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Ausgabe:

1985

Spalte:

902-903

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Pani, Giancarlo

Titel/Untertitel:

Martin Lutero, lezioni sulla lettera ai Romani 1985

Rezensent:

Molnár, Amedeo

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Theologische Literaturzeitung 110. Jahrgang 1985 Nr. 12

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spruchsvolle geistcsgeschichtliche Durchblicke, an denen es ja nicht
mangelt, obwohl sie sich auch immer erneut als notwendig erweisen.
Verständlicherweise legt D. für Luthers Augustin-Benutzung die Reihenfolge
der Schriften des Kirchenvaters zugrunde, wie sie bei E. Dek-
kers im Clavis Patrum Latinorum (= Sacris Erudiri 3, Steenbrügge
1951; 1961) festgeschrieben worden ist. Fürden Augustin-Text wird,
soweit möglich, neben der MPL-Ausgabe nach CSEL oder CChL
zitiert. D. fuhrt S. I3f drei „Arten" von Augustinzitaten bei Luther
an: I. Nennung des Autors, evtl. samt Werktitcl und Stelle. 2. Zitieren
ohne Namensnennung. Die Zahl solcher Zitate überwiegt. 3. Augustinus
wird irrig mit einem - aus anderen Quellen stammenden - Zitat
genannt.

Selbstverständlich besagt diese „Zitierweise" bereits, daß D. eine
enorme Suchleistung zu vollbringen hatte, die keineswegs immer von
Erfolg gekrönt sein konnte. Mir unverständlich, geht D. weder in der
Einleitung noch in einer (leider fehlenden) Zusammenfassung auf die
weiteren Schwierigkeiten ein, die sich ihm selbstverständlich stellten:
so auf die Ungenauigkeit auch bei längeren Zitaten, die eben doch
auch meist - oder oft - aus dem Gedächtnis geschöpft waren (S. 33 f)-
Luther gibt seine Quelle oft in „erzählerischer und damit in freier
Form" (S. 36) wieder. Doch dies versteht sich in der Antike und im
Mittelalter eigentlich von selbst: Stets galt es nur, die heiligen Texte,
also die Bibel, genau zu zitieren, während auch die größten Skrupu-
lanten (so Augustinus selbst) bei der Übernahme und Verwertung
anderer Quellen wenig Sorgfalt walten ließen, zumal es ihnen meist
um eine weiterführende, häufig allegorisierende Interpretation ging.
Übernahmen von und Anknüpfungen an Augustin oder andere Kirchenväter
können auf die verschiedenste Weise zustandegekommen
sein, etwa durch die Lektüre verbreiteter Sammelbände, so der Sentenzen
des Petrus Lombardus. Klischees waren im Mittelalter durchaus
üblich und haben auf ihre Weise - natürlich mit den durch die
jeweilige Interessen läge bedingten Veränderungen - durchaus überlebt
. Peter Hunter Blair hat für einen so exakt arbeitenden Forscher
wie Beda Venerabiiis nachgewiesen, daß ohne weiteres mit einem
„Virgilian cliche" gearbeitet wurde' - wobei man berücksichtigen
muß. daß unter entsprechenden Bedingungen das Zitat eben zum Imitat
oder Klischee wurde, wobei die Autorschaft so oder so unerheblich
werden konnte. Die fast stets schwierigen Bibliotheksverhältnisse
haben ein übriges dazu getan, genaues Zitieren einzugrenzen, nicht
zuletzt bei einem Mann wie Luther mit seiner großen Arbeitslast und
seiner vielfältigen Beanspruchung."

Es ist begrüßenswert, daß D., um die Benutzung seiner Arbeit zu
erleichtern, einen Abschnitt „Nicht nachweisbare Zitate"
(S. 204-206) beigibt und dabei die Hoffnung ausspricht, daß aus
Fachkreisen weitere Nachweise zu erhalten sind. Auch ein „Register
der angerührten WA-Stellen" (S. 207-233) und ein alphabetisches
Verzeichnis der benutzten Augustin-Werke (S. 234-236) wird jeder
Leser als nützlich empfinden.

Nicht selten weist D. Luther eine falsche Interpretation Augustins
nach, häufiger natürlich bewußt abweichende Exegese. Manches gerät
dabei nicht glücklich: S. 77 wird formuliert: „Deus dixit, fecit, vidit
sagt Moses nach Luther und bringt damit die Trinität auf eine Kurz-
formcl". Hier hätte mindestens die allegorische (Zwangs-)lnterpre-
tation des angeblichen Trinitätsgcdankens bei Moses durch Luther
(und Augustin) ins Blickfeld gerückt werden müssen. - Der letzte
Forschungsstand läßt sich angesichts der Schwierigkeit des Themas
nicht immer erwarten, doch hätte man bei der Aufbereitung Augustins
und seiner Umwelt mehr Sorgfalt begrüßt. Statt Monika ist jetzt
Monnika/Monnica zu setzen; Alypius muß anstelle von Alipius
stehen. Augustins Vater Patricius wurde zwar erst kurz vor seinem
Tod (371) getauft, war aber vorher einige Zeit lang Katechumenc
gewesen (zu S. 35). Die Martyriumssucht der Donatisten erscheint
S. 64fan Hand der von Luther aufgenommenen Augustinstcllen stark
übertrieben und hätte zumindest durch einen Hinweis auf moderne
Forschungen .erklärt' werden sollen.' S. 145 muß Kyniker statt Zyniker
stehen, da es sich um die altgriechischc Philosophenschulc handelt
. S. 69f ist der Passus, der die „Oberhoheit des apostolischen
Stuhles" und den römischen Primat betrifft, zumindest unglücklich
formuliert. Hierzu führt der Band von Walter Ullmann über Gela-
SlUS I, jetzt etwas weiter.4 S. 108 wäre ein erläuternder Hinweis zu den
„Sophisten", d. h„ zur altgriechischen Schule, doch wohl nötig gewesen
. Ich bin nicht sicher, ob nicht auch Leser theologischer Literatur
mit der Einordnung solcher Begriffe Schwierigkeiten haben. Man
kann Augustinus zwar (so S. 12) notfalls als Afrikaner bezeichnen,
was jedoch irreführend ist. Beim heutigen Stand wäre das Etikett
..Nordafrikaner überwiegend römischer Herkunft" angemessener.

Wenngleich D. bei der Erarbeitung seiner .Materialsammlung'
weithin auf den Schultern anderer steht, so hat er doch selbst viel
Arbeit investiert, die nicht umsonst gewesen ist. Er verdeutlicht dies
etwa an Hand der Liste, die sich für Luther aus Augustins „Enarratio-
nes in psalmos" ergibt, wo er auf A. Hamel. Der junge Luther und
Augustin (19340, fußt, ihn aber auch wesentlich erweitert
(S. 192-203). Man möchte wünschen, daß all dies noch entsprechend
vertieft und weitergeführt werden könnte.

Halle (Saale) Hans-Joachim Diesner

' S. Peter Hunter Blair. From Bede to Alcuin (Famulus Christi, hrsg. von G.
Bonner, London 1976, S. 242).

1 Hierzu ist gewiß noch viel aufzuarbeiten. Von Zeitgenossen Luthers wie
Machiavelli ist mir genau bekannt, daß sie - bei meist sehr unzureichenden
Bibliotheksverhältnissen - wegen ihrer hastigen Arbeitsweise und schlechten
Zitiergenauigkeit von anderen Humanisten deutlich gerügt wurden.

' S. etwa W. H. C. Frend. The Donatist Church. A Movement of Protest in
Roman North Africa. Oxford 1952; Ders.. Martyrdom and Persccution in the
Early Church, Oxford 1965.

4 S. Walter Ullmann, Gelasius I. (492-496). Das Papsttum an der Wende der
Spätantike zum Mittelalter. Stuttgart 1981 (= Päpste und Papsttum. 18; dazu
ThLZ 110. 1985, 430: vgl. auch Myron Wojtowytsch. Papsttum und Konzile
von den Anfängen bis zu Leo I. (440-461). Studien zur Entstehung der Überordnung
des Papstes über Konzile. Stuttgart 1981 (= Päpste und Papsttum. 17;
dazu ThLZ 108. 1983.126-128).

Pani, Giancarlo: 'Martin Lutero I.ezioni sulla U'ttera ai Romani
(Römerbriefvorlesung 1515-1516). I riferimenti ad Agostino - La
giustifieazione. Roma: Pubblicazioni Agostiniane 1983. 277 S gr
8'. Kart. Lire 20.000.

1908 gab Joh. Ficker nach der vatikanischen Handschrift Luthers
Römerbricfvorlcsung heraus. Bei Forschern erregte die Edition
begreifliches Aufsehen, da sie ein grundlegendes Zeugnis für die Genesis
von Luthers reformatorischer Theologie zugänglich gemacht hatte.
Luthers Deutung der gedanklich straffesten Paulusepistel wurde seitdem
öfters zum Ausgangspunkt gemacht von Untersuchungen der
Schlüsselgedanken des jungen Luther. Wenn sich auch der Reformator
der Neuigkeit und Folgerichtigkeit seines Verständnisses des
paulinischen Evangeliums durchaus bewußt war. gab er doch zu verstehen
, daß er in den Fußstapfen Augustins gehe.

Pani nimmt eben in dieser letzten Hinsicht Luther beim Wort.
Schritt für Schritt verfolgt er in der Römerbriefvorlesung alle Referenzen
und Anspielungen an Augustin und überprüft ihr Zutreffen, bes.
in bezug auf Luthers Zentrallehre von der Rechtfertigung des Sünders.
Erste Feststellung: Luther wurde vor allem vom späten Augustin. dem
derantipelagianischen Polemik angesprochen. In den ersten Kapiteln
seines Kommentars zitiert er De spiritu et littera. seit dem vierten
nimmt er De nuptiis und Contra lulianum dazu, im fünften die Expo-
sitio propositionum und De peccatorum meritis. Natürlich kennt und
benutzt er ebenfalls reichlich die klassischen Konfessionen und das
Werk über den Gottesstaat. Anfangend vom achten Kapitel werden
die Augustinzitate immer spärlicher, da die Grundposition bereits als
augustinisch erwiesen zu sein scheint.

Das Justifikationsthema ist im Kommentar allgegenwärtig. Im Prozeß
der Rechtfertigung wird Gott selber der Gerechte. Menschlicher-