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Ausgabe:

1985

Spalte:

823-824

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Classen, Peter

Titel/Untertitel:

Studium und Gesellschaft im Mittelalter 1985

Rezensent:

Haendler, Gert

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 110. Jahrgang 1985 Nr. 11

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Quantifizierung des Materials" ist nicht möglich: ..Das Gros der
karthagischen Christen bleibt sozialgeschichtlich im Dunkeln." Zur
Frage seines Themas behauptet der Autor: „Um 200 n. Chr. ist die
karthagische Gemeinde keine „ecclesia sordida" (268). Im Titel
seines Buches aber setzte der Autor mit gutem Grund das Fragezeichen
. Er sagt selbst, daß „sich die Sozialstruktur der karthagischen
Gemeinden zur Zeit Tertullians nicht sicher bestimmen" läßt (268).
Dem Band sind Exkurse angehängt: 1) Sind die „simplices" u. ä. eine
sozialgeschichtlich umgrenzbare Gruppe in der karthagischen
Gemeinde? Zugleich ein Exkurs über den theologischen Bildungsstand
der Gemeinde. 2) Der Einfluß der theologischen Bewertung des
Reichtums auf die Sozialstruktur der karthagischen Gemeinde. 3) Der
Umfang der karthagischen Gemeinde zur Zeit Tertullians. 4) Die Gelder
der karthagischen Gemeinde. Das Buch bietet mit seinen Einzeluntersuchungen
viele interessante Hinweise. Das bisherige Gesamtbild
aber wird dadurch nicht grundlegend verändert, so daß der Aufwand
doch wohl größer ist als das Ergebnis.

Rostock Gert Haendler

Kirchengeschichte: Mittelalter

Classen, Peter: Studium und Gesellschaft im Mittelalter. Hrsg. von
Johannes Fried. Stuttgart: Hiersemann 1983. XX, 305 S. gr. 8* =
Schriften der Monumenta Germaniae Historica, 29. Lw.
DM 98,-.

Der Heidelberger Historiker Peter Classen war im Alter von 56 Jahren
am 23. 12. 1980 verstorben. Seine Arbeiten zur Geschichte des
Mittelalters sind weithin anerkannt. Sein Interesse hatte sich in den
letzten Jahren immer stärker der Geistes- und Wissenschaftsgeschichte
zugewendet. Sein Ziel war eine Zusammenfassung dieser Forschungen
zu einem Buch „Studium und Gesellschaft,im Mittelalter".
Seine umfangreichen Vorbereitungen dazu hat nun sein Schüler Johannes
Fried gesichtet, durchgearbeitet und zum Teil auch ergänzt.
Schon erschienene Aufsätze werden erneut abgedruckt, aber dazu
werden Einschübe und Korrekturen gebracht, die sich in den Arbeitspapieren
von Classen fanden. Überwiegend handelt es sich jedoch um
Studien, die erstmals veröffentlicht werden. Auch hier gibt es Einschübe
, die der Herausgeber gekennzeichnet hat; sie beruhen auf Anhaltspunkten
in Classens Unterlagen oder sie sind als Zusätze des Herausgebers
deutlich gemacht. Stärkere Eingriffe hat der Herausgeber
bei den Abschnitten über die Pisaner (11,4) und die englischen Juristen
(V) vorgenommen. Classen selbst hatte umfangreiche Archivstudien
u. a. in Rom, Mailand, Genua und Pisa getrieben. Das Buch ist in folgende
Kapitel gegliedert: [. Die hohen Schulen und die Gesellschaft
im 12. Jahrhundert; II. Richterstand und Rechtswissenschaft in italienischen
Kommunen des 12. Jahrhunderts; III. Rom und Paris: Kurie
und Universität im 12. und 13. Jahrhundert; IV. Die ältesten Universitätsreformen
und Universitätsgründungen des Mittelalters; V. Die
königlichen Richter des Common Law: Rechtswissenschaft und
Rechtsstudium ohne Universität; VI. Libertas scolastica - Scholarenprivilegien
- Akademische Freiheit im Mittelalter; VII. Zur Bedeutung
der mittelalterlichen Universitäten.

Das Buch führt mehrfach über das Mittelalter hinaus. Im Zusammenhang
mit der libertas scolastica gibt Classen einen längeren Exkurs
über Luthers Auftreten 1517-1521. Außer Wittenberg wurden
auch die Universitäten Leipzig, Mainz und Erfurt in den Streit hineingezogen
. Das geschah ganz gegen ihren Willen, sie ..scheuten sich sehr
weitgehend, Stellung zu nehmen" (281). Dagegen haben Löwen und
Köln „ungefragt ein schroff antilutherisches Urteil abgegeben"
(282). Im Zusammenhang mit der Akademischen Freiheit werden
auch gegensätzliche Meinungen von Fichte und Schleiermacher aus
den Jahren 1811 bzw. 1808 zitiert (238-241). Am Schluß des Kapitels
IV formulierte Classen: „Jede historische Epoche hat ihrgeistiges.

soziales und politisches Gesicht auch in den Hochschulen ausgedrückt
. . . Das protestantische Marburg Philipps von Hessen, das
neustoische Leyden in den freien Niederlanden, das aufgeklärte Göttingen
im absolutistischen Hannover, das neuhumanistisch-bürgerliche
Berlin im reformerischen Preußen - sie alle markieren wesentliche
Stadien deutscher und europäischer Geschichte, und gewiß nicht
nur der Wissenschafts- und Geistesgeschichte, sondern ebenso der
politischen und Sozialgeschichte, und mit allen genannten Gründungen
neuer Universitäten gehen Reformen und Reformprogramme der
alten einher" (195/196). Das umfangreiche Personen- und Ortsverzeichnis
unterstreicht noch die anregende Vielfalt des Bandes.

Rostock Gert Haendler

Evans, G. R.: The Mind of St. Bernhard of Clairvaux. Oxford: Clarendon
Press 1983. XV, 239 S. 8'. Lw. £ 16.50.

Die Forschung der letzten fünfzig Jahre - ich erwähne nur E. Gil-
sons grundlegende Monographie von 1934, den Sammelband „Saint
Bernard theologien" zum Jubiläumsjahr 1953 (ASOC 9, fasc. 3-4)
und die zahlreichen Untersuchungen J. Leclercqs - hat gezeigt, daß
Bernhard von Clairvaux mehr ist als eine herausragende Gestalt der
allgemeinen Kirchengeschichte. Seine Zuordnung zur Frömmigkeitsgeschichte
durch A. Ritsehl, die von der klassischen evangelischen
Dogmengeschichtsschrcibung übernommen wurde, hat sich als
höchst einseitig erwiesen. Trotzdem ist die Einsicht, daß B. auch als
Theologe ernst genommen werden muß, bisher nur vereinzelt in das
allgemeine Bewußtsein, in Hand- und Lehrbücher eingedrungen. Man
greift deshalb mit besonderem Interesse zu einer umfassend konzipierten
Darstellung, die nach Auskunft des Vorworts nicht nur die Tätigkeit
und die Spiritualität des Mannes behandeln will, sondern vor
allem seine intellektuelle Seite, "the workingofhis mind".

Das Buch stellt in vier Hauptteilen vier Aspekte von B.s Leben und
Wirken dar: I („Der Soldat Christi") hat seine Existenz als Mönch
zu^n Gegenstand, die insbesondere im Blick auf die Gegensätze zwischen
Citeaux und Cluny und zwischen dem Leben nach der Regel
Benedikts und jenem nach der Augustincrregel beschrieben wird, sowie
seine Haltung gegenüber dem religiös motivierten Krieg, u. a. auf
Grund seiner Schrift für die Templer. - II, der bei weitem umfangreichste
Teil, handelt von ,,B. als Prediger". Hier geht die Vfn. zunächst
auf seine Bildung und die Entstehung seiner Schriften ein. Sie
bestimmt dann anhand seiner Sententiae seine Art zu sprechen und
charakterisiert anschließend - unter den Stich Worten: lectio. disputa-
tio und praedicatio - seine Predigtweise. Endlich untersucht sie zwei
thematisch wichtige Komplexe seiner Sermones: die Hoheliedauslegung
und die Marienpredigten. - III ist B. als Theologen gewidmet:
i. w. seiner Auseinandersetzung mit Abaelard und Gilbert von Poi-
tiers. - IV geht unter dem Titel der Schrift „De consideratione" vor
allem auf B.s Kirchenverständnis und kirchenpolitisches Wirken ein.
mündet aber in einen Abschnitt über „Glauben und Gewißheit" aus.
der an die in De cons. V erörterten Fragen der Gotteserkenntnis
anknüpft. - Die vier Hauptteile sind von einer Zeittafel 1090-1 153
und einem Anhang über die missionarischen Bemühungen des Abtes
Petrus Venerabiiis von Cluny umrahmt.

Die kurze Übersicht konnte nur einen unvollständigen Eindruck
von dem reichen und vielseitigen Inhalt des Buches geben. Fast alle
bedeutenden Situationep von B.s Leben, alle wichtigen Werke und
alle Hauptthemen seines Denkens werden in irgendeiner Weise
wenigstens berührt. Dabei beschränkt sich die Vfn. nicht auf B.. sondern
zieht zum Vergleich und zur Ergänzung verschiedene Autoren
des 11. und 12. Jh. heran - besonders extensiv Anselm von Canter-
bury, über den sie mehrere Untersuchungen veröffentlicht hat. So vermittelt
das Buch auch dem Leser manche Belehrung, der B. bereits
einigermaßen kennt.

Freilich fragt man sich bei der Lektüre immer wieder: Worüber will
die Vfn. eigentlich belehren? Wie weit bleibt sie überhaupt bei der