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Ausgabe:

1985

Spalte:

812-813

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Camponovo, Odo

Titel/Untertitel:

Koenigtum, Koenigsherrschaft und Reich Gottes in den fruehjuedischen Schriften 1985

Rezensent:

Delling, Gerhard

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Theologische Literaturzeitung 1 10. Jahrgang 1985 Nr. 1 1

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ges Erbe des hellenistischen Judentums werden dagegen kaum sichtbar
.

Für die den Leser vor allem interessierende Geschichte des Judentums
von der Spätantike bis in die Neuzeit schöpft der Vf. aus wissenschaftlicher
und populärwissenschaftlicher Literatur, Anthologien
und Dokumentensammlungen. In die den meisten Christen unvertraute
Welt der Juden im Mittelalter unter islamischer und christlicher
Herrschaft erhält man eine gute Einführung, man lernt Gestalten
wie Maimonides und den Talmudkommentator Raschi kennen.
Wurzeln und Ausbreitung der beiden Zweige des Judentums, des
aschkenasischen und des sephardischen, werden nicht wirklich klar.
Auch führt die querschnittartige Darbietung gelegentlich zu schwer
nachvollziehbaren Sprüngen. So befindet man sich S. 91 im 18. Jahrhundert
, während S. 93 wieder bei den Karäern des 8. Jahrhunderts
einsetzt. Der Vf. hat sich dafür entschieden, auf die jüdische Geschichte
im Zeitalter von Renaissance und Reformation und im modernen
Westeuropa weitgehend zu verzichten, dagegen Sabbatianismus,
Chassidismus und Haskala ausführlicher zu behandeln. Gegen den
Schlußteil des Buches erheben sich ähnliche Einwände wie gegen die
einleitenden Kapitel. Über die Ausrottungspolitik des NS-Staates und
auch über den modernen Zionismus gibt es inzwischen so viele gut
informierende Darstellungen, daß eine gedrängtere Schilderung möglich
gewesen wäre. Der so eingesparte Raum hätte der Behandlung
jener Perioden jüdischer Geschichte zugute kommen sollen, deren
Kenntnis auch bei interessierten Nichtjuden noch immer bruchstückhaft
ist.

R. Gradwohls Werk über „Grundgesetze des Judentums" ist in ganz
anderem Maße aus den Quellen, d. h. aus den Grundbüchern jüdischer
Tradition geschöpft. Der Vf. ist in der Welt der Halacha, bei
Maimonides und den mittelalterlichen Kommentatoren zu Hause.
Seine Darstellung setzt zwar mit dem Sch'ma und den 13 Grundlehren
des Rambam an, hat ihr Schwergewicht jedoch im Bereich des
sozialen Ethos. Wir haben es mit einem Versuch zu tun, wie er in der
Tradition des Reformjudentums seit Moses Mendelsohn immer wieder
unternommen wurde. Das Judentum soll als eine Religion dargestellt
werden, der Dogmen fremd sind, die aber von einer umfassenden
Lebensordnung getragen ist, deren Vorschriften, auch wo sie fremdartig
erscheinen, auf einen ethischen und sozialen Sinn zurückgeführt
werden können. Attraktive Überschriften für 32 meist kurze Kapitel
und ein praktisch-paränetischer Stil der Darbietung lassen den versierten
Apologeten erkennen, der auch für moderne Probleme aus der
alttestamentlich-jüdischen Tradition musterhafte Antworten zu erheben
vermag. Tierschutz (109-112) und Unfallverhütung (136-138),
Zivildienst (121-123) und Umwelt (113-116), Entwicklungshilfe
(1050 und Geburtenregelung (53)- kaum ein wichtiger aktueller Fragenkreis
bleibt unberücksichtigt. Natürlich werden auch Sabbat
(39-48), Tefillingebot (34-38) und Beschneidung (55-59) als Merkmale
jüdischer Existenz mit zeichenhafter Bedeutung den Lesern
nahegebracht.

Wenigstens ein Exempel wird aus der Vielzahl der seit Ende des
Tempelkults obsoleten Vorschriften ausgewählt: die Asche der roten
Kuh (139-143). Die Auslegung läßt freilich nicht hinreichend erkennen
, wie groß die Zahl jener Mizwot ist, die nur noch theoretischen
Charakter haben oder von einer kleinen Minderheit praktiziert werden
. Da es darum geht, das Judentum als Religion der Tat aufzuweisen
, treten die liturgischen jüdischen Gebete kaum, Gottesdienst und
Festjahr überhaupt nicht in Erscheinung. Insofern steht dieses Werk
in eindrucksvollem Kontrast zu den viel beachteten Versuchen, über
eine „Theologie des Siddur" (und der Machsorim) Zugang zu jüdischer
Spiritualität zu gewinnen. Der ganz auf die Bewährung der
Religion im sozialen Alltag ausgerichteten Darstellung wird es gewiß
gelingen, Vorurteile abzubauen und das Judentum als Lebensordnung
besser verstehen zu helfen.

Beide Autoren verbindet das Bewußtsein, daß es über den gegenseitigen
Respekt hinaus des Wissens voneinander bedarf, wenn der
christlich-jüdische Dialog unserer Tage gelingen soll. Ihren Versuch,

Grundzüge jüdischer Geschichte und jüdischen Lebens heutigen
Lesern zu vermitteln, sollte man von da aus verstehen.

Leipzig- Halle (Saale) Wolfgang Wiefel

Camponovo, Odo: Königtum, Königsherrschaft und Reich Gottes in
den frühjüdischen Schriften. Fribourg: Universitätsverlag; Göttingen
: Vandenhoeck & Ruprecht 1984. XIV, 492 S. gr. 8" = Orbis
Biblicus et Orientalis, 58. Lw. sfr 98,-.

C.s leicht überarbeitete theologische Diss. (Freiburg i. Br. 1983)
führt zu dem Ergebnis (Kap. 14 „Versuch einer Bilanz", S. 437-446):
„Das Thema der Königsherrschaft Gottes ist kein Hauptthema der
frühjüdischen Literatur" (Überschr. 14.1). Dort ist „Königsherrschaft
Gottes als Symbol, nicht als genau definierter Begriff'
(Überschr. 14.2) zu fassen, als „Symbol für den Heilswillen Gottes"
(S. 438). Die frühjüdische Literatur arbeitet bei der Verwendung des
Ausdrucks mit „.Zitaten", Anspielungen, Wiederaufnahmen und
Neuinterpretationen". Eben das „will der BegriIT,Symbol' charakterisieren
" (S. 439)'. Bei C. selbst spielt das Wort jedoch erst in späteren
Kap. eine bestimmte Rolle (dafür etwa „Schlüsselwort" S. 21 7).

Nach umfänglichen „Prolegomena" (Teil 1, S. 1-127: Kap. 1
„Einführung", 2 „Übersicht über die Forschungsgeschichte"
S. 11-71, 3 „Gottes Königtum im Alten Testament" S. 72-127) setzt
C. mit den vormakkabäischen Zeugnissen ein. Tob und Sir; hier begegnet
„Gott als König in Gebeten" (Überschr. Kap. 4). Kap. 5 gilt
der „Renaissapce der Hoffnung auf Gottes königliches Handeln zur
Zeit der Religionswirren in chassidischen Kreisen" (S. 142-175) speziell
in test Mos. Aus Jdt, add Est, add Dan, 2Makk, 3Esr ergibt sich:
„Gott, der König, erweist sich als Retter" (Überschr. 6.6); 3Makk belegt
, „daß Gott der wirkliche König ist" (S. 199). „Das Weiterwirken
der Hoffnung auf die Offenbarung der Herrschaft Gottes bei den Pharisäern
" (Überschr. Kap. 7) wird insbesondere aus PsSal 1 f, 5, 17
deutlich. Sie wird kund in der Messiasherrschaft (Überschr. 7.1.7).

Für die „Schriften derQumransekte, ihrer Vorgänger und verwandten
(sie) Gruppen" (Kap. 8) ergibt sich als „Fazit aus den Qumran-
schriften: Die praktische Bedeutungslosigkeit des Themas der Königsherrschaft
Gottes in Qumran"2. Entsprechendes gilt für Jub, s. 8.1.5;
lHen, s. 8.2.6. Gleichwohl werden auch in Kap. 8 die Stellen
einzeln vorgeführt, an denen von dem Einen als König bzw. von seinem
Königtum usw. die Rede ist, wie sonst in C.s Arbeit.

Unter der Überschrift „Gotfals König und die Hoffnung auf sein
königliches Handeln in der jüdisch-hellenistischen Literatur" (Teil 4)
geht es um OrSib 3 (S. 332-356) und SapSal (S. 357-376). „Das
Thema vom Königtum Gottes spielt in den Schriften der Diaspora
eine noch geringere Rolle als in den palästinischen". (S. 332) Immerhin
ist OrSib 3 „eine der wenigen Schriften . . ., welche die Themen
Eschatologie und Monotheismus wesentlich unter dem Gesichtspunkt
des Königtums Gottes und seines Reiches behandelt (sie) und
welche die Heilszeit als Reich Gottes beschreibt" (S. 352). „Das Reich
Gottes ist ein wirkliches Reich auf Erden, das die anderen Reiche ablöst
. Sein Zentrum ist Jerusalem". (S. 351)3 Entsprechend ist das
„Ergebnis zu Test XII: Das neue Jerusalem als Heilsort"
(Überschr. 9.6). Insgesamt (S. 308-331) ist Test XII „ein schwer faßbares
Werk" (Überschr. Kap. 9), wie C. ausführlich zeigt.

Teil 5 beschäftigt sich mit LXX (S. 377-400) und Targumen
(S. 401-436) in ihren Besonderheiten gegenüber dem masoretischen
Text. Für LXX geht es zumal um die Wiedergabe der .Tempora'; es
besteht eine „gewisse Tendenz zu futurischer Wiedergabe", in der
Richtung der eschatologischen Königsherrschaft Gottes (S. 3980- In
den Targumen zum Pentateuch ist malkut „wie ,Name', .Kraft' Bezeichnung
eines Wirkungs- und Wesensbereiches Gottes: Seines Königseins
und königlichen Handelns, welches nicht mehr unbekümmert
mit dem Verb mlk beschrieben wird" (S. 411). Im Prophetentar-
gum Jonathan (S. 417-432) bedeutet die formelhafte Wendung .offenbaren
wird sich die Königsherrschaft Gottes': „Am Ende der Tage