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Ausgabe:

1985

Spalte:

889-890

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Guthrie, Donald

Titel/Untertitel:

New testament theology 1985

Rezensent:

Räisänen, Heikki

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Seite 1

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889

Theologische Literaturzeitung 1 10. Jahrgang 1985 Nr. 12

890

und sinnvolle Veröffentlichung handelt, die aus der Flut der in den
letzten Jahren erschienenen Methoden- und Arbeitsbücher herausragt
Hier wird Lehrenden und Studierenden eine echte Hilfe an die
Hand gegeben. Den Verfassern gebürt dafür Dank.

Erlangen Jürgen RololT

Guthrie, Donald: New Testament Thcology. Vice-Principal and Lcc-
lurcr in New Testament. Lcicester: Inter-Varsity Press 1981.
1064S.gr. 8".

Dr. Guthrie, der am London Bible College tätig ist. ist der neutesta-
Hentlichen Forschung u. a. durch eine konservative Einleitung in das
NT bekannt. Nun legt er eine Gesamtdarstellung der neutestament-
lichen Theologie vor.

Das dicke Band ist thematisch disponiert. Auf eine Einleitung folgen
zehn Kapitel über zentrale ntl. Themen: I. Gott. 2. Der Mensch
und seine Welt. 3. Christologic. 4. Die Mission Christi, 5. Der Heilige
Geist. 6. Das christliche l eben. 7. Die Kirche, 8. Die Zukunft, 9. Das
NT und die Ethik, 10. Die Schrift. In den Unterteilen werden die verschiedenen
Schriftgruppen des NT gesondert behandelt, wonach je
eine kurze Synthese folgt.

Das Werk wird als eine Matcrialsammlung nützlich sein. Man kann
darin bequem nachschlagen, was in verschiedenen ntl. Schriften zu
einem bestimmten Thema gesagt wird. Darüber hinaus kann man in
diesem Buch viel über die konservative Denkart lernen. Die Interpretation
der neutestamentlichen Texte wird dagegen nicht weitergeführt
Vf. faßt das NT als ein Lchrganzes auf. in dem verschiedene Bücher
wohl verschiedene Aspekte und Variationen des Ausdrucks bringen
können, aber wirkliche Unterschiede bzw. Widersprüche von vornherein
ausgeschlossen sind. Wer das NT als eine bleibende Offenbarung
Gottes hinnimmt, meint Guthrie, muß „alles oder nichts"
annehmen, die Lehre als ein Ganzes sehen und immer die "unifying
factors" zu entdecken v ersuchen, „da er weiß, daß Offenbarung nicht
widersprüchlich sein kann" (30). Das Buch stellt gewissermaßen eine
-orthodoxe" Erwiderung auf die Herausforderung dar. die James
Dunns schönes Buch Unity and Diversity in the New Testament
'London: SCM Press 1977) Tür konservative Forschung bedeutet. In
diesem Buch arbeitete ein eminenter Forscher mit einem konservativen
Hintergrund wichtige Unterschiede im ntl. Christuszeugnis
scharfsinnig heraus, und Guthrie nimmt davon in einigen pauschalen
Anmerkungen ausdrücklich Abstand.

Bei der genannten Gesamtanschauung nimmt es nicht wunder, daß
Guthrie etwa mit der Redaktionskritik nichts anzufangen weiß. Das
Problem mit dieser Methode sei. daß sie ein "integrated approach"
zur ntl. Theologie erschwere (71). Guthrie bemerkt lakonisch, daß in
seinen Ausführungen die Texte aller Evangelien „als zuverlässige
Berichte über die Lehre Jesu" genommen werden (71). Wie das bei
Auseinandergehen der Paralleltexte gemacht werden kann, enthüllt er
nicht; wo Abweichungen ausnahmsweise notiert werden, gleitet er in
demselben Atemzug rhetorisch über die Probleme hinweg (so S. 108
Anm. 93 zur Differenz zwischen Mk 10.17 und Mt 19.17). Johannes
schrieb, um die synoptischen Berichte zu ergänzen: wenn ein zentrales
synoptisches Thema (das Reich Gottes) im vierten Evangelium kaum
erwähnt wird, genügt zur Erklärung die Auskunft, daß das Nötige zu
diesem Thema schon gesagt worden war und nicht wiederholt werden
mußte (425). Ähnlich war die Überzeugung von der Jungfrauengeburt
in der frühen Christenheit so tief verwurzelt, daß sie fast gar nicht zur
Sprache gebracht werden mußte (374). Und wenn die Jünger im vierten
Evangelium im Vergleich zu den Synoptikern „zu früh" Jesus als
den Messias erkennen (Joh 1.41). wird dies psychologisicrend als "a
glimpse of truth that would take some time to dawn on their minds
with any clarity" gedeutet: Johannes erzählt von ersten Eindrücken,
die von den Synoptikern ausgelassen werden (244).

Geradezu absurd wird die Harmonisierung, wenn die lukanischc
Bezeichnung der Christusbotschaft in der Apostelgeschichte als das

..Wort" mit dem johanneischen Logos in Zusammenhang gebracht
wird (330).

Zu den Themen, bei welchen die Schwierigkeiten einer konservativen
Auslegung am deutlichsten zum Vorschein kommen, gehören
Gesetz und Eschatologie. Für das konservative Bibelverständnis ist
die Kontinuität zwischen dem AT und Jesus äußerst wichtig. Auch
Guthrie betont, daß Jesus nie die Autorität des AT herabsetze und
auch in den Antithesen in gar keiner Weise die Autorität des Muse
unterminiere, sondern nur den tieferen Sinn des Gesetzes aufzeige
(958). Die Zusammenfassung des Gesetzes in der goldenen Regel
„nimmt ihm den Legalismus ab. ohne es anzuschwärzen" (679). (Wie
kann man das - von Gott gegebene! - Gesetz als lcgalistisch bezeichnen
, ohne es anzuschwärzen?) In bezug auf den Sabbat setzte sich
Jesus über das Gesetz des Mose: doch "what he was critieizing was the
Interpretation ofthat law which had transformed it (Vom a blessing
into a bürden" (680). (Für diesen /weck brauchte Jesus sich gar nicht
über das Gesetz zu setzen.) Alles bleibt merkwürdig in der Schwebe.
Vf. stellt fest, daß Jesus anscheinend dem Ritualgesetz „mit Indifferenz
" gegenüberstand, aber das heißt nur. daß er "recognized the need
to penetratc its inner mcaning" (680): er hat dabei „in gar keiner
Weise das Gesetz aufgelöst" (700). Daß jedoch eine Anzahl der
Gebote Gottes etwa in Mk 7.15 IT unter den Tisch fällt, w ird nicht als
Problem empfunden. Vf. weist gelegentlich darauf hin. daß "some
coneept of progressive revelation is indispensable" (77. vgl. 700). aber
diese Einsicht wird nicht entwickelt

Peinlich wirken die Versuche, die Naherwartung wegzudeuten
(7941T). Bei Mt 24.29 z. B. nimmt Guthrie Zuflucht zu einer „teleskopischen
" Theorie: "It is well known that in prophetic language far-off
events were often described as If they were just about to happen."
(795) Ersieht selber, daß diese Lösung gezwungen ist. besteht abcrauf
ihr, weil Jesus sonst ein Fehler zugeschrieben werden müßte. Ähnlieh
strapaziert werden andere ..schwierige" eschatologische Aussagen
ausgelegt. Nur so gelingt es dem Vf.. die These aufrechtzuerhalten, das
NT gebe auf alle seine Hauptthemen "specific answers which are as
relevant today as they were when first given" (74). Eine Antwort ist
jedoch auch ihm zu viel, nämlich das tausendjährige Reich: eine geistliche
Interpretation von Offb 20 sei einer buchstäblichen vorzuziehen
(871). Es zeigt sich, daß der konservative Ausleger, der nicht "pick
and choosc" darf (30). schon andere Auswege finden muß. um „alles
oder nichts" annehmen zu können.

So bewährt sich die These James Bans in seinem scharfsinnigen
Buch Fundamentalism (London: SCM Press 1977). daß fundamentalistische
Exegese (entgegen einer landläufigen Vorstellung) nicht ZU,
sondern zu wenig „buchstäblich" ist. Wenn das „buchstäbliche" common
sense Verständnis eines Textes die Irrtumslosigkeit oder Glaubwürdigkeit
der Bibel (geschweige denn die Jesu) gefährden w ürde. wird
es sorglos zugunsten einer wie auch immer strapazierten „ungefährlichen
" Auslegung aufgegeben.

Es ist allerdings nicht nur die Bibel, die ohne Fehler davonkommen
muß. Guthrics neutestamentliche Theologie stimmt auch mit herkömmlicher
Kirchenlchre reibungslos zusammen, sogar an Punkten
wiedieTrinität.

Das Buch zeugt von großer Gelehrsamkeit und Belesenheit. Abweichende
Interpretationen werden durchweg registriert, aber letzten
Endes werden „kritische" Resultate kurzerhand auf eine falsche Vorentscheidung
zurückgeführt. Kritische Forscher kommen in der Diskussion
reichlich zum Wort, aber der Eindruck bleibt, daß ihr eigentliches
Anliegen nicht ernst genommen wird. Vf. läßt sich freilich nicht
auf anschwärzende Polemik ein. und dafür gebührt ihm Lob. Der
Konservatismus trägt hier ein milderes Gesicht als sonst oft. Trotzdem
verharrt Vf. fest auf dem alten unerschütterlichen fundamentalistischen
System. Die Irrtumslosigkeit wird zur Auslcgungsnorm gemacht
, und damit ist das Unternehmen exegetisch zum Scheitern verurteilt
.

Helsinki Heikki Räisänen