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Ausgabe:

1985

Spalte:

855-858

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Luther, Henning

Titel/Untertitel:

Religion, Subjekt, Erziehung 1985

Rezensent:

Lott, Jürgen

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Theologische Literaturzeitung 1 10. Jahrgang 1985 Nr. 1 I

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phetischer Vision im Alten Testament parallelisiert (Hab 2,3; S. 104).
Mit ihrem Hinweis auf die - freilich näher auszuarbeitenden und zu
begründenden - Verbindungslinien zwischen Ethik und Ästhetik vermag
die Studie der ev. Theologie einen wesentlichen Denkanstoß zu
vermitteln. Jedoch hinsichtlich einer im wissenschaftlichen und
gesellschaftlichen Dialog überprüfbaren Methode ethischer Urteils-
findung bietet der auf ethische Assoziationen abhebende Leitgedanke
der Imagination keine Alternative zur argumentativen und normativen
Ethik.

Wachtberg Hartmut Kreß

Praktische Theologie: Allgemeines

Luther. Henning: Religion, Subjekt, Erziehung. Grundbegriffe der
Erwachsenenbildung am Beispiel der Praktischen Theologie Friedrich
Niebergalls. München: Kaiser 1984. 408 S. gr. 8". Kart.
DM 82,-.

Der systematische Ort der - in gekürzter Fassung vorgelegten -
Mainzer Habilitationsschrift von H. Luther ist die in jüngster Zeit
erneut und durchaus mit einiger Vehemenz in Gang gekommene
Debatte über das Selbstverständnis der Praktischen Theologie als
Teildisziplin wissenschaftlicher Theplogie.

Den Ausgangspunkt bildet die Trage, auf welche Weise die Praktische
Theologie das Thema „kirchliche Erwachsenenbildung" systematisch
aufnehmen kann. Luther spürt zunächst den Schwierigkeiten
nach, die es der Praktischen Theologie bereitet, das Feld kirchlicher
Erwachsenenbildung zum Gegenstand ihrer Reflexion zu machen.
Dabei tritt neben die inhaltliche Frage, was die Praktische Theologie
über und für die Erwachsenenbildung zu sagen hat, die strukturelle
Frage, welchen innersystematischen Stellenwert sie ihr zumißt. Schon
ein nur flüchtiger Blick auf die einschlägige Literatur zur Erwachsenenbildung
im Raum der Kirche kann zeigen, daß, je nach inhaltlicher
Aufgabenbestimmung, Erwachsenenbildung Aspekte aller traditionellen
Teildisziplinen der Praktischen Theologie enthält: Kate-
chetik, Homiletik, Diakonie, Poimenik, Kybernetik (die Liturgik
könnte man m. E. hier durchaus auch einbeziehen). Die Beobachtung,
daß alle diese praktisch-theologischen Unterdisziplinen bestimmte
Anknüpfungspunkte an Ausprägungen von Erwachsenenbildung
haben, legt den Schluß nahe, im Ansatz von Erwachsenenbildung ein
integratives Moment der Praktischen Theologie zu sehen. „Erwachsenenbildung
wäre dann nicht ein Bereich kirchlichen Handelns und
praktisch-theologischer Theorie neben anderen, sondern eine zentrale
Perspektive, unter der Praktische Theologie kirchlich-gemeindliche
Praxis kritisch zu erfassen sucht" (S. 14). Luthers Durchsicht neuerer
praktisch-theologischer Gesamtdarstellungen (Müller, Haendler,
Handbuch der Praktischen Theologie III) und einschlägiger Einzelarbeiten
(Otto, Bohren, Bastian, Biemer/Siller, Bizer, Josuttis) zeigt,
daß zwar durchgängig eine gewisse „Aufnahmebereitschaft" für
Erwachsenenbildung als „künftiges Thema" der Praktischen Theologie
besteht, insgesamt dieses Feld pädagogischen Handelns der Kirche
aber entweder ignoriert wird oder aber allenfalls beiläufig auftaucht
oder als „Anhang", „wo zu guter Letzt noch alles Erwähnung
findet, was jenseits des eigentlichen Aufgabenfcldes Praktischer Theologie
zu liegen scheint, aber irgendwie auch mit Kirche zu tun hat"
(S. 490.

Im folgenden geht Luther dann der Frage nach, unter welchen Voraussetzungen
das Thema der Erwachsenenbildung für die Praktische
Theologie mehr als nur periphere Bedeutung gewinnen kann und welche
Konsequenzen sich daraus für Grundlagenproblemc dieser Disziplin
ergeben. Als „Brennspiegel" zur Bündelung der inhaltlichen
Aspekte des Problems Erwachsenenbildung in der Praktischen
Theologie dienen ihm - aus den Begründungszusammenhängen für
Erwachsenenbildung gewonnen

- die Frage nach dem Subjekt (was bedeutet es z. B. für eine weithin
sachorientierte Praktische Theologie, sich über die Frage nach

dem Subjekt ihrer theologischen Mühen Rechenschaft zu geben, nach
der Wirkung von Religion in den jeweiligen Lebensgeschichten zu fragen
?),

- die Frage naeh Bildung/Erziehung (was bedeutet es für das
Selbstverständnis der Praktischen Theologie, wenn die Dimension des
Pädagogischen [der Bildung und Erziehung, des Lernens und der religiösen
Entwicklung] für die gesamte praktisch-theologische Arbeit
konstitutive Bedeutung erhält und zu den „einheimischen" Dimensionen
in Beziehung zu setzen ist?),

- die Frage naeh methodologischen Implikationen (was bedeutet es
für das Selbstverständnis der Praktischen Theologie, ihre interne Disziplinenstruktur
und für ihre Methodologie, wenn Erwachsenenbildung
entweder lediglich als eine besondere Veranstaltungsform oder
aber als durchgängiges Problem Praktischer Theologie verhandelt
wird?).

Diese drei Problemkreise benutzt Luther als Orientierungsrahmen
für den Hauptlei/, die interpretierende Analyse des praktisch-theologischen
Werkes von Friedrich Niebergall (S. 69-272). Dabei tritt die
Frage, wo und wie bei Niebergall Erwachsenenbildung thematisch
wird - explizit gar nicht - zurück. Niebergalls praktisch-theologischer
Gesamtentwurf rückt deshalb ins Zentrum, weil für seine „pädagogische
Theologie" die kategoriale Berücksichtigung der Frage nach
dem Subjekt der Praktischen Theologie und nach der Erziehung charakteristisch
ist. Erziehungs- und Subjektbegriff Niebergalls befragt
Luther hinsichtlich ihrer „grundbegrifflichen Bedeutung für den Ansatz
der Praktischen Theologie.

Summiert man grob die ebenso differenzierte wie behutsame interpretierende
Analyse, die Luther Niebergalls Schrifttum angedeihen
läßt (es handelt sich um ein „Werk" von 580 Titeln, bei Luther im
Anhang chronologisch erfaßt und systematisch gruppiert), müssen
m. E. im Blick auf weitere notwendige Klärungen zum Selbstverständnis
der Praktischen Theologie ebenso wie hinsichtlich einer Neustruk-
turierung ihrer Binnendifferenzierung vor allem folgende Ergebnisse
festgehalten werden:

Im Blick auf den Erziehungsbegriff: Erziehung in ihrer umfassenden
, intentionale und funktionale Prozesse, kognitive, affektiv-emo-
tionale und volitiv-soziale Dimensionen einschließenden Bedeutung
ist in rcligionspädagogischer Hinsicht nicht als bloße Einführung.
Vorbereitung oder Unterweisung zu fassen. Subjekt der Erziehung
und Objekt (Religion) stehen sich gerade nicht nach dem Grundmuster
einer Theorie der Kulturübermittlung gegenüber. Für Erziehung
ist vielmehr die Beteiligung am Entwicklungsprozeß des religiösen
Subjekts selber konstitutiv: Erziehung also als Erziehung zur
Entwicklung und damit selbst Moment dieser Entwicklung. Die reli-
gionspädagogischc Aufgabe liegt in der Initiation und Begleitung dieses
Entwicklungsprozesses. Bezieht man dieses Verständnis von
Erziehungais Erziehung zur Entwicklung aufdie Praktische Theologie
- und löst nicht voreilig den Zusammenhang von Entfaltung der
Religiosität (subjektive, innere Seite von Religion) und Entwicklung
und Veränderung sozial und geschichtlich erfährbarer Religion
(objektive Seite) auf-, ergeben sich weitreichende Konsequenzen für
ihr Selbstverständnis ebenso wie Hinweise zur Klärung ihres Verhältnisses
zu den übrigen theologischen Disziplinen. Die Rolle der Praktischen
Theologie läge nicht länger darin, von den übrigen theologischen
Disziplinen zubereiteten religiösen Traditionsbestand an die
Zeitgenossen zu vermitteln und ihnen allenfalls zu übersetzen - im
Sinne einer Anwendungs- und Verwertungswissenschaft. „Die Praktische
Theologie übernähme von den anderen theologischen Disziplinen
nicht bloß ihren Gegenstand, den sie allenfalls aktualisieren
müßte, sondern sie nimmt diesen Gegenstand gerade in seiner Entwicklung
zur Kenntnis und konstituiert damit ihren spezifischen
Gegenstand allererst." (S. 276) Ihr spezifischer Gegenstandsbereich
wären die gegenwärtigen Prozesse der Entwicklung und I eränderung
religiösen Lehens. Das „Praktische" der Praktischen Theologie läge
dann darin, sich auf den offenen Prozeß der Verwirklichung und Entwicklung
einzulassen und zu bezichen. Dies umfaßt die Reflexion der