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Ausgabe:

1985

Spalte:

807-809

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Preuß, Horst Dietrich

Titel/Untertitel:

Das Alte Testament in christlicher Predigt 1985

Rezensent:

Meinhold, Arndt

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807

Theologische Literaturzeitung I 10. Jahrgang 1985 Nr. 11

808

Preuß, Horst-Dietrich: Das Alte Testament in christlicher Predigt.

Stuttgart-Berlin-Köln-Mainz: Kohlhammer 1984. 228 S. gr. 8°.
Kart. DM 39.80.

Ein Buch mit einem so vielversprechenden Titel erweckt Erwartungen
und kann auf großes Interesse rechnen. Als unmittelbare Zielgruppe
hat es Theologiestudenten und Pfarrer im Blick (7), und diese
beiden Gruppen werden auch den meisten Gewinn darausziehen.

Der hohe Vorzug dieses Buches besteht in seiner Verbindung von
Hermeneutik und Homiletik des AT. Nicht nur das Verstehen des
AT, sondern auch die Predigt atl. Texte sollen befördert werden. Dieser
praxisorientierte Ansatz, der programmatisch formuliert (8) und
bis zu einer Predigtlehre in nuce (165-190) und konkreten, eigenen
Beispielen (190-222) durchgeführt wird, kann letztlich nur begrüßt
werden. Vf., der Professor für AT an der lutherischen Augustana-
Hochschule in Neuendettelsau ist, berührt bei diesem weitgespannten
und wichtigen Vorhaben auch Gebiete, aufdenen er- wie eingeräumt
wird - „nicht voller Fachmann ist" (8). Ein wirkliches opus alienum
wird damit aber nicht betrieben, denn auch der Alttestamentier hat
gesamttheologisch und d. h. „disziplinen-übergreifend zu denken"
(ebd.).

Nach einer Hinführung (7-9) werden drei materialreiche Hauptteile
behandelt: l. Grundlagen alttestamentlicher Hermeneutik
(10-60), H. Modelle christlicher Hermeneutik des Alten Testaments
(61-164) und III. Das Alte Testament in heutiger christlicher Predigt
(165-222). Sie sind in vierzehn durchgezählte Paragraphen gegliedert,
denen jeweils (§§ 1-1 1) bzw. zusammen (§§ 12f) ausgewählte Literatur
vorangestellt ist.

Die Grundlegung widmet sich zuerst Problemen des Kanons (§ I),
danach dem Verhältnis beider Testamente zueinander (ij 2). Schließlich
rundet eine eindrucksvolle Denkbewegung vom Text über die
Exegese zur Hermeneutik (§ 3) die Grundlegung ab, wobei die drei genannten
Größen im vorgegebenen Rahmen einzeln und in ihrem Zusammenhang
bestimmt und als notwendige Voraussetzung für die
Predigt erwiesen werden. Ziel der in diesem Zusammenhang ,,zu bedenkenden
Exegese ist die Predigt dieses Textes (. . .). die Predigt als
neue Ausführung des Text willens . . ."(47).

Im zweiten und umfangreichsten Teil wird die eigene hermeneu-
tische Position, die Strukturanalogie (§ 10), in kritischer wie konstruktiver
Auseinandersetzung mit anderen Modellen christlicher Hermeneutik
des AT, nämlich Verheißung und Erfüllung (§4), Antithese
(§ 5), Christologische Auslegung (§ 6), Theokratische Auslegung (§ 7),
Universalgeschichtliche Auslegung (§8) und Typologie (§ 9), herausgearbeitet
. Vor dem dritten Teil, der sich vor allem den praktischen
und dh. homiletischen Problemen zuwendet (§§ 12-14), wird zur jüdischen
und christlichen Auslegung des AT Stellung genommen
(§11).

Die Berücksichtigung jüdischer Auslegung der hebräischen (und
aramäischen) Bücher der Bibel sowie der jüdischen Predigt ist sehr zu
unterstreichen. Eine Reihe elementarer Sachverhalte und Problemkreise
werden überblickartig dargelegt. Für eine christliche Leserschaft
sind sie lehrreich und nützlich; hier können sie im einzelnen
nicht diskutiert werden. Wie soll man aber nun die Darstellung jüdischer
Auslegung innerhalb der „Modelle christlicher Hermeneutik
des Alten Testaments" verstehen? Als Vereinnahmung und Bestreitung
? Oder nur als Kontrast? Oder gar als Anreiz (162)? Die in diesem
Zusammenhang entscheidende Frage nach der Einheit des Gottesvolkes
, die auch für die christliche Hermeneutik des AT von großem Gewicht
ist. wird bedauerlicherweise ausgeklammert und auf einen anderen
Zusammenhang verwiesen (146f; vgl. 154. 164). Das kann der
Klarheit der anstehenden theologischen Problemlösungen kaum zuträglich
sein (s. u.).

Den Abschluß des Buches bilden Personen- und Verfasserregister
(223-227) und ein Textverzeichnis der abgedruckten Predigten des
Vf. (228). Leider fehlen Sach- und Stellenregister. Sie wären für ein
Arbeitsbuch, das das Werk nach Worten seines Vf. sein will (8) - der

Umschlagtext des Verlages bezeichnet es jedoch als Lehr- und Studienbüchern
ehesten dürfte es ein Sachbuch sein -. zu erwarten.

Aus der Vielzahl der behandelten Probleme, die alle eine Diskussion
verdienten, sollen hiereinige Sachverhalte der hermeneutischen
Position des Vf., ihrer Grundlegung und Anwendung herausgegriffen
werden. Zuerst ist dem Vf. zuzustimmen, daß der Zugang zum AT für
die Christenheit sachlich und geschichtlich nur vom NT aus erfolgen
kann (21f u. ö.). Damit bleibt es auch bei der Bezeichnung .Altes
Testament' (30f). Als .Mitte der Schrift" bestimmt Vf. einmal „Christus
" (57.60), ein andermal „Christuszeugnis" (34,97). Da eine
„implizite Christologie" im AT vertreten wird (163,1890- kann folglich
vom „Christuszeugnis des AT" (25,137-139) und daraufhin vom
„nt.liehen Christuszeugnis" (139) gesprochen werden. Bei dem Versuch
, das Neue des NT als „weiterführend" (31) und also nicht als
.voraussetzungslos neu' zu verstehen, wird die präzise Aussage gemacht
: „Es ist der Gott des AT, der in Christus neu handelt" (29; vgl.
33, 125ff, 176, 185). Würde nicht auf dieser Grundlage als Kurzformel
für die Verhältnisbestimmung beider Testamente eher „Ja,
aber. . ." als die vom Vf. wiederholt eingesetzte Aussage, das NT sage
zum AT Ja und Nein (22f u. ö.), in Frage kommen müssen? Immerhin
ist diese Ja und Nein'-Formcl insofern diskutabel, als sie das Ja vor
dem Nein hat - im Unterschied zu Gunnewegs Kurzformel „Distanz
und Bezug", die Vf. auch (kritiklos) anführt (21). Nach der folgenden
behutsamen Verhältnisbestimmung beider Testamente, „AT und NT
(werden) aufeinander bezogen und doch auch voneinander abgehoben
" (32), liest man den übernächsten Satz mit Verwunderung: „Das
AT ist mit dem NT nicht identisch, aber doch nicht völlig abgetan und
überholt" (ebd.). Also wäre es doch - wenn auch nicht völlig-abgetan
und überholt (vgl. 124f, 33)? Kann das atl. Zeugnis vom Handeln desselben
Gottes wirklich zu Recht unter eine solche Wertung gestellt
werden? Ahnlich müßte bei der behaupteten unterschiedlichen Bezo-
genheit von AT und NT zum Oberbegriff .Wort Gottes' (59) gefragt
werden, zumal die beim AT beanstandeten Sachverhalte - Jeweiligkeit
der Sprecher und Hörer; Verschiedenartigkeit der Texte angesichts
des langen Zeitraums, innerhalb dessen Texte entstanden; Un-
einheitlichkeit - in analoger Weise auch auf das NT zutreffen. Unmittelbar
vorher war freilich mit dem theologisch zumindest mißverständlichen
Satz „Das AT spricht von Israel zu Israel" (ebd.) ein
direkter Gottesbezug beim AT nicht angesprochen worden. Dieses
Defizit wird an anderer Stelle ausgeglichen, wenn es etwa heißt:
„. . . so gibt uns letztlich Christus selbst Anteil an den Gotteserlährun-
gen des AT" (131). Müßte das handelnde Subjekt - wegen der klareren
Unterscheidung von Theologie und Christologie - nicht .Gott in Christus
' heißen?

Unter Strukturanalogie wird zunächst der „Bezug von .Geschichte'
auf .Gegenwart'" (121) gefaßt, womit beide Größen in gleicher Weise
konstitutiv bleiben. Dann aber bestehen zwischen dem Kanonautbau
beider Testamente nach dem Grundsatz Vergangenheit-Gegenwart-
Zukunft Strukturanalogien, vorausgesetzt, der Septuagintakanon ist
ausschlaggebend. Die Frage nach dem heute maßgeblichen Kanon
war jedoch in der Grundlegung offen gelassen (15,23) bzw. mit einer
subjektiv-konfessionellen .Antwort' versehen worden: „Jeder von uns
hat seinen Kanon dann weithin aus der Hand seiner .Kirche'. . ." (20;
vgl. 45f). Die Kanonizität der Texte läßt sie in neuer Situation und in
Analogie weilerreden. (Den richtigen Grundsatz, daß jeder atl. Text
deshalb „sein Wort sagen und neu sagen" (122) könne und solle, werden
die Leser des Buches hoffentlich auch auf die vom Vf. abgelehnten
theologischen Konzeptionen [Sprüche- und Estherbuch. 51] b/w. als
für den Christen abgetan erklärten Texte [125] beziehen). Dieses Weiterreden
tendiere eine analoge Anrede an „die glaubende Existenz
späterer Hörer/Leser" (121). Deshalb wird der Strukturanalogie eine
Nähe zur existentialen Interpretation zuerkannt (122). Die atl. Texte,
die vornehmlich einen Bezug auf das Gottesvolk haben (126). müssen
und können also umgesprochen werden. Die anscheinende Vorrangigkeit
des einzelnen als Adressaten der ntl. Botschaft führt nun dazu,
daß die ursprünglich weitgehend anders gelagerte Adressatenschaft