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Ausgabe:

1985

Spalte:

913-914

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Franz, Albert

Titel/Untertitel:

Glauben und Denken 1985

Rezensent:

Garaventa, Roberto

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Seite 1

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913

Theologisehe Literaturzeitung I 10. Jahrgang 1985 Nr. 12

914

Systematische Theologie: Allgemeines

franz. Albert: Glauben und Denken. Franz Anton Staudenmaiers
Hegelkritik als Anfrage an das Selbstvcrständnis heutiger Theologie
. Regensburg: Pustet 1983. 385 S. gr. 8" = Eichstätter Studien.
N. F.. 18. Kart. DM 78.-.

Der Vf. versteht seine Arbeit über Staudenmaiers Hegelkritik und
zur Klärung der deren Hintergrund darstellenden Frage nach dem
Verhältnis von Glauben und Denken als „Anfrage an das Selbstverständnis
heutiger Theologie", denn er ist überzeugt, daß die heutige
katholische Theologie in der „Wirkungsgeschichte" der Hegelkritik
Staudenmaiers anzusiedeln sei. Nicht nur sei sie hinsichtlich der
Auseinandersetzung mit Hegel noch nicht über Staudenmaicr hinausgekommen
, sondern auch ihre „Positionalität" (Pannenberg) sei auf
dcn Ansatz Staudenmaiers zurückzuführen, der sich als „Rückgriff"
hinter Hegel und Kant herausstelle (344-350). Um diese Überzeugung
zu rechtfertigen, fragt sich F. zuerst, ob Staudcnmaier „die Sache
Hegels" wirklich aufgegriffen und ob er sie seinerseits „sachgerechter"
dargestellt habe (16). Er analysiert daher im ersten Kapitel (39-117)
die Entwicklungsgeschichte der Hegelkritik Staudenmaiers, von der
«Positiven Haltung" (trotz mancher Kritik) in seinen früheren Jahren
b's zur „totalen Ablehnung" Hegels in seinen späteren Jahren, gründlich
, um dann in zwei weiteren Kapiteln (118-213 bzw. 214-339) die
Kritik Staudenmaiers an Hegels Werk insgesamt und an seinen einzelnen
Teilen darzustellen und zu diskutieren, die in seinem Buch „Darstellung
und Kritik des Hegclschen Systems. Aus dem Standpunkte
der christlichen Philosophie", 1844, zusammenfassend enthalten
ist.

Laut F. sieht Staudcnmaier die besondere Leistung Hegels darin,
den „protestantischen Subjektivismus" Kants und den darausfolgenden
Riß zwischen Glauben und Denken überwunden und derObjek-
tivität und der systematischen Wissenschaftlichkeit den ihnen gebührenden
Platz in der Philosophie wieder zugewiesen zu haben (53-54).
Gleichzeitig wirft Staudcnmaier aber Hegel vor, dem Denken die
Möglichkeit zugesprochen zu haben, die Wahrheit selbst, d. h. Gott,
zu erkennen, und deshalb zwischen Religion und Philosophie nur
-der Form nach", aber nicht dem Inhalt nach unterschieden zu haben
(134-136); denn er geht davon aus, daß das Denken als endliches sich
der Idee Gottes zwar annähern, aber sie nie wirklich erreichen kann
(82). Wenn Hegel aber dieses behauptet, dann deswegen, weil er
zwischen Mensch und Gott, dem Relativen und dem Absoluten, dem
'endlichen) Denken und der Realität nicht unterscheidet, das menschliche
Selbstbewußtsein als ein aufzuhebendes Moment des durch seine
dialektische Entwicklung zu sich selbst kommenden Geistes betrachtet
und schließlich den Glauben in der Philosophie auflöst (I 11, 158).
Hegel ist also nach Staudcnmaier nur „scheinbar" ein christlicher
Philosoph (203): in Wirklichkeit ist er ein Pantheist, weil er von der
absoluten „Identität von Denken und Sein" ausgeht (181), ja sogar ein
..logischer Pantheist". weil sein reines, abstraktes, logisches Denken
die objektive Realität nicht erreichen kann (158, 192). Der Gott
Hegels ist also nicht der Gott des Christentums, so daß Tür den katholischen
Philosophen Staudcnmaier die Kritik an Hegel zu einer Verteidigung
des Christentums und seiner „Grundwahrheiten" wird: der
Personalität Gottes in seiner Unabhängigkeit von der von ihm frei erschaffenen
Welt und der Endlichkeit der personalen Existenz des einzelnen
Menschen und seiner Erkenntnis. Das System Hegels ist ja
sogar Tür Staudcnmaier die Grundform aller nichtchristlichen und
deshalb pantheistischen Denksysteme der Idccngeschichte und
schließlich „die Wurzel aller Übel" und der Ursprung aller atheistischen
, materialistischen und revolutionären Ideen seiner Zeit (72,
121). Sic zu bekämpfen und ihr ein die richtige Synthese von Philosophie
und Theologie darstellendes „theistisches" System gegenüberzustellen
, wird zu Staudenmaiers Lebenssendung(51). Auch Staudcnmaier
geht es allerdings darum, die Wahrheit zu erfassen und Philosophie
und Religion in einem System zu versöhnen. Wie kann aber ein

endliches Selbstbewußtsein seine Grenzen überschreiten und zur
Wahrheit selbst gelangen? (81) Das wird durch die unmittelbare
Offenbarung Gottes im Selbstbewußtsein des Menschen ermöglicht,
der auf Grund dieses „natürlichen Glaubens" jetzt die geglaubte
Wahrheit nachzuvollziehen vermag. Gott erweist sich also im Selbstbewußtsein
als die Wahrheit und eröffnet dem Selbstbew ußtsein trotz
seiner Endlichkeit den Weg zur Idee Gottes (204), indem er zum
„transzendentalen Prinzip", zur Bedingung a priori der Möglichkeit
der menschlichen Wahrheitserkenntnis wird (206). Die Erkenntnis
Gottes gründet also nach Staudcnmaier auf der vorausgehenden unmittelbaren
Idee Gottes in uns, und der Mensch muß jetzt den unmittelbaren
Inhalt des Glaubens in die Form des Wissens zwar nicht „aufheben
", sondern erheben (99). Das bedeutet aber, daß Religion und
Philosophie auch nach Staudenmaier sich nicht nach dem Inhalt, sondern
nur nach der Form unterscheiden. Dieser Widerspruch zwischen
Staudenmaiers Hcgelkritik und seinem eigenen Ansatz hängt nach F.
damit zusammen, daß das Denken bei ihm immer nur das Denken
eines endlichen Subjekts, Nach-Dcnken, „Nach-Vollzug vom Vor-
Gcgebenen" ist (191), während bei Hegel das Denken „nach den Bedingungen
der Möglichkeit des Denkens" fragt und die Wahrheit als
das „Ganze" erläßt, ohne auf den Glauben zurückgreifen zu müssen
(210). Wenn dem aber so ist, dann hat Staudenmaier, selbst wenn
einige seiner Kritiken berechtigt sein können. Hegels Denken eigentlich
nicht „getroffen" und einfach dem Ansatz Hegels seinen Ansatz
gegenübergestellt, ohne sich aber zu fragen, ob er damit dem System
Hegels im Ganzen gerecht wird (340). Es ist ihm auch nicht besser gelungen
, Philosophie und Religion zu vereinigen. Seine christliche
Philosophie, die er zwar, auf Gott als „transzendentales Prinzip" zurückgreifend
, zu rechtfertigen versucht, deren Wahrheit er aber damit
im Grunde einfach postuliert, bleibt ein theologisches System, in dem
die Philosophie nur eine untergeordnete Rolle spielt und das Selbstbewußtsein
nur als glaubendes die Wahrheit erfassen kann. Das Denken
bleibt Nach-Dcnken des Glaubens und setzt die Positivität von
Fakten immer voraus (211).

Gerade darin zeigt Staudenmaier aber nach F. eindeutige Gemeinsamkeiten
mit den Junghegelianern und ihrer Absicht, nach dem
Scheitern des Versuchs, Vernunft und Realität zu identifizieren und
die Wahrheit als Ganzes zu erfassen, wieder dem endlichen Subjekt
und der Positivität vor dem in sich das Moment des Endlichen aufhebenden
Geist Vorrang zu gewähren (343). Es wäre deshalb zu fra
gen. ob Staudenmaier von dem positivistischen Umbruch der nach-
hegelschen Philosophie nicht stärker beeinflußt worden ist. als er
selbst meinte, d. h. ob er in seinem Ansatz nicht das übernimmt, was
er „als Zeitgeist in seinen Konsequenzen bekämpft" (74). In diesem
Punkt ist nach F. die Aktualität der Hegelkritik Staudenmaiers zu finden
. Da das Hauptmerkmal der heutigen katholischen Theologie, die
F. als Standpunkttheologie charakterisiert, die „Unverbindlichkeit"
ihrer verschiedenen Ansätze und die zur Freiheit der Theologie zu
gehören scheinende Unmöglichkeit, jene Ansätze zu vermitteln, ist,
kann man nach F. sagen, daß sie. genau wie die Hegelkritik Staudenmaiers
. noch eine Reaktion auf den Wahrheitsanspruch der hcgel-
schen Philosophie darstellt, und daß sie deshalb die posthcgclsche
Situation, die Situation Staudenmaiers. „nicht überwunden hat bzw.
diese wiederholt" (349). Die katholische Theologie muß sich deshalb
wieder mit Hegel beschäftigen und sein System neu durchdenken, wenn
auch nicht mehr mit den Mitteln Staudenmaiers, indem sie zwar contra
Hegel an der Endlichkeit des Subjekts festhält, aber zugleich mit Hegel
das Problem der Wahrheit, die Frage nach Gott, wieder zu denken versucht
(356). Das würde allerdings eine Analyse der Geschichte der
Theologie nach Hegel und nach Staudenmaiers Hegclkritik erfordern,
um den eindeutigen, wenn auch verborgenen Einfluß der Hegelkritik
Staudenmaiers und von seinem Ansatz auf die katholische Theologie
des 19. Jahrhunderts zu rekonstruieren (206). Die ausführliche und
überzeugende Arbeit von F. weist gerade in diese Richtung auf einen
interessanten und noch ziemlich unerforschten Bereich.

Chieti Roberto Garaventa