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Ausgabe:

1985

Spalte:

73-75

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Müller, Dieter

Titel/Untertitel:

Geisterfahrung und Totenauferweckung 1985

Rezensent:

Müller, Dieter

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Theologische Literaturzeitung 110. Jahrgang 1985 Nr. I

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ein Opfer des Vorurteils vom getauften Juden zu werden. Selbst im
humanistischen Briefwechsel findet sieh die Abscheu vor dem jüdischen
Teufelsdreck.

(3) Reuchlins Stellungnahme zur Konfiskation hebräischer Literatur
und der sich anschließende Streit ergeben von humanistischer
Seite keinen Anhaltspunkt für den oft unterstellten aufklärerischen
Impuls zur Frage nach dem Judenstatus. Der Streit ist als innerkirchliche
Auseinandersetzung um die Frage zu sehen, ob und wie mit dem
Talmud gegen diesen gekämpft werden könne. Die eigentlichen
Grundlagen jüdischer Existenz im Exil werden weder von humanistischer
noch von scholastischer Seite anerkannt. Der tolerierte Jude ist
nicht der wegen seiner alttestamentlichen Vergangenheit als rabbini-
scher Jude tolerierte, sondern der für alttestamentlich gehaltene Jude.
Persönliche Cirenzübcrschrcilungen zwischen Judentum und Christentum
führen nicht zu einer Generalisierung positiver Erfahrungen,
SO daß Hochachtung vor (gebildeten) einzelnen und Verachtung der
Gemeinschaft des Andersgläubigen jüdischer- wie christlicherseils
nebeneinander existieren können. Die Polemik um die Person Reuchlins
und Pfeilerkorns ist ein Testfall für offene und unterschwellige
Judenverachtung, die jeweils beim Gegner den wahren „Halbjuden"
sucht: Reuchlin als neuer Mus. Vorläufer des Antichrists und Martin
Luthers. Pfefferkorn als typischer Marrane. beide damit beschäftigt,
die Kirche von innen zu zerstören.

Neben Anmerkungen zur Person Pfefferkorns enthält die Arbeit
auch solche zu den lateinischen Fassungen seiner Schriften und ein
Verzeichnis der wichtigsten Drucke.

Müller. Dieter: Geisterfahrung und Totenauferweckung. Untersuchungen
zur Totenauferweckung bei Paulus und in den ihm vorgegebenen
Überlieferungen. Diss. Kiel 1981. 292 S. und 172 S.

Paulus benutzt an drei Stellen seiner Briefe eine Merklormel, die er
selbst - wahrscheinlich zu katechetischen Zwecken - gebildet hat. Sie
hat stilistisch die Form einer Sentenz partizipialer Protasis und
Apodosis mit verbum finitum. Stilistisch gleichgestaltete Sentenzen -
m der Regel mit Menschen als Subjekt - begegnen überaus häufig in
den Weisheits- und Rechtsüberlieferungen Israels. Ihre stilistische
Ausformung dient der sprachlichen Vergewisserung über den unwandelbaren
Zusammenhang von Tat und Folge, von Hallung und Ergehen
. In späterer /eil werden sie zu Sentenzen eschalologischer Heils-
Theißung oder Clerichtsandrohung. Dieser Sentenzentyp wird theologisch
- mit Gott als Subjekt - eingesetzt, um Gottes unveränderliche

' 'eue auszudrücken, die Zuverlässigkeil der Abfolge von Ileilsereig-
uissen. In diesem Kontext steht die paulinische Begründungssentenz.:
" iyeipa; fnooGv ix vtxpt&v xai ijnt'u tyepet. Wir haben sie Begründungsformel
genannt, weil sie die Totenauferweckung zum Zeitpunkt
der Parusie mit Jesu Auferwcckung begründet. Die Begrün du ngs-
slruktur dieser Sentenz stammt nicht aus dem Mysterienschema, sondern
aus dem geschiehtstheologisehen Begründungsdenken des AT
und des ihm folgenden jüdischen Schrifttums. Hier wird die in der
' ergangenheil erfahrene Hilfe zum Grund der Erwartung zukünftigen
Heils: Der Gott, der in Jesu Auferwcckung Heil gesetzt hat. wird die

' Dien auferwecken.

Die Arbeit zeigt, daß traditionsgeschichtlich am Anläng der Be-
Bründungsformel die 2. Benediktion des Schcmone Esre in der palästinischen
Rezension stand. Sie hat die beiden bei Paulus zitierten Prädi-
kationsvarianten o tyeiptov toöf r.xpoi>- und 6 tyooxoubv zoö$ vexpotk;
nebeneinander: und in ihr steht der im Auferweckungskontext völlig
singulare, nur noch bei Paulus begegnende Ausdruck cv ptnfj

fOafyiod = yv 'pTO. Mit Hilfe der Prädikation ö i'r/cipov tob-nxpod$
wurden die Erscheinungen Jesu nach seiner Kreuzigung als Antizipa-
1 lOn der Totenauferweckung interpretiert. Die Erscheinungen als Ein-
'citung der Totenauferweckung zu verstehen, wurde möglich durch
die gleichzeitig aufs äußerste gesteigerte Naherwartung. Die Prädikation
ii iyeipai 'Inooöv v.x vexpwv enthält die älteste Glaubensformel der
christlichen Theologiegeschichte.

In der paulinisehen Auferweckungsscntenz wird Rom 8.1 I und
1 Kor 6,14 das Machtmittel genannt, das die Toten erweckt: nveupa
und SövafUQ. Beide sind in diesem Zusammenhang synonym verwendet
. Pneuma und Auferwcckung stehen also in Beziehung zueinander
. Im Kontext der Totenauferweckung begegnet Pneuma bei Paulus
als Macht. Generell gilt, daß die urchristliche Geisterfahrung sich
vom Machtaspekt her erschließt. Das zeigt sich pointiert in der bei
Paulus und Johannes belegten urcliristlichen Tradition vom Itveßfta
{wonoiodv. Die urchristliche Geisterfahrung im Horizont der Auler-
weckung Jesu führte zum Verständnis des Pneuma als der eschatolo-
gisch wirksamen Schöpferpotenz Gottes. Die singuläre rabbinische
Analogie BerR 48 (iTTTO *»m) läßt noch erkennen, daß Ez37 der
schrifttheologisehc L'rsprungsort dieser Vorstellung gewesen ist.

Paulus konzentriert und definiert die urchristliche Geisterfahrung
chrislologisch: für ihn ist Christus nveSfta tjoowtMO&v, sowohl indem er
machtvoll in der Gegenwart der Christen herrscht, wie auch in der
eschatologischen Entmächtigung der gottfeindlichen Mächte und
endlich auch in der Auferwcckung der Toten, die mit dem Endsieg
über die letzte Feindesmacht Tod identifiziert wird. In dieser christo-
logischcn Personalisierung der Geisterfahrung ist wahrscheinlich eine
antienthusiastische Tendenz des Apostels zu sehen. Die eschatolo-
gische Herrschaft des Christus vollzieht sich £v itveti/taTl. cv ItveöfUm
und iv Xpimth sind substituierbar. iv XpiatQ ist als Machtbereich für
Paulus die Basileia Gottes unter dem Aspekt des gegenwärtigen offensiven
Machtkampfes um den Menschen. Mit jeder Inkorporation iv
Xpinxih expandiert die Basileia Christi auf das Ziel hin, wo Gott xdvra
cv ndmv ist. Das zeigt sich an der Verbindung der Adam-Christus-
Tradition in I Kor 15,22 mit der apokalyptischen Überlieferung von
I Kor 15.23-28. <fv Xpiaxri ist der genuin paulinische Ausdruck für
den Bereich, in dem Gottes Basileia sieh durchgesetzt hat. In diesem
Machtbereich lebt der Christ ob Xpiaxih. Syn Christo hat sich uns als
personale Innenstruktur des Christus-Machtbereiches gezeigt, der die
antizipierende Realisierung der Basileia Gottes darstellt. Weil
dieser Machtbereich gegenüber der Todesmacht expandiert
(I Kor 15.23-28), sind auch die Toten cv Xpiaxtb. werden sie cv
Xptaxw lebendig gemacht, um abv Xpiorcp zu leben.

Für Paulus vollzieht sich in Übereinstimmung mit der Theologie
des Urchristentums die Inkorporation in den Machtbereich Christi in
der Taufe. In der Liturgie der vorpaulinisehen Überlieferung fixierte
die Adam-Christus-Typologie den Machtbereichswechsel. Wir fanden
sie bei Paulus in drei Varianten. 1 Kor 15,22 zeigte sich als Tauf-
sprueh. Rom 5 ist die Typologie von Paulus unter der Leitvorstellung
..Rechtfertigung" verarbeitet. Hinter I Kor 15,4511'läßt sich wahrscheinlich
die unter dem Einfluß des Alexandriners Apollos von den
Korinihern „gnostisierend" aufgearbeitete Typologievariante noch
erkennen. In der Taufe wird der Zugang zur urchristlichen Geisterfahrung
institutionell eröffnet: Hier wird der Geist gegeben. Das gilt für
Paulus wie für die vor- und nebeiipaulinischen Überlieferungen, die
im Kol und Eph erkennbar sind.

Voraussetzungen dafür sind Überlieferungen sowohl diasporajüdischer wie
palästinischer Provenienz, in denen Bekehrung zum Judentum als Totenauferweckung
besehrieben wird. Auf dieser Grundlage halte schon der historische
Jesus Versehlossenheil für seinen Ruf als Tolsein und Umkehr als Lebendigwerden
verstanden.

Paulus verweigert sieh einer naiven enthusiastischen Antizipation, indem er
Totenauferweckung als eschatologiscbes Endgeschehen sireng in die Zukunft
datiert, weil sein jüdisches Wirklichkcitsvcrständnis theologisch und anthropologisch
Gott und die Leibliehkeil nicht voneinander zu distanzieren vermag. Er
nutzt zugleich die Antizipation, indem er mit Mille der Geislerlährung das mit
der Auferwcckung notwendig gegebene Kontinuiüitsproblcm löst Pneuma ist -
alttestamentlich verstanden - der Lehensträger, der sub eonditione eschatolo-
giea das seit der Taufe durch den dppaßüJV wB ItvaSfiaTOi pneumatisierte Ich des
Mensehen durch Tod und Auferstehung durchhält und so - die jüdische Idenli-
tätsl'rage beantwortend - die personale Identität garantiert. Dieses besehreibt
Paulus mit der von ihm selhsl geschaffenen Vorstellung vom m'nm nvcn/tatixöv