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Ausgabe:

1985

Spalte:

923-925

Kategorie:

Religions- und Kirchensoziologie

Titel/Untertitel:

Religion in den Gegenwartsströmungen der deutschen Soziologie 1985

Rezensent:

Moritz, Hans

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Theologische Literaturzeitung 110. Jahrgang 1985 Nr. 12

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das Heil zielende Offenbarung und die Lebenssituation des Menschen
nicht nur berühren, sondern auch überschneiden.

Teipel hat ein anregendes und zur Diskussion herausforderndes
Buch geschrieben. Er zeigt sich als Kenner sowohl der Katechismusgeschichte
als auch der Theologie von Rahner und Metz. Er hat den
Mut, praktisch-theologisch nach vorn zu denken und - hic Rhodus,
hic salta - „Versuche" vorzulegen. An vielen Stellen wird man zu
Exkursen in das religionspädagogische Umfeld eingeladen und folgt
ihnen mit Gewinn (z. B. zum LernbegrifT).

Dennoch seien einige Anfragen an das Buch und an die Behandlung
des Anliegens eines künftigen Katechismus genannt:

1. Kann es genug sein, wenn Rahner und Metz exemplarisch für die
deutschsprachige Gegenwartstheologie herangezogen werden? Ihnen
verdankt das heutige theologische Bewußtsein wichtige Impulse und
wichtige Neuansätze. Läßt sich aber der Versuch, Konturen einer
neuen Glaubensdidaktik zu ermitteln, an zwei - wenn auch bedeutenden
Namen - festmachen? Wäre nicht ein Konzil oder die Aussage
einer Synode eine breitere theologische Basis?

2. So wie alte Katechismen nicht nur eine Glaubens-, sondern auch
eine Lebenslehre anboten, wird vermutlich auch ein Katechismus der
Zukunft Hilfen zu christlichem Handeln geben müssen. Gibt es nicht
entsprechend zur Dogmatik auch eine Erschließung der Inhalte
christlichen Sollens an der Lebenssituation des heutigen (jungen)
Menschen?

3. Das Gelingen einer Einführung in den Glauben hängt nicht nur
vom literarischen Medium Katechismus ab. Weitere, vielleicht wichtigere
Faktoren sind die Person des Katecheten (mit seiner Beziehung
zu Glaube und Welt) und der Akt der Unterweisung selbst. Viele
Funktionen, die der Katechismus in der Vergangenheit übernehmen
sollte und viele Erwartungen, die auch in der Arbeit von Teipel an
einen zukünftigen Katechismus gerichtet werden, sind von diesem als
Katechismus/wc/? nicht zu übernehmen oder zu erfüllen, sondern sie
sind nur zu realisieren als Ensemble von Buch, Katechet, lebendiger
Unterweisung und Gemeinde, also durch das, was vor Luther ,Katechismus
" hieß, durch den lebendigen Vollzug des Glaubensgespräches
. Ein Katechismus, dem die gesamte religionsdidaktische Aufgabe
aufgelastet wird, ist heillos überfrachtet.

Alles in allem, ein Buch, das man mit katechetischem Gewinn liest
- nachträglich ist es übrigens auch eine Würdigung des Lebenswerkes
von Karl Rahner aus der Sicht der Religionspädagogik; das schon
1917 von Göttler und Stieglitz gesehene „stets zu Wünschen und Kritiken
Anlaß gebende Spezialkapitel", nämlich „die Lehrbuchfrage"
(344) wird auch nach Teipels Buch ein beständiges Problem der Religionspädagogik
bleiben. Aber seit seiner Darstellung sehen wir es
genauer.

Stotternheim Franz Georg Friemel

Religions- und Kirchensoziologie

Daiber, Karl-Fritz, u. Thomas Luckmann [Hrsg.]: Religion in den
Gegenwartsströmungen der deutschen Soziologie. München: Kaiser
1983.261 S. 8° = Religion-Wissen-Kultur, 1. Kart. DM 49,-.

Auch in der theologischen Wissenschaft hat sich nunmehr das Verhältnis
zur Religion normalisiert. Nach langjähriger Ablehnung und
theologischer Abwertung des Religionsbegriffs ist im Allgemeinen
eine von der Sache der Theologie her gebotene größere Offenheit diesem
Begriff gegenüber zu konstatieren. Daher ist es auch für die theologische
Arbeit ein erheblicher Gewinn, wenn nun ein Uberblick über
die Stellung der Religion innerhalb der Soziologie der Gegenwart vorgestellt
wird. Offensichtlich hat auch in der soziologischen Grundlagendiskussion
eine gewisse Akzentverschiebung hin zu größerer
Offenheit gegenüber der gesamtgesellschaftlichen Bedeutung von
Religion eingesetzt.

Religion wird in diesen Diskussionen nicht lediglich als abgesondertes
Randphänomen innerhalb einer Randorganisation (Kirche)
diskutiert, deren zukünftige Entwicklung durch voranschreitende
„Säkularisierung" bedroht ist. Es ist den Herausgebern Karl-Fritz
Daiber und Thomas Luckmann und dem Chr. Kaiser Verlag sehr zu
danken, daß ein höchst informativer Überblick über Religion innerhalb
neuerer Strömungen der Soziologie vorgelegt wurde: Dabei sind
vor allem westdeutsche soziologische Konzeptionen erörtert worden,
aber auch deren historische Wurzeln, so vor allem in einem Beitrag
von Constans Seyfarth: „Zur westdeutschen Diskussion der Religionssoziologie
Max Webers seit den sechziger Jahren" (S. 18 ff).

Der Name Max Webers taucht aber auch in fast allen anderen Beiträgen
auf und wird von seiner Theorie des „sozialen Handelns" her
positiv aufgenommen. Daneben werden in den verschiedenen soziologischen
Grundlagenkonzeptioncn und Schulen jedoch auch Marx,
Dürkheim und T. Parsons als Kronzeugen benannt. Thomas Luckmann
sieht in einer Nachbemerkung die zukünftige religionssoziologische
Arbeit von ihren Fragestellungen bestimmt: „Marx, Dürkheim
und Weber sind noch immer mit uns, und sie werden, wenn es bei der
autonomen Entwicklung der Religionssoziologie bleibt, auch in den
nächsten Jahrzehnten die Grundfragen der Religionssoziologie .. .
weiter bestimmen". (S. 223) Dabei wird in allen Beiträgen des Bandes
davon ausgegangen, daß etwa ab 1960 eine Wende von der Kirchensoziologie
hin zur eigentlichen Rcligionssoziologie eingetreten ist.
„Religion wird nun", wie Karl-Fritz Daiber formuliert, „neu auch in
ihren nicht an die kirchlichen Institutionen gebundenen Äußerungsweisen
zu entdecken versucht" (S. 14). „Die Religionssoziologie
bezieht sich auf die gesamtgesellschaftliche Ebene, die Kirchensoziologie
auf die religiöse Institution und ihre Organisationsformen."
(S. 16)

Von einzelnen soziologischen Grundlagentheorien aus werden
deren Folgerungen für die Religionssoziologie analysiert. Ingo Mörth
stellt „Religionssoziologie als kritische Theorie vor" (S. 30-65).
Volker Drehsen „Die strukturell-funktionale Analyse in der deutschen
Religions- und Kirchensoziologie nach 1945" (S. 86-122).
Traugott Schöfthaler den „system-theoretischen Ansatz in der
deutschsprachigen. Religionssoziologie" (S. 136-153), Wolfram
Fischer und Wolfgang Marhold „Das Konzept des Symbolischen
Interaktionismus in der deutschen Religionssoziologie" (S. 167-1 76).
Karl Gabriel die „Religionssoziologie als .Soziologie des Christentums
'" (S. 182-193), Ingrid Lukatis „Empirische Forschung zum
Thema Religion in Westdeutschland, Österreich und der deutschsprachigen
Schweiz". Dazu kommt eine ausgezeichnete Ergänzungs-
Bibliographie „zur gegenwärtigen Theoriebildung in der deutschsprachigen
Religionssoziologie" (S. 225-256), die für die religionssoziologische
Arbeit eine wichtige Hilfe darstellt.

Es ist in einer Theoriediskussion wohl schwer zu vermeiden, daß
ein großer Grad formaler Begrifflichkeit erforderlich ist, vor allem,
wenn ohnehin von konzentrierter Begrifflichkcit getragene Theorien
zusammengefaßt und kurz dargestellt werden.

Dieser Sachverhalt ist den Herausgebern offenbar auch bewußt
gewesen. Sie haben mit gutem Grund die beiden Beiträge „Religionssoziologie
als Soziologie des Christentums" und „Empirische Forschungen
zum Thema Religion . . ." ans Ende gesetzt. Dadurch wird
deutlich darauf verwiesen, daß historische bzw. empirische Konkretion
der logisch-fundamentalen Reflexionspotenz entsprechen müssen
.

Ist mit diesem Rückbezug in historische Entwicklung und gegenwärtige
gesellschaftliche bzw. religiöse Lage nicht auch etwas vom
künftigen Weg der Religionssoziologie angedeutet?

Thomas Lucknianns inhaltsbezogene Prognose für die Religionssoziologie
geht in ähnliche Richtung. Religionssoziologie wäre dann:
„Einmal als allgemeine Gesellschaftstheorie, die sich mit der Integrationsfunktion
von Symbolwelten und der Veralltäglichung und Institutionalisierung
von Transzendenz in verschiedenen Gesellschaftsformen
befaßt und sich ihre Empirie überall dort sucht, wo sie sie zu
finden hofft, von der Ethnographie, der Historie und der Gegenwart.