sachgerechtes
Begreifen der Religion erfährt. Es zeugt vom hohen
Problembewußtsein des Verlässers, daß er mit dem Begriff „Urgeschichte
" (von Franz Overbeck übernommen) die grundlegende Phase
der Auseinandersetzung mit Hegels System und Religionsphilosophie
von den folgenden Phasen historisierender Interpretation und dann
vom Ncuhegelianisnius abhebt. Voll ist ihm zuzustimmen, wenn er
resümiert: „Sie (die Phase der Urgeschichte - H. M.) hat die prinzipielle
Aneignung, Kritik und Weiterbildung der Hegeischen Reli-
g'onsphilosophie vollzogen, über die auch die gegenwärtige
Forschung nur selten hinausgelangt ist." (S. 8ff)

Die wichtigsten Etappen der Entwicklung der Hegclschen Reli-
Bonsphilosophie werden zu Recht in enger Beziehung zum Gesamtsystem
Hegels dargestellt: „Auch wenn das Schwergewicht der späten
Vorlesungstätigkeit auf Logik und Metaphysik ruht, so läßt sich doch
»ein Thema benennen, das Hegels Philosophie von der Studienzeit
bis in die Berliner Jahre in vergleichbarer Kontinuität durchzöge."

(S. I) Mit gutem Grund läßt der Verlässer die Religionsphilosophic
Hegels im prägnanten Sinne erst mit dem Manuskript „Naturphilosophie
und Philosophie des Geistes" (1805) und der „Phänomenologie
des Geistes" (1804), also in der Jenaer Schaffensperiode beginnen,
da erst hier Religion im „Sinne des spekulativen Religionsbegriffs verstanden
wird: Als Wissen des göttlichen Geistes von sich durch Vermittlung
des endlichen Geistes." (S. 2)

Trotzdem ist es zu begrüßen, daß auch Hegels Jugendschriften, die
meist als „Theologische Jugendschriften" verhandelt werden, exakt
im Kontext der neueren Forschungen zu dieser Lebensphase erörtert
werden (S. 33-58). Hegels Auseinandersetzungen um die richtige
Analyse des LebcnsbcgrilTs haben zentrale Bedeutung vor allem in
Abgrenzung und Korrektur zu Hölderlins Lebensbegriff des „ungeteilten
, strukturlosen Seins oder Lebens" (S. 53). Hegel gewinnt einen
Lebensbegriff; dieser verweist bereits „über den spinozistisehen
Substanzbegriff hinaus auf die Entwicklung, die in Jena zum Begriff
der Subjektivität führt" (S. 53).

Eng verbunden ist diese Entwicklung mit Hegels Stellung zur
geschichtlichen Wirklichkeit: „Die biblischen Zeugnisse sind Zeugnisse
des Cieistes, die sich erst dessen Ausgießung verdanken, und
nicht historische Dokumente. Jeder Rückschritt hinter das .keryg-
matische Geschichtsbild' ist ebenso unnötig wie unmöglich" (S. 57).
Bereits hier wäre also Hegels Position die des absoluten Geistes: „Entscheidend
ist nicht, daß der Glaube nicht auf historische Wahrheiten
begründet werden kann" (S. 57), sondern „Religion ist ein Verhältnis
des (ieistes zum Geist, ohne Rückgriff auf eine getrennt davon bestehende
Wirklichkeit" (S. 56).

Die grundlegenden Probleme der Hegclschen Religionsphilosophie
werden dann von der „Phänomenologie des Geistes" (S. 58-68) bis
zur „Religionsphilosophie des Systems" (S. 69-133) in ihrer Entwicklung
entfaltet. Dem Verlässer kommt hierbei seine grundlegende
Kenntnis der Editions- und Textprobleme der Hegclschen Religionsphilosophic
sehr zustatten, die dadurch überzeugt, daß sie nicht nur
Textvcrgleiche bringt, sondern dem Gesamtsystem verpflichtet ist
und von daher die Einzelanalysen verankert. Hegels fundamentale
philosophische Absicht, eine „Begründung der denkenden Erkenntnis
des Absoluten" (S. 147) zu geben, dominiert auch in der Religionsphilosophie
der Spätphase.

Folgenreich ist das bereits für die methodisch steuernde Verhältnisbestimmung
von Anschauung, Vorstellung und Begriff (S. I 10-1 19):
Religion ist absoluter (ieist in Form der Vorstellung. Philosophie
absoluter Geist in Form des Begriffs. Vorstellung wird „aufgehoben"
in den Begriff Alles hängt dann von der Auslegung dieses „Begrei-
fens" und damit „Aufhebens" durch die Philosophie ab. Der Verfasser
meint, daß nicht nur die Form (des Vorstellens) von diesem kritischen
„Aullieben" betroffen sei. sondern auch der Inhalt als religiöser
(Gott) negiert werde. (S. 119)

Der Ort dieses „Aufhebens" wäre jedoch analog nicht die „Gemeinde
" im religiösen Sinn, sondern „die Gemeinde der Philosophie"
(S. 107): „Weil die Gemeinde (als religiöse H. M.) sich nicht von der
Vorstellung löst, löst sie sich auch nicht von der Historie und gelangt
auch nicht zu einem angemessenen Bewußtsein der Versöhnung"
(S. 106).

Der Verfasser gibt mit dieser Auslegungsrichtung eine konsequent
philosophische Interpretation der Hegclschen Erkenntnisbemühungen
um den absoluten Geist. Ob damit jedoch die Ambivalenz der
Hegclschen Aussagen, die Form des Vorstcllcns mit ihrem Inhalt
betreffend, behoben werden kann, mag dahingestellt bleiben. Für
theologisches Bemühen um Hegel ist wohl stärker von der bleibenden
anthropologischen Notwendigkeit des Vorstellens auszugehen, die
gleichfalls zu einem adäquaten Erfassen des absoluten Geistes führen
kann und keineswegs nur eine „Tautologie" zur philosophischen Auffassung
wäre.

Hervorgehoben sei nicht zuletzt die prägnante Darstellung von
Hegels Ringen um die „Beweise vom Dasein Gottes" (S. 120-133);
wird hier doch über nicht mehr und nicht weniger entschieden als