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Ausgabe:

1985

Spalte:

911-912

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Kent, John

Titel/Untertitel:

The end of the line? 1985

Rezensent:

Greschat, Martin

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 110. Jahrgang 1985 Nr. 12

912

schung. Die Auseinandersetzung mit seinen Vorgängern hat N. Th. in
erweiterter Form in dem Buch: „Kierkegaards Verhältnis zu Hegel.
Forschungsgeschichte" (1969) vorgelegt, in dem er sowohl die dänische
als auch die nichtdänische Forschung behandelt.

Das Wesentlichste in der vorliegenden Untersuchung ist die Analyse
von Kierkegaards Verhältnis zu Hegel und dem Hegelianismus.
N. Th. sieht einen totalen Dissenz" zwischen dem spekulativen Denken
, das in seinem Streben nach objektiver Gewißheit dennoch unweigerlich
in Verzweiflung endet, und dem kierkegaardschen Verständnis
der Leidenschaft des Glaubens, wo die subjektive Ungewißheit
im Zusammenhang mit der Verkündigung als Existenzmitteilung
gesehen wird (besonders S. 1061T).

Der Kommentarteil ist in eine Reihe von Unterabschnitten gegliedert
, die jeweils mit einer Inhaltsübersicht eingeleitet werden. Der
Einzelkommentar verweist auf die englische Ubersetzung von David
F. Swenson und Walter Lowrie (erste Auflage 1941, seitdem mehrere
Nachdrucke). Der Kommentar enthält Verifikationen indirekter wie
direkter Zitate aus der Bibel, aus Klassikern in Kunst, Literatur,
Theater und Philosophie; zugleich finden sich zahlreiche Hinweise
auf Parallelstellen im übrigen Werk und in den Tagebüchern Kierkegaards
. Dieses bunte Gemisch von Einzelbeobachtungen macht deutlich
, daß die Bücher Kierkegaards in ihrem Charakter höchst vielfältig
sind, sie zeigen, wie sehr er von seinerzeit bestimmt war-bis hin zum
provinziellen Klatsch in Kopenhagen; sie weisen aber auch über seine
Zeit hinaus und sind noch heute von großer Aktualität und Frische.
Das Spektrum der Kommentare reicht denn auch von fast detektivischem
Aufspüren von Personen und Örtlichkeiten im damaligen
Kopenhagen bis zur Erklärung der grundsätzlichen Kategorien seines
Werkes wie Subjektivität, Paradox usw.

An die in diesem Kommentar deutlich zutage tretende Position
Thulstrups sind Fragen zu stellen, die jedoch nicht im Geringsten den
Wert der vorgelegten enormen Arbeit bestreiten sollen. Man kann
erstens die Frage stellen, ob nicht N. Th. in seinem historischen Bild
des Hegelianismus in Dänemark dessen Rolle, besonders in den Studienjahren
Kierkegaards, unterschätzt hat. Wie sehr N. Th. in seiner
Behauptung auch recht haben mag. daß der Hegelianismus in Dänemark
keine bleibenden Spuren hinterließ, sondern nur eine Übergangserscheinung
war, so war der Hegelianismus dennoch eine
starke Strömung, und dies gerade in den Jahren, in denen das Denken
Kierkegaards seine endgültige Form fand, d. h. von 1835 bis 1842. So
intensiv war die Diskussion, daß andere mit Recht von dem „hegel-
schen Rausch" sprachen, nicht in dem Sinne, daß sich alle dem
Hegelianismus anschlössen, aber viele waren doch - jedenfalls zeit-
weise-von ihmbestimmt, positiv oder negativ.

Wichtiger als dieses mehr historische Problem der rechten Einordnung
des Hegelianismus als Hintergrund für das kierkegaardsche Denken
ist jedoch die Frage nach der systematischen Beurteilung des Verhältnisses
zwischen Kierkegaard und Hegel. N. Th. betrachtet diese
Konfrontation ganz von den Voraussetzungen Kierkegaards her.
Hierzu muß man fragen, ob sich N. Th. nicht zu allzu schematischer
Sicht verleiten läßt und damit Hegel nicht gerecht wird. Wäre nicht
gerade das erneute Interesse für Hegel in den letzten Jahren Anlaß für
eine erneute Untersuchung, die in höherem Maße die Spannung und
die Dialektik innerhalb des,,totalen Dissenz" in den Blick nähme?

Aarhus Jens HotgerSchjorring

Kent. John H. S.: The End of the Line? The Development of Christian
Theology in the last two Ccnturies. London: SCM Press 1982. X,
134 S.8". Kart. £4.50.

Dieser schmale Band ist erstmals 1978 als Schlußkapitcl in dem von
Hubert CunlifTe-Jones herausgegebenen Band „A History of Christian
Doclrine" erschienen. Die These des Buches - dessen Titel man frei
und salopp übersetzen könnte als ..Ende der Fahnenstange?" - stellt
der Autor in seinem Vorwort (Vll-X)dczidiert voran und entfaltet sie

dann in fünf Kapiteln, nämlich im Blick auf das achtzehnte (1-28)
und neunzehnte Jahrhundert (29-59), auf die Lehre von der Kirche
(60-80), die „soziale Theologie" (81-104) sowie schließlich im Blick
auf die Theologie des 20. Jahrhunderts (105-131). Das Christentum,
so erfahren wir, begann als eine Religion des Eindeutigen und Zweifellosen
(certainties); aber dieses Erbe wurde seit der zweiten Hälfte des
18. Jahrhunderts durch wachsende Kritik von innen wie von außen
zunehmend aufgebraucht und erschöpft. Die Aufklärung formulierte
mit ihrer Wendung gegen das Dogma, insbesondere gegen die Erlösungslehre
, die Erbsünde und die Lehre von der Ewigkeit der Höllenstrafen
, sowie mit ihrer Frage nach der Tragfähigkeit des biblischen
Fundaments bereits die Probleme der Folgezeit. Interessant ist in diesem
Zusammenhang der betonte Hinweis auf Wesley und den Methodismus
mit ihrem Modell der Heiligung in der Welt sowie der Relevanz
der Praxis für einfache Christen. Leider kommt jedoch weder
hier noch im folgenden die enorme Bedeutung des lutherischen Pietismus
bzw. der Erweckungsbewegung zur Sprache. Stattdessen wird im
zweiten Kapitel in einem geistreichen Überblick zu entfalten gesucht,
daß - bei ganz unterschiedlichen Persönlichkeiten - im 19. Jahrhundert
die religiöse Erfahrung vor die Tradition trat, ja diese legitimieren
sollte. Die Behandlung der Ekklesiologie im folgenden Kapitel zielt
auf den Nachweis, daß anstelle der erschütterten Autorität der Bibel
die Kirche als religiös-theologische Stütze fungieren sollte (66): in
ähnlicher Weise wird im vierten Abschnitt die intensive Hinwendung
zahlreicher Theologen zum Sozialbcreich interpretiert. Beiden Bemühungen
, die christliche Offenbarung auf diesem Wege zu stabilisieren
oder sogar zu ersetzen, wird das unzweideutige Scheitern attestiert
. Und dasselbe Urteil fällt der Autor gegenüber den sog. neuorthodoxen
Positionen sowie den liberalen im 20. Jahrhundert: Sie
besitzen seiner Meinung nach keine echte geistige Basis mehr; bestenfalls
für die eigenen engen kirchlichen Kreise ist dieses Christentum
dementsprechend weiterhin relevant.

Es ist in diesem Zusammenhang natürlich nicht möglich. Kents
Analyse im einzelnen zu verifizieren bzw. zu widerlegen. Zu fragen
wäre, ob hier nicht bisweilen doch allzu pauschal argumentiert wird.
Dabei geht es mir nicht um den billigen Einwand, daß alles immer
noch sehr viel verwickelter und differenzierter, als im vorliegenden
Band dargestellt, war! Gemeint ist mit dieser Anfrage vielmehr, ob da
nicht auf Grund einer ebenso kenntnisreichen wie klugen Verknüpfung
unterschiedlicher geistiger Fragestellungen und Positionen eine
allzu cinlinige und vor allem allzu zielgerichtete Entwicklung vorgeführt
wird. Es existierten in allen genannten Ländern und Konfessionen
zahlreiche geistige und theologische Bewegungen, die häufig erheblich
stärkere Breiten- und vielleicht auch Tiefenwirkungen auszuüben
vermochten, als die hier angesprochenen Persönlichkeiten.
Gewichtiger noch scheint mir die Frage, ob Bibel und Dogma zumindest
in der protestantischen Tradition jemals derart selbstverständliche
und unangefochten statisch fixierte Größen gewesen sind, wie es
hier den Anschein hat; ob sie dementsprechend mit dem Hinweis auf
Historizismus und Relativismus im 19. und 20. Jahrhundert so selbstverständlich
und dauerhaft erledigt sind, wie es diese Ausführungen
nahelegen wollen. Darüber müßte sicherlich sehr viel ausführlicher
und gründlicher geredet werden, als es hier der Fall ist. Daß dieses
Buch aber auf nicht weniger als auf eine solche grundsätzliche Besinnung
über die Aufgaben, Möglichkeiten und Grenzen der christlichen
Theologie in der Neuzeit drängt - darin liegt seine wichtige und in der
Tat nicht nuran-. sondern regelrecht aufregende Bedeutung.

Gießen Martin (ireschat

Daly, Robert J. [Ed.]: Christians and the Military. The F.arly Fxpericncc.
Heiträge von J. Helgcland. R. J. Daly and J. Patout Burns. Philadelphia. Pa.:
FortressPressl985.IX.l01 S.8-.

Strolz, Walter [Hrsg.]: Sein und Nichts in der abendländischen Mystik.
Krciburg-Basel-Wicn: Herder 1984. 125 S. 8'= Veröffentlichungen der Stiftung
Oratio Dominica. Weltgespräch der Religionen. Schriftenreihe zur großen
Ökumene. 11. Kart. DM 28.-.