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Ausgabe:

1985

Spalte:

835-836

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Abramowski, Luise

Titel/Untertitel:

Drei christologische Untersuchungen 1985

Rezensent:

Winkelmann, Friedhelm

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Seite 1

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835

Theologische Literaturzeitung 110. Jahrgang 1985 Nr. I 1

836

Dogmen- und Theologiegeschichte

Abramowski, Luise: Drei christologische Untersuchungen. Berlin-
New York: de Gruyter 1981. IX, 109 S. gr. 8° = Beiheft zur Zeitschrift
für die neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde der
älteren Kirche, 45. Lw. DM 44,-.

Die Autorin, die schon durch einige Beiträge zur Erforschung der
theologischen Entwicklung in frühbyzantinischer Zeit hervorgetreten
ist, die zu den Standarduntersuchungen rechnen1, hat in dem vorliegenden
Band drei kleinere Abhandlungen zusammengestellt, die
durch die christologische Problematik verbunden sind. Alle drei Skizzen
sind methodisch interessant und kommen zu neuen oder zumindest
die weitere Forschung anregenden Ergebnissen. Da die untersuchten
Probleme sehr kompliziert sind, wird der für diese Besprechung
zur Verfügung stehende Raum im wesentlichen für die Präsentation
der Ergebnisse gebraucht. Die Auseinandersetzung muß dahinter
zurücktreten.

Im ersten Beitrag (S. 1-17) deutet Vfn. den schon viel behandelten
Begriff apnayßöq'm Phil 2,6 als Entrücktsein. Sie belegt das durch Ora-
cula chaldaica fr. 3 (ed. des Places) und deckt den vorchristlichen philosophischen
Hintergrund und Wirkzusammenhang auf (chaldäische
Interpretation Plotins durch Proklos, S. 5). „Es wird hier [Phil 2,6]
also nicht von einem bloßen Gestaltwandel eines Gottes berichtet,
sondern von Übernahme der menschlichen Seinsweise in jeder Hinsicht
" (S. 11). „Von der Auffassung des irdischen Menschen als eines
Sklaven der (Gestirn-)Mächte her die noptpr SovXov von Phil 2 zu verstehen
, scheint den schärfsten Kontrast innerhalb des ersten Hymnenteils
zu ergeben und mit den Mitteln dieses nicht spezifisch christlichen
Vokabulars eine Aussage von christlicher Radikalität zu ermöglichen
" (S. 12). Das spräche gegen die Autorschaft des Paulus für
diesen Hymnenteil (S. 9f). Über die Schlüssigkeit mögen die Neutesta-
mentler entscheiden.

Im zweiten Beitrag (S. 18-62) prüft Vfn. das gnostische Sondergut
in Hippolyts Refutatio omnium haeresium. Zwei Ziele leiten diese
Untersuchung: Das eine ist das Aufdecken von Verbindungslinien
zwischen gnostischer Logostheologie des 2. Jh. und gnostisch-christ-
licher des 3. Jh. in Rom. Das andere ist das Erfassen von Resten vor-
plotinischer Philosophie. Vfn. knüpft vor allem an Studien von
R. Reitzenstein, H. J. Krämer, K. Koschorke, J. Frickel, Barbara
Aland an, zeigt aber auch, daß noch viel Arbeit geleistet werden muß
und kann. Sie stützt die Hypothese P. Nautins, daß die Refutatio von
Hippolyt, die Schrift Contra Noetum aber von einem anderen Autor
stamme durch innere Argumentation (S. 24).2 Einige Ergebnisse seien
hervorgehoben: Von den bislang für gnostisches Sondergut gehaltenen
Passagen der Refutatio (ein Überblick S. 18 Anm. 1) stellt Vfn. für die
Apophasis Megale (Ref. 5,9-18) mit ansprechenden Argumenten die
Hypothese auf, daß neben den beiden literarischen Schichten „eigentliche
Apophasis" und „Kommentar der Apophasis" noch die Hand
des Redaktors als eine weitere Schicht hinzutrete (S. 19-37). Für den
sog. Naassenerbericht (Ref. 5,6-11) gewinnt Vfn. aus methodischen
Gemeinsamkeiten des Sonderguts neue Argumente für eine Stützung
der Thesen Reitzensteins1 (S. 46ff). Schließlich fügt sie dem Sondergut
auch den Aratoskommentar bei (Ref. IV 46-49; S. 37-45). auf
Frickels Untersuchungen aufbauend.''

Auch der dritte Beitrag (S. 63-109), der sich den Begriffen
dovyxwoe cvtooiQ und avvdipeia widmet, verdient starke Beachtung.
Christologische Sprache wird hierauf philosophische und nichtchristliche
Ursprünge zurückgeführt, die zur Erhellung der nestorianischen
Auffassung beitragen können (vgl. das Bedeutungsschema S. 99
Anm. 121). Es handele sich um keine spezifisch antiochenische Terminologie
: ein wichtiges Ergebnis für das Verständnis einer komplexen
Etappe der Dogmengeschichte. Bei der Erörterung der Lateiner
werden von Vfn. Bedeutungsübereinstimmungen oder
-nuancierungen zwischen griechischer und lateinischer Terminologie
mehr suggeriert als bewiesen. Auch der Wandel zwischen dem

stoischen und dem neuplatonischen Verständnis von owänuo wäre
einer genaueren Prüfung zu unterziehen, um Tertullians Rolle richtig
einordnen zu können. Auf der anderen Seite sollte man in der Beurteilung
von Kyrills polemischer Methode zurückhaltender sein (vgl.
S. 70, 80) und der Eruierung von Motivationen und Methode seiner
theologischen Position gleichfalls alle Sorgfalt zuwenden. Auf rein
begriffshistorischem Wege wird man ihm aber wohl nicht gerecht werden
können.

Die Untersuchungen wenden sich jeweils an einen kleinen Kreis
von Spezialisten, greifen in konziser Form in deren Fachgespräch ein
und erbringen neue Ergebnisse. Die reine Begriffsorientierung wird
dabei nicht verlassen. Das scheint mir doch ein Nachteil solcher
Untersuchungen zu sein.

Berlin Friedhelm Winkelmann

1 Der Streit um Diodor und Theodor zwischen den beiden aphesinischen
Konzilien, ZKG 67 (1955/56) 252-287: Zum Brief des Andreas von Samosata
an Rabbula von Edessa. Or. Chr. 41 (1957) 51 -64: Untersuchungen zum Liber
Heraclidis des Nestorius. CSCO 242, Subs. 22, Löwen 1963: Peripathetisches
bei späten Antiochenern, ZKG 79 (1968) 358-362.

! Für einen Forschungsbericht sei hier aul'V. Loi. Ricerche su Ippolito. Rom
1977,9-16 (Studia ephemeridis „Augustinianum"' 13) verwiesen.

' R. Reitzenstein. Poimandres, Leipzig 1904. 93-98; ders.. Studien zum
antiken Synkretismus. Leipzig 1926. 161 - I 73. Kritik kam vor allem von M. Si-
monctti.in: VeteraChrist. 7(1970) 115-124-.

4 J. Frickel. in: Nag Hammadi Studies 8, Leiden 1977. 119-137.

Irenee de Lyon: Contre les Heresies. Livre II. Edition critique par
A. Rousseau et L. Doutrcleau. I: Introduction, Notes Justificatives.
Tables. II: Texte et Traduction. Paris: Les Editions du Cerf 1982.
434 S. et 372 S. 8" = Soucces Chretiennes, 293/294. Kart, ffr 339.-
et ffr 289.-.

Mit Adv. haer. Hb II ist nun die neue Ausgabe des Hauptwerkes des
Eirenaios abgeschlossen'. Bescheiden bemerken die Herausgeber in
SCh 293,9.: «Nous nous estimons heurcux d'avoir pu ajouter un chai-
non ä une recherche que d'autres ont commencee avant nous et que
d'autres encore feront progresser apres nous». Die bisherige Standardedition
W. Harveys2 ist damit im wesentlichen überholt. Schwierigkeiten
ergeben sich unter dem Aspekt der Handlichkeit: denn der
Eirenaiosforscher braucht jetzt allein für die philologische Erschließung
eines Werkes eine kleine Bibliothek: zehn Bände der Sources
Chretiennes5; trotz Ch. Marciers Korrekturen in SCh 152 und 100
immer noch K. Ter-Mekerttschian / E. Ter-Minassiantz. Irenäus:
Gegen die Häretiker, Buch IV und V in armenischer Version. Leipzig
1910 (TU 35,2); H. Jordan, Armenische Irenäusfragmente, Leipzig
1913 (TU 36,3); Ch. Renoux, Irenee de Lyon. Nouveaux fragments
armeniens de l'Advcrsus Haereses et de l'Epideixis. Paris 1978
(PO 39,1, 1-164); wichtiges Material bietet B. Reynders. Lexique
compare du texte grec et des versions latine, armenienne et syriaque
de l'Adversus Haereses de Saint Irenee, [/II, Löwen 1954
(CSCO 141/142, Subs. 5/6); auch für die philologischen Aspekte
wäre Ph. Bacq, De l'ancienne ä la nouvcllc alliance. Unitc du livre IV
de l'adversus haereses, Paris/Namur 1978, hinzuzuziehen.4

Im zweiten Buch stellt Eirenaios der dualistischen Auffassung eines

Demiurgen die des Dcus creator entgegen:.....Dominus Virtutum et

Pater omnium et Deus omnipotens et Altissimus et Dominus caelo-
rum et Creator et Fabricator . . . non alterius atque alterius haec sunt,
sed . . . unus Deus et Pater ostenditur qui continet omnia et omnibus
ut sint praestans" (SCh 294, 364, 45-51). Damit ist eine in ihrer Bedeutung
nicht zu unterschätzende Position in der Entwicklung des
theologischen Profils der alten Kirche erreicht.

Der größte Teil dieses Buches ist allein in der lateinischen Übersetzung
erhalten. Editionsgrundlage sind die fünf wichtigsten Handschriften
, wozu jeweils die Erasmische Edition, die jetzt verlorene
Manuskripte verwendete, konsultiert wird. Der Cod. Salmantieensis
202 erfährt eine gründliche Charakterisierung (SCh 293. 33-50). Von