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Ausgabe:

1985

Spalte:

894-896

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Räisänen, Heikki

Titel/Untertitel:

Paul and the law 1985

Rezensent:

Hübner, Hans

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Theologische Literaturzeitung 1 10. Jahrgang 1985 Nr. 12

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autoritativ, nämlich Erwählung setzend gesprochen hat. Konstitutiv
für die Zitate ist, daß in ihnen an entscheidenden Stellen Gott in der
Ich-Form spricht, wie wir das in solcher Massierung im ganzen übrigen
Neuen Testament nicht mehr finden" (59).'

Den zweiten Abschnitt umgrenzt Hübner mit 9,30-10,21. Wieder
kann eine Rezension nicht die exegetischen Einzelheiten der Ausführungen
Hübners referieren.'1 Ich greife nur die heiß umstrittene Crux
nach der Bedeutung von re/o; vö/wti in 10,4 heraus. Hübner geht ausführlich
auf die einschlägigen Fragen ein. Ergebnis: „Christus ist für
jeden Glaubenden das Ende des Gesetzes in seiner Funktion als
Gesetz auf Gerechtigkeit und Leben hin . . . Damit ist aber nicht das
Gesetz als der Ausdruck des fordernden Gotteswillens abgeschafft"
(94).

Mit besonderem Interesse wendet man sich Hübners Interpretation
der Israel-Konzeption und des Schriftgebrauchs in Rom 11,1-36 zu.
Wieder greife ich nur zwei Dinge heraus/ Die Rettung Israels ist ein
endzeitlicher Akt (1 10), das fiucmjpiov (I 1,25) besteht nicht im „Daß"
der Errettung von ganz Israel, sondern im „Wie" (I 12). Die Mußncr-
sche These von einem ..Sonderweg Israels zum Heil" wird abgewiesen
. Vielmehr setzt Paulus eine Bekehrung Israels zu Christus voraus
(114ff).<

Die Darstellung schließt mit einem „Epilog: Israel und das Gesetz
in der theologischen Entwicklung des Paulus" (127-135). Hier wird
dann die eingangs erwähnte These entfaltet, daß in der paulinischen
Auffassung von Israel eine Kehre stattgefunden hat. „Schaut man, von
Rom 9-11 herkommend, auf IThess 2,14-16, so fällt es schwer, in
beiden Briefen die Aussagen ein und desselben Mannes zu erkennen.
Ist Rom 9-11 die auf das Heil von ganz Israel zielende theologische
Argumentation, so hat der Schreiber von IThess2,14-16 für die
■luden alle HeilshofTnung aufgegeben" (129). Verschiedene exegetische
Möglichkeiten, die Differenz zu erklären, werden erwogen.
Hübners eigenes Urteil: „Paulus macht in Rom 11 eine Kehrtwendung
" (134). S. 134f schließlich bemüht sich der Verfasser, über die
Frage nach der Verbindlichkeit der paulinischen Aussage in
Rom ll,25f bzw. Rom 9-11 überhaupt Klarheit zu gewinnen. Im
Anhang (S. 149ff) bringt der Verlässer als Beispiel für das zukünftige
-Vetus Testamentum in Novo" eine „Übersicht über die alttesta-
mentlichen Zitate und Anspielungen in Rom 9-1 1".

Wir haben es mit einer interessanten und bedeutsamen Monographie
zu tun, die für die Fragen des Schriftgebrauchs in Rom 9-1 1
unverzichtbar und maßgebend sein wird, und die auch im Gespräch
um die paulinische Israel-Konzeption ihre Rolle spielen wird. Das
gilt, auch wenn naturgemäß Einzelnes kontrovers bleibt, z. B. die
Frage, ob Paulus im Römerbrief wirklich eine Wende gegenüber einer
früheren Israel-Konzeption(?) vollzogen hat. - Die von Hans Hübner
geplante biblische Theologie des Neuen Testaments wird nach der
Publikation seines Buches über Rom 9-11 mit noch größerem
Interesse erwartet werden.

Wien Kurt Niedcrwimmcr

' Nicht in der Rcchtfertigungslchrc! Die iustitia sola gratia et sola fide bildet
die bleibende Konstante; vgl. jetzt S. 10, wo sich Hübner ausdrücklich gegen
Mißverständnisse seiner Position absetzt.

1 Das Programm dazu hat er in KuD 27. 1981.2-19 vorgelegt.

1 Dazu ist speziell der theologische Exkurs 31 ITzu vergleichen. Die Thematik
kehrt aber auch später immer wieder, vgl. 97 f. 123 f.

4 Immerhin sei c. g. hingewiesen auf die These (64): Jes 51 bilde „den alt-
tcstamenllichcn Hintergrund von Rom 9,30f. Wiehlig sind u. a. auch die Ausführungen
über die Art. wie Paulus.Ics 28.16 zitiert. „Die Autorität des Evangeliums
steht hier über der Autorität der Schrift" (69f im Original unterstrichen
).

' Interessant ist u. a. der Hinweis darauf, daß gerade in 11.11 fein Rekurs auf
die Schrift fehlt. ..Es gilt also festzuhalten, daß da, wo Paulus sein Ureigenes
sagt, die Berufung auf die Schrift unterbleibt" (107). Vgl. die Ausführungen 13
und 107 f.

* Zwischen der anfänglichen Aussage, die Paulus zwischen Israel und Israel
differenzieren läßt, und der Aussage vom eschatologischen Heil Israels herrscht
eine Spannung, die Hübner zu deuten und zu verstehen sucht (122).

Räisänen. Heikki: Paul and the Law. Tübingen: Mohr 1983. X, 320 S.
gr. 8° = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament,
29. Lw. DM 108,-.

Anscheinend gehört es zur Geschichte der Wissenschaft, daß von
Zeit zu Zeit Totalabrechnungen mit der bisherigen Forschung fällig
sind. Alle vorliegenden Lösungsversuche werden auf ihre Schwächen
hin untersucht, die dann unbarmherzig aufgedeckt werden. Eine neue
Erklärung der offenen Fragen wird vorgelegt, die die bisherigen Hypothesen
radikal überholt. Dabei werden die offenkundigen Widersprüche
der früheren Lösungsversuche in einer neuen Synthese aufgehoben
. Genau dies scheint für R.s Buch über das Gesetz bei Paulus
(P.) zuzutreffen. Den forschungsgeschichtlichen Ort seiner Studie gibt
er selbst an: Schon längere Zeit haben Exegetcn Spannungen im Ge-
setzesverständnis des P. festgestellt. R. nennt 3 neuere Lösungsversuche
zu deren Erklärung.

I. H. Conzclmann behebt sie dialektisch in gut existenziali-
Stischer(l) Mode. 2. J. C. O'Neill erklärt sie als Interpolationen. 3. "By
far the attractive device to do away with the difficulties . . . are theories
of dcvelopment" (S. 7). so Dodd. Buck. Taylor. Dräne. Hübner und
Lüdemann. R. setzt sich vor allem mit dieser 3. Hypothese auseinander
und befindet sich, was ihre Vertreter angeht, zumeist im Gespräch
und in der Auseinandersetzung mit mir. So kann es nicht ausbleiben,
daß diese Rezension, deren Aufgabe per definitionem in einer kritischen
Inhaltsangabe besteht, auch z. T. wieder Gespräch mit R. sein
muß.

Die Kapitel sind wie folgt überschrieben: The oscillatingconeept of
law, II. Is the law still in force?, [IL Can the law be fulfillcd?. IV. The
origin and purpose of the law. V. The antithesis between works of law
and faith in Christ. VI. Conclusions, VII. Paul's view of the law com-
pared with other early Christian coneeptions, VIII. The origins of
Paul's coneeption of the law. Das Buch endet mit Some concluding
reflections.

R.s Grundthese ist bereits im 2. Kap. klar ausgesprochen: Das praktische
Verhalten des P. zur Torah ist durch unmißverständliche Laxheit
gekennzeichnet. Hingegen weist seine theoretische Antwort auf
die Frage, ob das Gesetz noch in Kraft sei, eine starke Spannung auf:
Das Gesetz ist einerseits Angelegenheit der Vergangenheit. Zugleich
ermahnt aber P. seine Leser zur Liebe, die er als Erfüllung des Gesetzes
hinstellt. "Paul thus wants to have his cake and eat it." (S. 82) R.
differenziert zwischen radikalen und ..konservativen" Aussagen bei
P. Konservativ sei z. B. Gal 5.14. in ..polemischer Entsprechung" zu
5.3 (S. 63). Doch ist damit nur die wichtigste Spannung in der paulinischen
(pln.) Darstellung genannt. Sic ist aber symptomatisch für die
Fülle der Spannungen und Widersprüche.

Viele der Detailbeobachtungen R.s dürften richtig sein, sehr viele
seiner Detailurteile teile ich. Was die Qualität des methodischen Vorgehens
und die Sorgsamkeit in der Behandlung von exegetischen Ein-
zclfragen angeht, steht sein Werk weit über der fast gleichzeitig
erschienenen Monographie von E. P. Sanders. Paul, the Law, and the
Jewish People (Fortress Press 1983), der er vielleicht doch etwas zuviel
des Lobes zuteil werden läßt.1 Doch kann ich trotz der Zustimmung
zu einer großen Zahl von Einzelergebnissen R.s seiner Gesamtkonzeption
nur ablehnend gegenüberstehen. Ich gebe dabei gern
sofort zu, daß ich, wie bei Sanders, die theol. Tendenz des Ganzen
äußerst bedenklich finde. Aber für den Exegeten darf dies zunächst
kein Kriterium sein. Doch sind es auch und gerade exegetische Gründe
, weswegen ich diese Bedenken gegen die exegetische und, im Gefolge
davon, die theologische Grundaussage des Buches habe.

Im Rahmen einer Rezension ist eine kontinuierliche Auseinandersetzung
mit der Argumentationssequenz R.s nicht möglich. Deshalb
nur einige kritische Anmerkungen zu wenigen Kardinalstellen des
Gal und Rom in der Sicht R.s. Dabei wird m. E. gerade an seiner Exegese
von Rom 3f offenkundig, wie er an neuralgischen Punkten die
pln. Argumcntations/vc/ifi/nj? bzw. die von P. vorgenommene Änderung
in der zuvor verfolgten Argumentationsrichtung verkennt. Dies