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Ausgabe:

1985

Spalte:

891-892

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Schedl, Claus

Titel/Untertitel:

Zur Christologie der Evangelien 1985

Rezensent:

Betz, Otto

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Seite 1

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891

Theologische I.iteraturzeitung 1 10. Jahrgang 1985 Nr. 12

892

Schedl, Claus: Zur Christologie der Evangelien. Wien-Freiburg-
Basel: Herder 1984. 269 S. gr. 8 Kart. Ö S 260.-.

Der durch seine „logotechnische" Methode der Schriftauslegung
bekannte Grazer Ordinarius für Biblische Theologie hat sich nach
einer Untersuchung der Pfingstperikope (1982) in seinem neuen,
höchst anregenden Werk an das Herzstück der neutestamentlichen
Wissenschaft, an die Christologie gewagt. Dabei werden vor allem
Wort und Werk des irdischen Jesus, d. h. die Evangelien einschließlich
des Johannesevangeliums (S. 171) betrachtet. Der Verfasser sieht
zu Recht in Jesus selbst den Urheber der neutestamentlichen Christologie
und in den Evangelien zuverlässige Quellen der Geschichte Jesu.
Der historische Wert der Evangelien läßt sich aus dem altkirchlichen
Zeugnis eines Papias und Irenäus (S. 31-59), sowie aus dem analogen
Beispiel der rabbinischen Überlieferung ersehen (S. 62-72); beide verdienen
weit mehr Beachtung, als ihnen die historisch-kritische Forschung
von heute beimißt. Während man sich mit der form- und
redaktionsgeschichtlichen Methode auf einem unsicheren, mit Hypothesen
belasteten Boden bewegt und recht fragwürdige Erfolge erzielt,
sind die Resultate der „Logotechnik" sicherer, weil für jedermann einsichtig
und leicht nachprüfbar. Zwar können sie die historische
(ilaubwürdigkeit der Evangelien nicht direkt beweisen, da man mit
dieser Methode die Texte der Evangelien in formaler Hinsicht analysiert
mit dem Ziel, manche von ihnen als kunstvolle Schöpfungen auszuweisen
und die Glaubenskraft und Sprachfertigkeit ihrer Verfasser
zu demonstrieren. Die Einzigartigkeit der Lehre Jesu und sein endzeitliches
Handeln müssen „bibel-theologisch" sichtbar gemacht "werden,
d. h. durch den Aufweis der Aufnahme alttestamentlich-jüdischer
Messiaserwartungen und der Tatsache, daß Jesus das Gesetz und die
Propheten erfüllt hat (S. 166-205). Denn nur dann tritt die unerhörte
Vollmacht ins Licht, die vor allem auf einer Verbindung von Menschensohn
- und Gottesknechtstradition in Jesu Wirken beruht; das
messianische Zeugnis der vier Evangelien ist deshalb sachgemäß und
auch historisch richtig. Der Verfasser betont zu Recht den Wert der
Targume, wenn es die Theologie und speziell die Zukunftserwartung
des Judentums zur Zeit Jesu zu ermitteln gilt; jedoch wird ihr Alter
m. E. überschätzt, wenn man den palästinischen Targum Neofiti und
Tg Jonathan ins 2. bzw. 1 .Jh. v. Chr. zurückgehen läßt (S. 78-80).

Im Unterschied zu den Versuchen, mit Hilfe der Formkritik hinter
den vorliegenden Text zurückzugehen, um eine ursprünglichere Fassung
zu finden, hält sich der Verfasser an dessen uns vorliegende
Form, so wie sie uns in der besten Handschrift, im Codex Vaticanus
überliefert ist. An ihr wird die zur Nachahmung empfohlene „logo-
technischc" Methode erprobt. Dabei gilt es, den „Bauplan", die
kunstvolle Struktur einer bestimmten Perikope zu ermitteln, was in
drei Schritten geschieht: /. Man schreibt den griechischen Text ab,
wobei man dessen Satzgefüge (Hauptsätze. Nebensätze, Partizipien,
Appositionen) schön gegliedert hervortreten läßt; 2. man zählt zunächst
diese Satzteile, dann deren Wörter und auch Buchstaben; 3.
man prüft, ob nicht die gefundenen Summen einer in der Antike bedeutsam
geltenden Zahl entsprechen. So ergibt z. B. das Satzgefüge der
Seligpreisungen Mt 5.3-12 (12 +12 + 1) den Zahlen wert von Alpha
(= 1) und Omega (= 24) und somit Christus als das A und O: die Zahl
der Wörter in Seligpreisung 1-8 ist 4 x 18 = 72 und entspricht der
Universalität; die Wörterzahl 13 der 9. Seligpreisung weist auf den
einen ( achad = 13) Gott (S. 105-1 1). Das Vaterunser nach Matthäus
ist mit seinen sieben Bitten nach dem Wochenmodell gebaut, während
die Fassung des Lukas (5 Bitten) dem kosmischen Kreuz der Griechen
entspricht (S. 134-139). Der Johannesprolog hat 987 + 72 Buchstaben
: 987 ist die Summe des in Gen 5 angegebenen Zeugungsalters von
Adam bis zur Entrückung Henochs (S. 218). Voraussetzung für die
Ermittlung eines logotechnischen .sensus plenior' ist somit das richtige
Aufgliedern der Satzteile und Zahlensummen. Bedauerlich wirkt
es, wenn eine den Bauplan zerstörende „Randbemerkung" entfernt
werden muß (S. 219), überraschend, wenn der Wortbestand aller
synoptischen Abendmahlsworte die Summe 72 ergibt: „Kann daraus

gefolgert werden, daß die drei synoptischen Texte aufeinander ausgerichtet
sind?"(S. 259).

Die konstruktive, erbauliche Tendenz der logotechnischen Exegese
verdient uneingeschränkte Anerkennung. Die Exegetcn sollten sich
die Warnung sicherlich zu Herzen nehmen, daß sie auf der Suche nach
einem ursprünglicheren Text, etwa einem „kultischen Urtext" der
Abendmahlsworte, ein formvollendetes Kunstwerk zerstören (S. 259).
Andererseits könnte ja gerade diese kunstreiche, ja gekünstelte Form
als ein Indiz für spätere Überarbeitung und Ausgestaltung angesehen
werden. Ohne Zweifel hat Jesus selbst kunstvoll, einprägsam gelehrt
(R. Riesner, Jesus als Lehrer). Aber der vom Verfasser entdeckte Bauplan
seiner Worte gilt ja primär für den griechischen Text der Evangelien
, nicht für den aramäischen bzw. hebräischen Wortlaut der Aussagen
Jesu, den man sich doch auch gern vorstellen möchte.

So bleibt als Weg zu einer in Jesus verankerten Christologie letztlich
doch wohl allein die „bibeltheologische" Methode maßgebend. Sie
wird im vorliegenden Werk verständlicherweise nur skizzenhaft angewendet
; weitergehende Ergebnisse sind vor allem von den neutestamentlichen
Exegeten Tübingens in den letzten Jahren vorgelegt worden
(M. Hengel, P. Stuhlmacher, O. Hollus. W. Grimm, R. Riesner,
u. a.); vgl. etwa den Band des Tübinger Symposiums „Das Evangelium
und die Evangelien" 1983.

Tübingen OttoBctz

Hübner, Hans: Gottes Ich und Israel. Zum Schriftgebrauch der Psalmen
in Römer 9-11. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1984.
171 S. gr. 8 Kart. DM 38,-; Lw. DM 58,-.

Die hier anzuzeigende Untersuchung behandelt bedeutsame Themen
. Hübner legt eine Analyse des paulinischen Schriftgebrauchs in
Rom 9-11 vor. Damit verbindet sich natürlich die umstrittene Frage
nach der Stellung dieser Kapitel des paulinischen Römerbriefs zur
Israel-Frage. Das sind die Themen der Monographie. Daneben steht
sie auch in Konnex mit Hübners früherem Buch über „Das Gesetz bei
Paulus" (vgl. die Besprechung der ersten Auflage in ThLZ 105. 1980.
896ff). sofern Hübner hier, in der neuen Untersuchung, für die Israel-
Frage bei Paulus eine ähnliche Entwicklung wie dort für seine Gesetzeslehre
annimmt.1 Hübners Untersuchung einer in der neueren
Exegese stark umstrittenen Passage will sodann „ein wenig zur Versachlichung
der Diskussion beitragen" (9). Schließlich steht die neue
Untersuchung im Zusammenhang mit der von Hübner geplanten
Biblischen Theologie des Neuen Testaments." Hübner legt hier sozusagen
„einen Teil (der) Prolegomena" vor(l I). Indessen hat natürlich
die Untersuchung der paulinischen Position zu Israel und des Schriftgebrauchs
eines so bedeutsamen Abschnittes wie Rom 9-1 1 für sich
selbst Gewicht genug. „Deshalb erhebt diese Studie über Rom 9-1 1
den Anspruch, eine eigenständige Arbeit zu sein, die auch als in sich
abgeschlossene Thematik begriffen werden will" (1 I).

Der Thematik entsprechend steht der erste (und das Buch beherrschende
) Teil der Untersuchung unter dem Titel „Der theologische
Umgang des Paulus mit der Schrift in Rom 9-11" (13-126). Das
„quälende Problem", das Paulus behandelt, besteht darin, daß die
Judenchristen innerhalb der Kirche sowohl wie innerhalb des Judentums
seines Jahrhunderts eine verschwindende Minderheit darstellen
(15). „Was ist das für ein Israel, in dem die Israeliten nicht glauben?
Was ist das für ein Gott Israels, dessen Verheißungen anscheinend
nicht zum Zuge kommen?" (ebdt.) Hübner untersucht nun Schriftgebrauch
und Israel-Konzeption in 9,6-29. Auf exegetische Einzelheiten
kann ich hier nicht eingehen. Nur soviel: Für die ganze Argumentation
des Apostels konstitutiv ist der ständige Rekurs auf das „Ich"
der göttlichen Offenbarung. „Unbestreitbar ist Paulus von der
Schriftgemäßheit seiner Argumentation überzeugt und verweist deshalb
in 9.13.17.25 ausdrücklich auf die Schrift, bzw. das Geschrieben-
Sein. Sein Grundanliegen ist aber dies: Er beruft sich auf Gott, der