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Ausgabe:

1985

Spalte:

65-66

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Michel, Marc

Titel/Untertitel:

La théologie aux prises avec la culture 1985

Rezensent:

Bianco, Bruno

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Theologische Literaturzeitung 110. Jahrgang 1985 Nr. I

66

der Offenbarung** als ..die .Voraussetzung' . . .. von der die Theologie
immer nur herkommen kann und der sie auch bei der Wahl ihre:.
Erkenntnisweges zu folgen hat" (133), ernst nahm, nieht vorbeikommt
. Ihre ../.eitlichkeit". deren Bewußtheit gerade diese Untersuchung
als Kennzeichen Barths herausarbeitet, verbietet jedoch eine
Barth-Orthodoxie oder Scholastik. Beim Vf. klingen kritische Anfragen
nur ganz selten an - z. B. an ..Barths These von der ewigen
Praevistenz des Menschen Jesus" (189) -. beim Leser stellen sie sich
angesichts der Fülle des Dargebotenen jedoch immer wieder ein. So
bleiben Fragen ollen, die einer als Dissertation angefertigten Untersuchung
, die sich auf ..immanente Barth-Interpretation" beschränkt,
jedoch nicht anzulasten sind.

Mönster(Weslf.) Eberhard Hühner

Michel. Marc: La Ideologie aux prises avec la culture. De Schleiermacher
a Tillich. Paris: Ed. du Cerf 1982. 341 S. 8* = Cogitalio
Fidei. Theologie et sciences religieuses, 113. Kart. ITr 115.-.

Diese Arbeit - in Frankreich u. a. an die Seite der Werke von Cha-
Pey. Dunphy. Racine (und in Italien an die von Bosco. Mondin, Sca-
bini) tretend - zeugt erneut vom Interesse, das das Denken Tillichs in
der letzten Zeil nicht nur in den katholischen Kreisen Nordamerikas
geweckt hat. Schwerpunkt dieser Studie - das Ergebnis einer 1977 an
der Universität Lille geschriebenen Dissertation - ist nicht, wie man
aul den ersten Blick dem Untertitel entnehmen könnte, die liberale
Theologie des 19. Jahrhunderts vom Gesichtspunkt ihrer geschichtlichen
Bestimmtheit, auch wenn im ersten Teil («L'heritage du XIXC
siede». 23-105) das Kapitel III («L'aprcs Sehleiermacher. Lc destin
d une pensee») eine in Wirklichkeil allzu summarische Bilanz der
Theologie des vergangenen Jahrhunderts zieht, die eigentlich nur indirekt
im Lichte der bekannten Polemik Barths und Brunners gesehen
wird. Das Hauptanliegen dieser Studie ist aber, wie an der Einfuhrung
schon zu erkennen ist («Introduction generale». I 1-22) und im
SchluBltapitel bekräftigt wird («Conclusion generale». 295-309) nicht
historischer; sondern systematischer, ja apologetischer Natur: ZU
sehen, wie das Evangelium in einem sich unentwegt wandelnden
sozialen und kulturellen Cielüge nahegebracht werden kann, hat die
Geschichte des Christentums schon immer versucht. In eben dieser
Aufgabe, die bereits in den ersten Jahrhunderten die Apologetik
Justins. Irenaus und Hieronymus' inspiriert hat. sieht der Autor ..das
Wagnis der heutigen Theologie" (300). von der Herausforderung der
Säkularisierung aufgerufen, die Versuchung des „Ghetto" abzuweisen
ur>d sieh mit der Kultur in ihren auch antithetischsten Manifestationen
zu messen.

..Die Theologie in der Auseinandersetzung mit der Kultur" (wie der
Haupttitel des Werks lautet) ist somit vor allem ein Programm und
dann auch eine Analyse jener theologischen Orientierungen, die diesem
Programm am engagiertesten Folge geleistet haben. Und so
leuchtet Michels Interesse für die Figur und das Werk Paul Tillichs
ein. der in seinem Werk als Erbe der liberalen Tradition der 19. Jahrhunderts
und vor allem als Nachfolger Schleiermachers, ihres größten
Vertreters, erscheint. Bestimmend ist somit im ersten Teil der Studie
's- oben) das Bemühen Schleiermachers. ..die Religion im allgemeinen
und das Christentum im besonderen, vor dem. was er am
meisten fürchtete, vor dem .Exil in der Festung", zu bewahren" (75):
dieses Bemühen - vom Vf. in den Reden und im Christlichen Glauben
nachgezeichnet - erseheint Michel im wesentlichen positiv trotz aller
Vorbehalte ob terminologischer und dogmalischer Ungewißheiten
'^5-56) und ob des generellen Risikos einer Theologie, die der notwendigen
Logik einer Religionsphilosophie ..unterworfen" ist. Es ist
'ur den Vf. aber ein Leichtes, auf den Fundamentalismus von Barth
und Brunner (84-100) zu entgegnen. ..man könne von Gottes Wort.
•Hin überhaupt, nur .kulturell' sprechen" (103) und ..die heilige
Flucht in die Schrill ignoriere oder tue so als ignoriere sie. daß die
Bibel durchdrungen ist von den Kulturen des Sumerrcichs. Ägyptens.
Kanaans. . "(104).

Der zweite Teil des Buches («Paul Tillich. genese d'une pensee».
107-200) beläßt sich dann mit der Rekonstruktion der Genese des
Denkens Tillichs und stellt u. E. den eigentlichen Schwerpunkt der
Arbeit dar. Vor allem, weil die Rekonstruktion auf der akkuraten
Verwendung eines bedeutenden unveröffentlichten Werks Tillichs
basiert, den 72 Thesen des Entwurfs Systematische Theologie (die der
Vf. - mit der französischen Parallelfibersetzung - dank der freundlichen
Genehmigung des Gottinger Tillich-Archivs [vgl. Anhang.
311-338] veröffentlichen konnte). Michel tätigt eine detaillierte
Analyse der dreiteiligen Struktur des Textes (I [Th. 1-28]: ..Die
Begründung des theologischen Prinzips in dem wissenschaftlichen
Prinzip überhaupt. Fundamentaltheologie"; II [Th. 29—49]: ..Die
Entfaltung des theologischen Prinzips zu einem System religiöser
Erkenntnis. Dogmatik"; III [Th. 50-72]: ..Die Anwendung des
theologischen Prinzips auf das Geistesleben der Menschheit. Theologische
Ethik"): Schwerpunkt ist das theologische Prinzip vom
Paradox, d.h. dem Verhältnis zwischen absolutem und relativem
Standpunkt (Th. 22-23). Nicht weniger akkurat ist die Analyse der
philosophischen Prämissen des Texts (163-193). in der - neben anderen
Sekundärquellen der neuplatonischen und mystischen Tradition
von Plotin bis Spinoza - der zweifellos entscheidende Einfluß
Sendlings herausgestellt wird. Der Einfluß Schellings - bemerkt der
Vf. in den Schlußfolgerungen - bedeutet bei Tillich im Jahre 19 13
allerdings keine Distanzierung von Schlcicrmachcr: Ein Beweis dafür
ist der belegbare Parallelismus zw ischen den Begriffen und den Strukturen
des Christlichen Glaubens und der Thesen Tillichs, welcher seinerseits
dem Schellingschen Grundton des Entwurfs genau deswegen
nicht widerspricht, weil -abgesehen von offensichtlichen Unterschieden
- die Ähnlichkeiten zwischen den beiden Autoren des idealistisch
-romantischen Zeitalters sehr groß sind.

Im dritten Teil («La realisation du projet de 191 3». 201-294) zeigt
Michel in einer überzeugenden Analyse das Fortbestehen des Schemas
von 1913 im Folgewerk Tillichs (besonders eingehend werden
Theology of Culture und Systemütic Theology untersucht): Im Programm
der Vermittlung zwischen Christentum und Kultur als drittem
Weg zwischen der Flucht in die Vergangenheit und der Flucht in die
Zukunft macht Michel das Gemeinsame zwischen Schlcicrmachcr
und Tillich aus. Dieses Programm ist sicherlich nicht frei von Risiken,
und Michel unterstreicht die Zweideutigkeiten und die Mängel in
Tillichs Denken, insbesondere hinsichtlich der Bestimmung des
Gott-Welt-Verhältnisses und derChristologie (284-289). die letztlich
..von seiner Eingliederung in ein philosophisches System" herrühren,
„das sich die Identität zum Leitmotiv gemacht hat". Der Vf. hält allerdings
, wie wir bereits gesehen haben, die Grundoption Tillichs für
richtig: diesem schreibt er - ohne zu zögern - eine prophetische Bedeutung
(«Paul Tillich: la voi d'un prophete», 289-294) Für die Zukunft
der Theologie und die der Kirche zu.

Wenn w ir uns nieht irren, hatten das Werk und das Denken Tillichs
auf katholischer Seite selten eine so offene Anerkennung erfahren, die
der Vf. übrigens sehr überzeugend auszusprechen weiß und die vielleicht
noch überzeugender ausgefallen wäre, wenn die einschlägige
Literatur ausführlicher herangezogen worden wäre, auch die des
deutschen Sprachraums (die merkwürdigerweise weder für Schleicr-
machernoch für Tillich kaum verwendet wurde).

Triest Bruno Hianco

Arts. Herwig: Delix «chretiens poui lc socialisme»: Tillich et Möllmann
(EIR 59. 1984 S. 331-343).

Beck. A. van den: Wat is Ideologie'.' (kerk cn theologic .15. 1984
S. 212-222).

MauglH. John F. : The Cosmic Advcnlurc. Science. Religion and the Ouesl
for Purposc. New York - Ramscy: l'aulisl Press 1984. V. 184 .S. 8'. Kart.

$6.95.

Jcillkvka. Helmut: Die Rezeption von Luther ..De servo arbitrio" in der
deutschsprachigen Lutherforschung des 20. Jahrhunderts als Darstellung der