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Ausgabe:

1985

Spalte:

830-832

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Ganoczy, Alexandre

Titel/Untertitel:

Herrschaft - Tugend - Vorsehung 1985

Rezensent:

Rogge, Joachim

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Theologische Literaturzeitung 1 10. Jahrgang 1985 Nr. I I

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gespannt. Diese Epoche gehört zu den kirchenhistoriographisch nach
wie vor im Schatten der Forschung liegenden, um nicht zu sagen: zu
den dunklen Epochen. Das vorliegende Buch ist nun von einem
Rechtshistoriker verfaßt-ein Faktum, das die Spannung noch erhöht.
Denn auch und gerade für die Beschreibung dieser Epoche stehen ja
grundsätzliche konzeptionelle Fragen zur Debatte, wobei ohnehin bestimmte
Ereignisse von undiskutiert wirklich epochaler Bedeutung
sind. Zu diesen Ereignissen gehört der Dreißigjährige Krieg. Auch
Heckeis Buch trägt dem Rechnung, indem die knappe Hälfte der Darstellung
(der 5. und 6. Teil) dem großen Krieg und dem Westfälischen
Frieden gewidmet sind. Die vorausgehenden Abschnitte befassen sich
mit Grundfragen des Konfessionellen Zeitalters (1. Teil), Reich und
Religion - der Augsburger Religionsfriedc (2. Teil), dem Ringen um
die Religionsverfassung des Reichs seit 1555 (3. Teil) und der politischen
und religiösen Entwicklung in den Habsburger Landen und im
Reich bis zum Dreißigjährigen Krieg (4. Teil). Den Abschluß (7. Teil)
bildet eine zusammenfassende Sichtung unter der Überschrift „Geistige
Grundlagen und Wandlungen".

Es überrascht nicht, in dem Buch Aspekte wiederzufinden und ausgebaut
, aber auch in weite Relationen gestellt zu sehen, auf die der Vf.
•n vorausliegenden Jahren in teilweise umfangreichen Einzelstudien
hingewiesen hatte. Diese Aspekte - rechts-, kirchenrechts- und ver-
fassungsgeschichtlichc Beobachtungen im Gefolge der Reformation
unter den Bedingungen der Territorialisierung-bestimmen neben der
Konzeption des Buches auch die Darstellung. Das zeigt sich beispielsweise
auch im 4. Teil, in dem die Darstellung der Religionsverhältnisse
in den Jahrzehnten vor dem Dreißigjährigen Krieg sich wie ein
Vorwort zum eigentlichen Inhalt des Kapitels, der Darstellung der
verfassungsgeschichtlichcn Problematik am Vorabend des Krieges,
liest. Insofern - und das ist zu begrüßen - zeigt das Buch die unverwechselbare
Handschrift seines Verfassers. Natürlich stellen sich damit
auch sogleich Fragen: Vielleicht ist die Bemühung um einen ständigen
Rechtsausgleich wirklich das bestimmende (oder ein bestimmendes
) Merkmal dieser Epoche (vgl. S. 1 120-ist sie aber ihre einzig
treibende Kraft, wie es so zwar nirgendwo gesagt ist. wie es aber der
Duktus der Darstellung vermuten läßt? Hcckel selbst weist - und das
wäre ein Signal dafür, daß hier Differenzierungen angebracht sind -
auf das Stichwort der „Vergewisserung" als eines Schlüsselwortes für
die Epoche hin (S. 210).

Wie nehmen sich Kirche und christlicher Glaube in dem historischen
Geflecht aus, das das Buch sichtbar werden läßt? Heckel
schreibt, wie das an vielen Stellen des Buches sichtbar wird (z. B.
S. 149), von deutlich protestantischem Standort aus. Das läßt zwar
die protestantischen Akteure der Epoche nicht in glänzenderem Licht
erscheinen als die römisch-katholischen (die durchaus nicht ungebrochen
positive Beurteilung Gustav Adolfs [S. 154f] zeigt es), läßt aber
die Zwiespältigkeit der Situationen auf, römisch-katholischer Seite
schärfer ins Auge fassen. Die Charakteristik Wallensteins (S. 138f-
übrigens durchaus nicht identisch mit der Skizze auf S. 169!) ist meisterhaft
gelungen. Dem gegenüber erscheint wiederum die Beschreibung
der Situation von Theologie und Kirche dieser Zeit (S. 68) als
seltsam schematisch und düster, wenn man gerade im Sinne des Verfassers
die Bedingungen der Epoche wahrnimmt, die auch Theologie
und Kirche in den Territorialismus eingezwängt sehen läßt. Nachdenklich
macht Heckcls Konfronticrung des „Normaljahrs" 1624 mit
der Reformation: „Das war nun das krude weltliche Ergebnis alles inbrünstigen
wie brutalen Ringens um die christliche Wahrheit und
Einheit in Kirche und Reich, das vor vier Generationen um Ablaß
und Buße, Sakrament und Glaube, Schrift und Tradition begonnen
hatte!" (S. 200) An die von Heckel mit Recht hervorgehobene strukturgebende
Bedeutung des Augsburger Religionsfriedcns von 1555
(vgl. S. 1980 wird man sich nach der Lektüre des Buches immer
wieder erinnern lassen müssen, und den Friedenskongreß von Münster
und Osnabrück vergleicht Hcckel seinen Ausmaßen nach mit
einem Konzil (S. 185).

Wichtig und im Zusammenhang einer solchen Darstellung nicht

selbstverständlich ist der Hinweis auf die inneren Normen der Epoche
(S. 212), die unter dem Eindruck von Willkür und Brutalität oft vergessen
werden. In diesen Kontext gehört auch die Erinnerung an die
immer wieder beobachtete Bedeutung des Neustoizismus für das 16.
und 17. Jahrhundert (S. 231). Auf der anderen Seite ist zu fragen, ob
die Gestalt des öffentlichen Lebens, wie sie S. 215 geschildert wird,
wirklich so neu war. wie sie bei Heckel erscheint. Und wird sich bei genauem
Zusehen halten lassen, was im selben Zusammenhang gesagt
ist: „Im Alltag wichen Lebenslust und Überschwang weithin gemessener
Förmlichkeit und Künstlichkeit"? Eine Einzelheit: Die geistliche
Kantate gehört wohl noch nicht in die Zeit vor 1650 (S. 224).

Das Buch ist drucktechnisch sorgfältig gestaltet und enthält, der Anlage
der Reihe entsprechend, der es zugehört, ausführliche bibliographische
Hinweise sowie eine Zeittafel und Register. Als einziger etwas
verführerischer Druckfehler ist mir S. 243 Z. 5-4 v. u. aufgefallen, wo
es wohl heißen muß: „Freiheitsverbürgung".

Insgesamt ist diese Darstellung des konfessionellen Zeitalters aus
dem Blickwinkel des Rechtshistorikersein großer Gewinn, wenn man
sie nicht dadurch überfordert, daß man von ihr eine wirkliche Gesamtschau
der Epoche erwartet. Gerade für den Kirchenhistoriker
kann dieser spezielle Blickwinkel nützlich und fruchtbar werden, weil
er in der Regel nicht im Mittelpunkt seiner Betrachtung steht.

Leipzig Ernst Koch

Vinay, Valdo: La riforma protestante. Scconda edizione riveduta e ac-
cresciuta. Brescia: Paidcia Editrice 1982. 542 S. 8' = Biblioteca di
Cultura Religiosa,20. Kart. Lire 30.000.

Das ist die 2. erweiterte Ausgabe der umfassenden Übersicht aller
europäischen Auswirkungen der Reformation. Die erste Ausgabe von
1970 wurde in der ThLZ 97, 1972, 686-687 besprochen. Der Verfasser
, emeritierter Professor der Kirchengeschichte an der römischen
theologischen Waldenserfakultät, fügte der Neubearbeitung seines
vorbildlichen Kompendiums ein neues einleitendes Kapitel bei, das
die neuere Literatur zum Reformationszeitalter überblickt und
wertet. Neben Gesamtdarstellungen werden hier Spezialstudien der
letzten Jahrzehnte zu Luther, Bucer, Zwingli, Calvin, den Täufern
und der Reformation in Italien herangezogen und auf die marxistische
Forschung besonders zu Müntzer und den Bauernkrieg aufmerksam
gemacht. Die eigentliche Darstellung wurde vielerorts erweitert,
meistens dort, wo es vom Verfasser für die heutige ökumenische
Diskussion hilfreich erschien. So wurden z. B. die Inhaltsangaben
der Werke Luthers Von den guten Werken und die Auslegung des
Magnificats reichlicher gestaltet (S. 99-100), Luthers Stellung dem
Mönchtum gegenüber präzisiert (111-112) und ein Exkurs über das
pecca fortiter eingeschaltet (S. 116). Neu ist Müntzer (117-122), der
Abendmahlstreit (137-139) und die ekklcsiologischen Aspekte der reformatorischen
Lehre und Praxis (146-149) behandelt worden. Bei
Zwingli wird seine Auflassung der politischen Verantwortung deutlicher
gemacht (187), bei Calvin die Universalität der Kirche (S. 246)
und seine Deutung der geistlichen Kommunion (248) betont. Neue
Erkenntnisse profilieren etwas besser die Waldensersynode von Chan-
foran (387). Die Bibliographie umfaßt nicht weniger als 74 Seiten
(437-521).

I'rug Amedeo Molnär

Ganoczy, Alexandre, u. Stefan Scheid: Herrschaft - Tugend - Vorsehung
. Hermcncutische Deutung und Veröffentlichung handschriftlicher
Annotationen Calvins. Zu sieben Senecatragödien und
der Pharsalia Lucans. Wiesbaden: Steiner 1982. IX. 151 S. gr. 8" =
Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte
Mainz, 105. Abt. für abendländische Religionsgeschichte. Lw.
DM 45.-.

Genfs Reformator Johannes Calvin hatte und behielt seihe humanistischen
Traditionen. Hier ist in der Forschung häutig mehr behauptet