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Ausgabe:

1985

Spalte:

826-828

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Arnold, Klaus

Titel/Untertitel:

Niklashausen 1476 1985

Rezensent:

Bräuer, Siegfried

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Theologische Literaturzeitung I 10. Jahrgang 1985 Nr. 1 1

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Sache - bei B. zunächst und dann bei B.s Denken? Zwei Punkte erscheinen
an diesem Werk besonders problematisch: die Auswahl, Anordnung
und Akzentuierung des Stoffes und die Heranziehung anderer
Autoren.

Sicherlich sind die vier Hauptteile wesentlichen Aspekten von B.s
Existenz und Wirksamkeit gewidmet. Aber darf man diese einfach
nebeneinanderstellen, ohne ihren inneren Zusammenhang zu klären?
Ein Blick auf die Überschriften könnte vielleicht ein gewisses Fortschreiten
vom engeren Lebenskreis des klösterlichen Daseins über die
sprachlich-literarische Gestalt des Werks und die theologische Reflexion
bis hin zur Kirchen pol itik vermuten lassen; doch die innere Gliederung
bestätigt diesen Gedanken nicht. Ausführungen, die sachlich
zusammengehören, finden sich über die ganze Darstellung verstreut.
So kommen Fragen der Logik immer wieder zur Sprache (11,1,11-
".2-11,3,11-111 passim). B.s Wirken für den 2. Kreuzzug ist im ersten,
aber auch - zusammen mit anderen kirchcnpolitischcn Aktivitäten -
im letzten Kapitel behandelt. Ausführungen zur Ordensgeschichte,
die weit vom Thema wegführen, sind an verschiedenen Stellen eingefügt
(Anfänge von Citeaux 1,1 - von Clairvaux 11.4,1); der Anhang über
Petrus Vcnerabilis trägt überhaupt nichts zum Thema aus. Befremdlich
ist der Umgang der Vfn. mit der Rolle der „Mystik" in B.s Werk.
E>er Begriff tut nichts zur Sache; aber die überaus wichtige Sache erscheint
in diesem Buch nuram Rande; bei der Behandlung der Hohe-
i'^lauslegungUlAVI-VIIJund im Kapitel über B.s Kirchenverständnis
und Kirchenpolitik (IV.III) - offenbar nicht aus inneren Gründen,
sondern weil die besprochenen Schriften dazu hinführen. Ebensosehr
befremdet die Vernachlässigung der Christologie, die man unter den
Themen von B.s Predigt und Theologie vergeblich sucht; Christus
kommt nur beiläufig in anderen Zusammenhängen vor (so in der Ek-
klesiologie IV,I). Über die zentrale Bedeutung dieses Themas für B.s
religiöses Erleben wie für seine theologische Reflexion weiß die Vfn.
nichts zu sagen. Bezeichnenderweise erwähnt sie auch nicht die vorzügliche
Untersuchung von A. Altermatt, Christus pro nobis, Anaice-

Cisterciensia 33 (1977) 3-176, wie ihre Kenntnis der deutschsprachigen
Literatur überhaupt recht begrenzt zu sein scheint.

Am wenigsten befriedigen kann freilich die Darstellung von B.s
Theologie im ganzen, der man in einem Buch über "the workingof his
mind" mit besonderen Erwartungen entgegensieht. Einzelnes davon
wird schon bei der Charakterisierung B.s als Prediger berührt, aber
eben nur berührt. Wer nun vom folgenden Kapitel neue Aufschlüsse
über sein theologisches Denken im ganzen erwartet, kommt nicht auf
seine Rechnung. Hier ist B. in konventioneller Weise lediglich als
Kontroverstheologe, als Gegenspieler Abaelards und Gilberts, gezeichnet
. Ein Fortschritt gegenüber dem landläufigen Verständnis soll
allerdings nicht verschwiegen werden: Die Vfn. zeigt (wozu schon
Kap. II einige Vorarbeit geleistet hatte), daß B. ein wohlinformicrtcr,
durchaus ebenbürtiger Gesprächspartner und Gegner der beiden
scholastischen Theologen war. Sie geht jedoch nur mit den Kategorien
der Schultheologie an ihn heran und kann deshalb den größeren Teil
seiner theologischen Leistung nicht erfassen: die Reflexionen, die hinter
seinen Predigten stehen. Damit fällt sie aber mit ihrer Auffassung
hinter Gilson und Leclercq zurück. Wedergeht sie auf B.s von Gilson
so erhellend dargestellte Systematik der Mystik ein, noch nimmt sie
die von ihm angeregte und von Leclercq fortgeführte Betrachtung des
nionastischen Charakters seiner Theologie auf. Hatte die ausführliche
Schilderung von B.s Mönchtum (I) zunächst Hoffnung auf eine derartige
Betrachtung gemacht und war diese Hoffnung durch eine Bemerkung
über den Hörerkreis der Predigten (S. 80) genährt worden, so
wird sie im Kapitel über B.s Theologie enttäuscht. Auf die Bedeutung
typisch monastischer Lebenssituationen (wie etwa der Anfechtung)
für B.s Denken geht die Vfn. ebensowenig ein wie auf die zentrale Kategorie
, die zwischen Leben und Reflexion vermittelt: die Erfahrung.
Damit fehlen wesentliche Gesichtspunkte für ein angemessenes Verständnis
von B.s theologischer Arbeit.

Aber noch ein zweiter Punkt fordert Kritik heraus. Evans zieht
neben B. sehr reichlich auch andere Autoren heran. Das ist grundsätzlich
zu begrüßen, wenn das fremde Material angemessen eingesetzt
wird. Richtig wäre es, solche Aussagen zu verwenden, die den geschichtlichen
Hintergrund B.s verständlich machen und die Art seines
Denkens deutlicher erkennen lassen. Für den ersten Zweck wäre die
patristische und ganz allgemein die monastische Tradition auszuwerten
, für den zweiten die zeitgenössische scholastische Theologie. Die
Vfn. tut beides nur in begrenztem Umfang und vor allem nicht gezielt,
weil sie ja den eigentümlich nionastischen Charakter von B.s Theologie
nicht im Auge hat. Die Autoren, die sie zum Vergleich oder zur Ergänzung
heranzieht, scheinen zudem oft nicht aus sachlichen Gründen
gewählt, sondern weil die Vfn. sie gerade zur Hand hat. Das gilt
v. a. von Anselm von Canterbury, dessen Verhältnis zu B. in der Tat
eine Untersuchung verdiente, den die Vfn. aber immer wieder als
Lückenbüßer benützt. In Kap. II zeichnet sie den Bildungshintergrund
B.s in dem ihm eigentlich fremden Schema des Triviums. Anstatt
aber nun durch Aussagen B.s zu belegen, daß er in dieser Bildungstradition
steht, zieht sie für die Grammatik v. a. Guibert von
Nogent und für die Logik v. a. Anselm von Canterbury heran und
überläßt nur bei der Rhetorik B. das Wort. Die Abschnitte des Kap. II
über Mystik (I1,4,VI-VU), worüber B. ja wahrlich einiges gesagt hat,
bestreitet sie weitgehend aus Wilhelm von St. Thierry, während zentrale
Ausführungen B.s zu diesem Thema überhaupt nicht erwähnt
werden.

Die Einzelheiten ließen sich häufen: aber die angeführten Beispiele
mögen genügen. Das Buch ist eine sehr reichhaltige, doch nach vorwiegend
äußerlichen Gesichtspunkten strukturierte Sammlung gelehrter
und interessanter Beobachtungen, Paraphrasen und Interpretationen
zu B. und Autoren seiner weiteren Umgebung. Es arbeitet
einzelne Züge seiner Persönlichkeit und seines Werks heraus; aber
eine das Wesentliche erfassende Einführung in seine Theologie oder
gar in sein Denken bietet es nicht.

München Ulrich Köpf

Arnold, Klaus: Nikiashausen 1476. Quellen und Untersuchungen zur
sozialreligiöscn Bewegung des Hans Behem und zur Agrarstruktur
eines spätmittelalterlichcn Dorfes. Baden-Baden: Koerner 1980.
IX,385 S.gr. 8° = SaeculaSpiritalia, 3.

Die Ereignisse um den Hirten und Musikanten Hans Behem im
Jahre 1476 im Taubertal haben nicht nur die Zeitgenossen beschäftigt
. Mit der Edition der wichtigsten Quellen im 19. Jahrhundert und
dem Interesse an revolutionären Bewegungen in den letzten Jahrzehnten
schwoll die Zahl der Titel überden „Pfeifer von Nikiashausen" erheblich
an. Auch die Dichtung bemächtigte sich dieses Titels in stärkerem
Maße als früher. Dennoch blieben viele Fragen offen. Es existierte
keine zusammenfassende neuere Quellenedition. Vor allem
war bislang der Resonanzboden für die Predigten Behems unbekannt,
wofür „eine genauere Kenntnis der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse
in den Dörfern der näheren Umgebung erforderlich" wäre
(S. Hoyer: Neues zum Pfeifer von Nikiashausen. Jb. f. Geschichte des
Feudalismus 3, 1979, 212). Beides, die Qucllenpublikation und die
Untersuchung der Agrarstruktur von Nikiashausen sowie die umfassende
Darstellung der Niklashäuser Fahrt 1476 liegt mit der Würzburger
Habilitationsschrift von Klaus Arnold jetzt vor.

Arnold setzt ein mit einer kritischen Übersicht über Quellen und
Literatur (1-36). Ausführlich wird u.a. der Titelholzschnitt des
Nürnberger Lieddruckes um 1490 „Die nicklashausser fahrt" als „eigenständige
Quelle" behandelt (7-10). Da ikonographische Gesichtspunkte
dabei nicht in Ansatz gebracht werden, haben die Erwägungen
im Anschluß an H. Strohbach (Holzschnitt als demokratische Alternative
zum Text des Gedichts) nur hypothetischen Wert. Hatte der
Holzschneider wirklich „Ortskenntnis"? Die erstaunlich freizügige
Verwendung von Holzschnitten für Flugschriftentitel sollte vor weitgehenden
Bilddeutungen warnen. Der zeitgenössische Eichstätter Bericht
aus dem Nachlaß Konrad Peutingers, in dem auch der „Pfeifer"
erwähnt wird, deutet an, daß viele Einzelheiten der Ereignisse von