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Ausgabe:

1985

Spalte:

862

Kategorie:

Praktische Theologie

Titel/Untertitel:

Verstehen was Sterbende sagen wollen 1985

Rezensent:

Winkler, Eberhard

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Seite 1

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86!

Theologische Literaturzeitung 110. Jahrgang 1985 Nr. 1 1

862

ncht veranlaßt wurde und ausführliches Material bietet, was die
Reaktionen der Kandidaten betrifft.

Methodisch macht sich L. die gruppendynamischc Erkenntnis zunutze
, daß die Konfliktdynamik in einem derartigen Fallbericht sich
in den Reaktionen einer Gruppe, die sich damit beschäftigt, widerspiegelt
. Aber auch die Reaktionen von Spiegel und Tacke werden
unterdiesem Gesichtspunkt befragt. Mittels des „Göttinger Gruppen-
Modells", das von F. Heigl und A. Heigl-Evers entwickelt wurde, wird
nun der Leser zum „szenischen Verstehen" der Situation geführt, das
s'ch „unterschwellig" zwischen den Gesprächspartnern des Fallbe-
r'chts abspielt und den Schlüssel für das Verstehen des Trauernden in
seiner Situation liefert, zugleich aber auch die eigene Reaktion auf
diese Situation erhellt - Vorbedingungen für die ins Auge gefaßte Vermittlung
von situativer Erfahrung und christlicher Deutung.

Die gedrängte Darstellung des psychoanalytischen Gruppenmodells
wie auch die Anwendung auf den vorliegenden Fall setzt beim
Leser Vorkenntnisse tiefenpsychologischer Terminologie voraus.
(AufS. 96 muß es heißen: „Die unbewußten Phantasien . . . stellen
'"'bearbeitete [anstelle von bearbeitete] unbefriedigte unbewußte
Wünsche dar. ..")

Aus der „Revision" des Fallberichts ergeben sich dann Kriterien für
die Auseinandersetzung mit der „sozialtcchnischcn Engführung"
Spiegels und der „biblizistischen Engführung" Tackes und Kuskes
(107fT).

Dieser Teil der Arbeit ist in sich schlüssig und informativ. Er vermittelt
eindrucksvoll das pastoralpsychologische Anliegen: methodisch
verantwortete Hilfestellung zur Gewinnung seelsorgerischer
Kompetenz, und zur Findung der beruflichen Identität des Plärrers zu
geben. In „mikroskopischer Detailarbeit" bietet er dem Leser Hilfestellung
über die Sachinformationen hinaus.

In einem 3. Teil (126IT) demonstriert L. seine Methodik anhand
Wnes Fallberichts „Trauerbesuch nach dem Selbstmord einer löjähri-
gen" und der nachfolgenden Traucransprache. Hier wird dann auch
die Grenze derartiger schriftlicher Vermittlungsversuche deutlich.
War im 2. Teil der Vf. selbst der betroffene Pfarrer auf dem Weg zu
einer erweiterten Kompetenz, so bleibt in diesem Fallbericht der
berichtende Pfarrer selbst im Hintergrund. Nur die Reaktionen einer
Pfarrer- und einer Studentengruppe (in letzterer ist der berichtende
Pfarrer selbst nicht anwesend) werden referiert und gedeutet. Es bleibt
undeutlich, wie z. B. die „Konfliktlösung" in der Traueransprache
angestrebt wird bzw. erfolgt, weil der Konflikt des Seelsorgers und
Predigers angesichts der Situation (Suicid in einer ihm gut bekannten
Familie) undeutlich bleibt. Es bleibt weithin im Dunkeln, was die Ursachen
für die unterschwellige, aber deutlich wahrnehmbare Aggressor
! in der Traucransprache des Pfarrers sind, aufweiche die Studen-
•engruppe wiederum stark aggressiv reagiert. Hier bleibt also das „unterschwellige
Geschehen", auf das sich der Leser identifizierend ein-
'äßt. weithin unaufgedeckt. Im Vergleich zu der „mikroskopischen
Detailarbeit" des 2. Teils muß dieser Abschnitt beim Leser einen unbefriedigenden
Eindruck hinterlassen. Als methodische Skizze ist er
informativ.

Statt einer Zusammenfassung stellt L. an den Schluß seines Buches
einen eigenen Predigtentwurf. Diese Predigt hielt er anläßlich seiner
Einführung als Leiferdes Ev. Zentral instituts für Familienbcratung in
Berlin (West). Als Predigttext wählte er 1 Kön I9.I-I8. weil ihm
»kein treffenderes und anschaulicheres Beispiel für die Zuwendung
Gottes zu einem Ratsuchenden in tiefster Depression bekannt ist"
"54). Mit diesem Predigtent wurf möchte sich L. nun auch seinerseits
•der analysierenden Kritik aussetzen".

Auf mich macht diese Predigt einen stark distanzierten Eindruck.
was ich etwa an dem 1. Teil, einer detailliert ausgeführten Beschreibung
der historischen Situation des Textes, oder an den hebräischen
Worterklärungen im letzten Teil festmachen kann. Ich legte die Predigt
jemandem vor. dem Depressionen nicht fremd sind. Er empfand
Nähe bei der Stelle, wo der Prediger von der „Sprache des Entmutigten
und Resignierten" redet, in der Gott zu Elia spricht. Aber sonst

herrschte bei ihm ebenfalls der distanzierte Eindruck vor. „Als Depressiver
in^der Kirche hätte ich mich einsam und nicht verstanden
gefühlt. Ich hätte den Eindruck, der Prediger beobachtet mich und
steht nicht neben mir."

Die Vermittlung von situativer Erfahrung und christlicher Deutung
ist ein lebenslanger Lernprozeß.

Hannover Hans-Christoph Piper

Kübler-Ross, Elisabeth: Verstehen was Sterbende sagen wollen. Einführung
in ihre symbolische Sprache. Aus dem Amerik. übers, von
S. Schaup. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn (Lizenzausgabe
Kreuz-Verlag, Stuttgart) 1985. 160 S„ 13 Abb. auf
8 Taf.8° = GTB/Sicbcnstern.952. Kart. DM 9,80.

Wehowsky. Stephan [Hrsg.]: Sterben wie ein Mensch. Gütersloh:
Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn 1985. 128 S. kl. 8* ■
GTB/Siebenstern,953. Kart. DM 10,80.

E. Kübler-Ross faßt in der ersten Hälfte des 1982 im Kreuz-Verlag
erschienenen Buches ihre aus anderen Publikationen bekannten Erkenntnisse
anhand von Beispielen zusammen. Ihr Schüler Gregg M.
Furth erläutert im 2. Kapitel „die Verwendung von Zeichnungen, angefertigt
in einer Lebenskrise". Martha P. Elliot erzählt im 3. Kapitel
von dcr'Krankheit und dem Tod ihres Kindes an Leukämie: „Mutter-
Kind-Station: Totaler Einsatz bei der Pflege eines todkranken Kindes
". Das Schlußkapitel enthält ein Gespräch zwischen der Autorin
und einer chirurgischen Krankenschwester über Probleme bei plötzlichen
Todesfällen. Wie immer geht es der verdienstvollen Autorin
auch hier um Hilfe für alle Betroffenen einschließlich des Seelsorgers,
„die Maske professioneller Tüchtigkeit, der stoischen Fassade und des
Verdrängens schmerzhafter Erinnerungen fallenzulassen" und eigene
Ängste aufzuarbeiten, um so für echte Zuwendung frei zu werden.

Der Titel des von Wehowsky hrsg. Buches bezeichnet die gemeinsame
Intention der sonst recht unterschiedlichen Autoren aus Psychologie
, Medizin, Theologie und Rechtswissenschaft. M. Leist gibt Hinweise
zur Schmerzlinderung, Angstbewältigung und zur Hilfe in der
Identitätskrise. H. Reichhelm folgt in seinen „Bemerkungen zur Tha-
nato-Psychologie" dem Ansatz von Kübler-Ross. T. Stählin erweist in
theologischen Erwägungen zum humanen Sterben die Krankenhausseelsorge
als eine zentrale kirchliche Aufgabe in der Gegenwart. Der
Hrsg. will dazu beitragen, daß „der Schatten der Medizin" den Sterbenden
nicht in das „technologische Inferno" der Apparate-Medizin
zieht. Die Internistin H. Burmeister berichtet von der ungeheuren
Kraftanstrengung, die die „Betreuung von Sterbenden durch den
Hausarzt" erfordert. Der Arzt F. Zimmermann erzählt von seinen
sehr unterschiedlichen Erfahrungen „als Patient auf einer Intensivstation
". H. H. Atrott, Präsident der Deutschen (reselischafl für Humanes
Sterben, begründet das Programm dieser Gesellschaft unter der
polemischen Überschrift: „Der Mensch wird vergessen". „Über das
Recht, den Zeitpunkt des eigenen Todes selbst zu bestimmen", handelt
der Jurist O. Brändel in Auseinandersetzung mit dem geltenden
Recht in der BRD. Nach dieser Meinung tragen „religiöse Vorurteile"
dazu bei, „Patienten die ausdrückliche Bitte um einen würdigen Tod"
nicht zu erfüllen. Das Buch beweist, wie wichtig das interdisziplinäre
Gespräch angesichts der Probleme der Sterbehi IIb ist.

E.W.

Kibach, Ulrich: Suchtmittclabhangigkcit - Anthropologische und ethische
Aspekte(WzM 37, 1985 S. 349-362).

Klikkiger, Felix: Funktion und Wesen der Religion nach Erich Fromm
(ThB 16.1985S. 201-223).

Hau«, Hcllmut: Die Seele als Thema der Theologie (DtPfrBl 85, 1985
S. 361-363).

Mctclmann, Volker: Wahrheit und Illusion. Der Dialog zwischen Oskar
Pfister und Sigmund Freud (WzM 37. I985S. 326-336).

Nohl, Paul-Uerhard: Nachdenken über mich. Chancen im Kranksein. Göttingen
: Vandcnhocek & Ruprecht 1984. 145 S. 8 Kart. DM 16.80.