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Ausgabe:

1985

Spalte:

105-108

Kategorie:

Neues Testament

Titel/Untertitel:

Antipaulinismus im frühen Christentum 1985

Rezensent:

Hübner, Hans

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Theologische Literaturzeitung 110. Jahrgang 1985 Nr. 2

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enthusiasm to cloud Iiis judgmcnt from all poinls of view, philolo-
gieal. historical and literary. Hisstudy isa blind alley in the quest Ibra
Solution to the Son of Man problem.

Manchester Barnabas Lindars, S. S. F.

LUdemann, Gerd: Paulus, der Heidenapostel II: Antipaulinismus im
frühen Christentum. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1983.
322 S. gr. 8° = Forschungen zur Religion und Literatur des Alten
und Neuen Testaments 130. Lw. DM 82,-.

Das hier zu besprechende Buch ist das zweite einer Paulus-Trilogie.
Die Rezension des 2. Bd. kann daher auch nur in einer gewissen Vor-
läufigkeit dem Autor gerecht werden, da sich die Intention dieses Bd.
erst richtig vom 3. und letzten Teil erschließen wird. U. U. muß ich
in der Rezension des 3. Bd., der dann möglicherweise einiges zuvor
(iesagte im neuen Licht erscheinen lassen wird, das eine oder andere
modifizieren, was ich über die ersten beiden Bd. geschrieben habe.1

Gegen Methodik und Ergebnisse des I. Bd.. den ich in ThLZ 107.
1982 Sp. 741 ff rezensierte, habe ich nicht geringe Bedenken geäußert.
So möchte ich sofort eingangs sagen, daß ich den nun vorliegenden
2. Bd. mit wesentlich größerem Gewinn gelesen habe und seinen
Ergebnissen in der Gesamttendenz weithin zustimmen kann. Ich kann
L. in der methodischen Grundkonzeption folgen, wenn er aus der
Forschungsgeschichte seit F. Ch. Baur die Kriterien für seine eigene
Fragestellung nimmt. Gerade dieses Buch, das den Antipaulinismus
(Ap.) in paulinischcr und nachpaulinischcr Zeit behandelt, zeigt in
überzeugender W eise, wie wichtig für das Verstehen eines größeren
Problemkomplcxes das Erfassen des Gewordenseins des Status quae-
stionis ist. Forschungsgeschichte zu betreiben ist nun einmal eine der
unabdingbaren Voraussetzungen, um selber in der Forschung mitreden
zu können; denn nur so ist der Forscher in der Lage, seine eigene
Position in hinreichender Perspektive ZU sehen. Demgemäß ist das
Buch in 3 Abschnitte unterteilt: Geschichte der Erforschung des
Judenchristentums als Problemstellung. Hauptteil I.: Ap. zu Lebzeiten
des Paulus(P.). und Hauptteil IL: Ap. in nachpaulinischcr Zeit.
Es folgt ein Anhang: Die Nachfolger der Jerusalemer Urgemeinde.
Analyse der Pella-Tradition.

Durch den Forschungsbericht zieht sich als roter Faden die Frage
nach der Definition des Judenchristentums. Von daher stellt L. sich
selber die Aulgabe, noch einmal sich um die historisch-kritische
Analyse des Ap. im frühen Christentum zu bemühen und gleichzeitig
zu fragen, ob auf ihn die Bezeichnung ..Judenchristen"' im Sinne der
von Marcel Simon gegebenen Definition des Judenchristentums
Zutreffe (S. 56: das Kriterium für die Definition Simons ist die rituelle
('esctzeso/)(Ti(//ir. die Orlhopra.xie. im Gegensatz zur Lehre). L.
behandelt im I.Tl. u.a. F. Ch. Baur. A. Ritschi. A. Hilgenfeld.
H.-J. Schoeps und M. Simon. Das ist eine durchaus akzeptable Aus-
Wahl, mag man auch vielleicht gewünscht haben, daß er auch Forschungen
von A. von Harnack, O.Cullmann, L.Goppelt oder
v». Strecker einen eigenen Abschnitt gewidmet hätte. Im 2. Abschn.
behandelt L. den Ap. auf der „Jerusalemer Konferenz" und beim
Zwischenfall in Antiochien, dann den Ap. in Jerusalem und den Herrenbruder
.lakobus und schließlich den Ap. in den paulinischen
Gemeinden (in der von ihm postulierten Reihenfolge der in frage
kommenden paulinischen Briefe: I Kor. 2Kor. Gal, Phil und Rom).
Das Ergebnis: ..Sämtliche uns sichtbar werdenden (externen) Anti-
pauliner hängen mit der Konferenz zusammen" (S. 162). Zwischen
Konferenz- und Kollektenbesuch des P. in Jerusalem hat sich dort
eine Veränderung in der Leitung vollzogen: Nicht nur die Füh-
rungsstellung des Jakobus, sondern auch eine größere Einflußnahme
Oer ..falschen Brüder" der Jerusalemer Konferenz auf die Geschicke
der (lemeinde. Dabei obsiegte der p„ SO daß schließlich die Kollekte
des P, in Jerusalem nicht mehr angenommen wurde.

W ürdigung und Kritik der Einzelergcbnisse sind auch hier nur
sporadisch möglich. Erfreulieh ist. daß L. im Hauptteil I seine These

nicht dadurch belastet, daß er für die Begründung an der unhaltbaren
chronologischen Reihenfolge factum Antiochenum - Synode festhält
(so Bd. I)." Unbedingt zuzustimmen ist L.. daß das Bewußtsein des P.,
Apostel der Heiden zu sein, sehr früh ausgebildet war. nämlich mit
seiner Berufung. Gal 1.16 (S. 62). Nicht folgen kann ich ihm aber in
seiner Auslegung von Gal 2. wonach der Apostolat des P. bei der
Jerusalemer Konferenz nicht anerkannt worden sei (S. 62: ..Ein weiteres
virtuelles antipaulinisches (ap.) Element" neben der Aufteilung
der Missionsfelder im ethnographischen Sinn, wodurch dem P. eine
Mission an Heiden und Juden unmöglich gemacht werden konnte).
Hier liegt Überinterpretation von c ial 2.8 vor. Mit Recht wehrt sich L.
dagegen, das factum Antiochenum theologisch herunterzuspielen.
Hingegen ist es unbeweisbar, daß es „bei der Konferenz . . . um die
gesetzesfreie Heidenmission, beim Kephasbesuch um die Heidenmission
überhaupt" ging (S. 73). Und zu erwägen, was beim Kephasbesuch
zwischen P. und Petrus und dann zwischen P. und Jakobus
besprochen wurde, bleibt reine Spekulation. Und was die Missionssynode
angeht, so dürfte P. wohl kaum eine gesetzesfreie Mission
zugestanden worden sein, sondern wohl nur eine Mission, in der die
I leidenchristen von der Beschneidung befreit blieben. Das scheint mir
jedenfalls die Differenz zwischen P. und der Jerusalemer Seite zu sein:
Für P, bedeutete die Freiheit von der Beschneidung zugleich die Freiheil
vom Gesetz, während die Jerusalemer Seite so nicht dachte'

Im Prinzip stimme ich mit L. auch darin überein. daß nach der
Missionssynode der Ap. in Jerusalem zunahm. Selbst seine These on
der nichtangenommenen Kollekte halle ich für erwägenswert. Allerdings
würde ich den Beweisgang etwas anders führen als L.. und. so
paradox es Für ihn klingen mag. gerade mittels solcher Argumente, im
Blick auf die er mir in Bd. I mangelnde Methodik vorwarf, Argumente
nämlich, deren wesentliche I lemente gerade bei ihm seihst
gegeben sind. Mit L. nehme ich nämlich an. daß in Galatien Judenchristen
, die mit Jerusalem in Kontakt standen, wenn nicht gar von
dorl kamen, die Gegner des I'. waren. Dann aber muß die Jerusalemer
Kirchenleitung einschließlich des .lakobus vom Cial in irgendeiner
Weise Kenntnis bekommen haben. Welche Wirkung dieser Brief mit
seiner antinomistischen Tendenz bei gleichzeitiger Berufung auf die
Jerusalemer Synode gehabt haben muß. kann man sich vorstellen,
auch ohne ins Blaue hinein zu phantasieren. Wie .lakobus reagiert hat,
wissen wir nicht. Daß er reagiert hat, liegt auf der Hand! Und daß
durch den Cial Ol ins ap. Feuer gegossen wurde, sollte eigentlich nicht
mehr bewiesen werden. Daß Paulus on dieser Situation in Jerusalem
wußte, dürfte Rom 15.30f zeigen. Die unbestreitbare theologische
Differenz zwischen Gal und Rom läßt darauf schließen, daß P.
mit seiner Argumentation im Rom jenen Angriffen auf ihn die Spitze
abbrechen will, die gerade wegen des Gal gegen ihn geführt wurden.
Daß man in der damaligen so brisanten Jerusalemer Situation vom
Schreiber des Gal keine Kollekte annehmen konnte - es sei denn,
etwas Außergewöhnliches geschehe (Historizität der Übernahme der
Auslösung von vier Nasiräern?)-. ist nur konsequent. Ob freilich die
dem Lukas orgelegenc Quelle für Act 2 I so zuverlässig war. daß man
mit L. für die Nichtannahme der Kollekte ein argumentum e silentio
führen kann (S. 9211"). scheint mir fraglich. Nach der so großen Skepsis
gegenüber Act in Bd. I verwuYlderl das Vertrauen, das er nun gegenüber
derselben Schrill hegt. Zu den übrigen Schulten des I'. nur noch
eine Bemerkung: L.s These, daß die externen Antipaulinerdes I. und
2Kor jerusalemische Judenchristen waren, die noch von der Synode
her gegen P. eingestellt waren (S. 143). ist es wert, sehr ernsthaft
erwogen zu werden. Ich muß es hier bei dieser Bemerkung bewenden
lassen und werde in anderem Zusammenhang ausführlich darauf zu
sprechen kommen.

Wenn L. im 2. Bd. seiner Trilogie die (leschichte des Ap. bis zu den
Pseudoklementinen auszieht, um schließlich im noch ausstehenden
3. Bd.. w ie seine kleine Schrift „P. und das Judentum" (TEH 21 5) vermuten
läßt, das Verhältnis des P. zum Judentum als Essenz des Problems
P. zu klären, dann w ird man annehmen dürfen, daß er sich von
eben dieser Geschichte, also aus der Retrospektive, hermeneutische