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Ausgabe:

1985

Spalte:

61-65

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Clausert, Dieter

Titel/Untertitel:

Theologischer Zeitbegriff und politisches Zeitbewusstsein in Karl Barths Dogmatik dargestellt am Beispiel der Prolegomena 1985

Rezensent:

Hübner, Eberhard

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Theologische Litcraturzeitung I 10. Jahrgang 1985 Nr. I

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R1SM/DKL wird auf den „Katalog" angewandt, das Lit.-Verzeichnis
ist wieder vervollständigt. Das ist besser als nichts. Es bleibt freilich
ein Buch mit unvollständigem Inhaltsverzeichnis. Und Vf. hätte sich
gewiß Anregungen, etwa zur dringend nötigen Übersichtlichkeit
jeweils an den Rand des Textes die Abb.-Nr. und den Katalognach-
WCls zu drucken, nicht verschlossen. Sehr nützlich wäre ein Hinweis
auf die als Faksimile greifbaren einschlägigen Gesangbücher gewesen:
ich nenne nur (Klug II l954,)Babst 1545: 1966 und Leisentritt 1567:
1964. Aber all dies (nicht zuletzt ein Register!) muß nun Wunsch bleiben
.

Leider eine v erpaßte C hance für ein Buch, das gründliche Aufmerksamkeit
verdient!

Erlangen Dietrich Blaufuß

Systematische Theologie: Allgemeines

C lausert, Dieter: Theologischer Zeitbegriff und politisches Zeitbewußtsein
in Karl Barths Dogmatil« dargestellt am Beispiel der
Prolegomena. München: Kaiser 1982. 324 S. gr. 8"= Beiträge zur
evangelischen Theologie, 90. DM 65.-.

..Aus meinem Leben ah Christ, als Theologe .. . hat es sich ganz
von selbst ergeben, daß ich eben auch in der Polls lebe. Als Theologe
schwebt man nicht als eine Art Engclein über der Erde. Da sind einem
dann die Fragen gestellt und immer gegenwärtig, die man als die
Politischen bezeichnet.** Mit diesem Zitat des späten Barth beginnt
der Vf. seine Untersuchung (I I). Mit ihm zeigt er ihre Aktualität an,
auch wenn sie sich auf den theologiegeschichtlichen ..Versuch einer
immanenten Barth-Interpretation" beschränkt.

Ihr Gegenstand sind Barths ..theologische und politische Texte und
WBS iir ihnen zu lesen steht'" (16). Das Riesenwerk Barths gebietet
repräsentative Auswahl. Der Vf. wählt die „Prolcgomena", die Bände
L I und 1 2 der ..Kirchlichen Dogmatik". Sie bieten sich an. weil sie
entwerfen, was die späteren Bände ausführen. Daß die „späteren Darlegungen
" „Konsistenz und Weiterbildung des christologischen Zeitverständnisses
innerhalb der KD von den Prolcgomena an" anzeigen
('21). weist der Vf. in Exkursen nach. Sic bieten sich auch aus einem
anderen Grund an. Die „N eucrung im Zeitverständnis'" im Vergleich
m't der „Zeit-Ewigkeits-Dialektik" der „sogenannten dialektischen
Phase Barths" gibt ihnen für das behandelte Thema einen besonderen
Stellenwert. Um ihn zu verdeutlichen, schaltet der Vf. ein Kapitel
Uber ihren „Vorläufer", die „Prolcgomena zur christlichen Dogma-
•'k" von 1927, vor (171). Für eine „Themenstellung", die die „Aufgabe
" enthält, „das .und", d. h. die Art der Beziehung zwischen .theologischem
ZeitbegrifT und .politischem Zeitbewußtsein' bei Karl
Barth zu klären" (13). bieten sie sich noch aus einem weiteren Grund
an- In ihrer Entstehungszeit, den Jahren 1932-1938, begann der
Nationalsozialismus das politische Geschehen in Deutschland zu
bestimmen, ergriff Hitler die Macht, setzte die Verfolgung der Juden,
d'e Ausschaltung politisch Andersdenkender ein, wurde der Versuch
^er Gleichschaltung der evangelischen Kirche unternommen, forderte
sich kirchlicher Widerstand, der vorrangig in Barth seinen
•heologischen Repräsentanten fand, wurde Barth als Thcologieprofcs-
sor in Bonn abgesetzt und kehrte in die Schweiz zurück, von wo er
nunmehr anhob, „das zu sagen, was man sich im heutigen Deutschland
offenbar selbst nicht mehr sagen kann" (306 Anm.). Diese Jahre
bilden nicht nur den zeitgeschichtlichen Hintergrund der Entstehung
^cr ..Prolegomena /ur Kirchlichen Dogmatik", in ihnen gibt Barth
Mich „seine auffällige Zurückhaltung auf. die er während der Zwanziger
Jahre in Fragen der kirchlichen und politischen Praxis in Deutschland
geübt hat" (18). Deshalb ist es angemessen, über die „Prolego-
Ulena" hinaus „einige seiner aktuellen Schrillen" (19). „natürlich nur
Jeweils etwa gleichzeitig entstandene Texte Barths heranzuziehen".
Erst dann ist das Material für eine Untersuchung vollständig, in der

repräsentativ ,.l) Barths theologischer Zeitbegriff anhand der KD entfaltet
, 2) Barths politisches Zeitbewußtsein vorwiegend in seinen
Gelegenheitsschriften aufgespürt und daraufhin 3) nach dem Zusammenhang
gefragt wird, welcher zwischen beiden bestehen dürfte,
sofern nämlich anzunehmen ist, daß Barth sein theologisches Zeitverständnis
in bestimmten Situationen und Situationsbeurteilungen politisch
konkretisiert bzw. umgekehrt in seinem Zeitbegriffauch die Zeitlichkeit
und Zeitbezogenheit seiner theologischen und politischen
Existenz, reflektiert hat" (15).

In drei Kapiteln untersucht der Vf. Barths Entwicklung eines „theologischen
Zcitbegrilfs". Schon im „Dogmalikentwurf von 1927"
(21 ff) betont Barth, in ihm ginge es „nicht um ein zeitloses Denken
und Reden . . ., dem Dogmatiker wie dem Prediger habe es vielmehr
um das Wort zu gehen, .das heute zu den Menschen von heute geredet
werden soll' " (21). Aber er „bedient sich" noch „nicht eines theologisch
interpretierten Zettbegriffs", sondern des von „F. Overbeck entlehnten
BegrilTs der .Urgeschichte' .... in dem er dem historisch-
psychologisch analysierbaren Phänomen der Geschichte in platoni-
sierender Weise und gerade/u dualistisch eine geschichtliche Dimension
gegenüberstellt, der die Offenbarung zugehört". Der Begriff ist.
analog zum „Gegensatz des .Wesens' zur .Erscheinung'", der zeitlichen
Geschichte entgegengesetzt (22). Ihm eignet metaphysische
Zeitlosigkcit. Zwischen zeitgebundener und -bezogener theologischer
wie kirchlicher Rede und zeitloser „Urgeschichte", „zwischen dem
Menschenwort der .kirchlichen Gegenwart' und dem Wort Gottes,
das diesem .immer gerade gegenübersteht"' (25), soll ein „Durchgang
" auf „drei Stufen" vermitteln. Er geht aus von den „unmittelbaren
" biblischen „Zeugen" und führt über die „Zeugen der Zeugen"
in der Geschichte zum „Wort der Stunde" in der Gegenwart der
Kirche (27f). Daß Barth später, im Vorwort zur „Kirchlichen Dogmatik
" 1/1, den Schritt zur „völligen Neubearbeitung der Prolcgomena"
u. a. mit der veränderten „theologischen, kirchliehen und allgemeinen
Lage" begründet, veranlaßt den Vf. zu einer Problemanzeige, die
das Desiderat dieses „Durchgangs" einschließt: „die Zeitlichkeit der
Theologie (gehört) nicht erst in den Bereich der Anwendungen, sondern
schon in den Bereich ihrer Konstitutionsbedingungen" (32).

An dieses Desiderat knüpft das Kapitel „KD 1/1 als Beitrag zum
Problem der Zeit" (33fT) an. Schon die „Unterscheidung" zwischen
der „Zeit Jesu Christi", der „Zeit des Zeugnisses" der „Propheten
und Apostel" und der „Zeit der Kirche", ihrer „durch das biblische
Zeugnis konstituierten und normierten Verkündigung", bewegt sich
„viel stärker in den Dimensionen zeitlicher Vorstellungen" als der
„Durchgang" der Prolcgomena von 1927. Vor allem aber „scheint "
sie nur noch „ein Folgeverhältnis, ein lineares Nacheinander auszudrücken
" (531), tatsächlich haben die „Beziehungen zwischen Verkündigung
, Bibel und Offenbarung, die in der Lehre von der dreifachen
Ciestalt des Wortes Gottes aufgezeigt werden", „mit dem Aufweis
historischer Kontinuität nichts zu tun" (43). Denn: „Hier wird
nicht einfach von etwas Gegebenem her gedacht, sondern das Gegebene
- Bibel, Kirche, Predigt - auf das in ihm Intendierte hin kritisch
befragt." Intendiert ist das „Ereignis der Offenbarung, das Wort
Ciottes selbst". Es ist „von der Art, daß es sich selber setzt" (44). Als
„Ereignis der .Selbstvergegcnständlichung Ciottes'" „steht" es „unter
dem Vorbehalt ,ubi et quando visum est Deo'" (48). Das..(legebene",
die „dreifache Ciestalt des Wortes Gottes" in ihrer zeitlichen Folge, ist
ein „Verweisungszusammenhang" auf eben dieses „Ereignis". Es
selbst „ist uns nur indirekt zugänglich; es reflektiert sich in Erinnerung
und Erwartung, die ihrerseits - als Erinnerung geschehener und
Erwartung verheißener Offenbarung - wieder auf das Gesprochensein
und das erneute Sprechen des Wortes Ciottes selbst verweisen". Tritt
es ein. so in „.kontingentcr Gleichzeitigkeit' des Wortes Gottes mit
den /eilen des biblischen Zeugnisses und der Kirche'", quer zur zeitlichen
f olge des „Verweisungszusammenhangs". Auf dieses unverfügbare
„Ereignis der Offenbarung" „hin" hat der „Dogmatiker"
„sein Denken" „zu orientieren'". Wer Barth „Olfenbarungspositivis-
mus" vorwirft, verkennt diese Ausrichtung (441). Seine Fassung der