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Ausgabe:

1985

Spalte:

804-806

Kategorie:

Altes Testament

Titel/Untertitel:

Gewalt und Gewaltlosigkeit im Alten Testament 1985

Rezensent:

Wagner, Siegfried

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Theologische Literaturzeitung I 10. Jahrgang 1985 Nr. 1 1

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der Einleitung widmet der Vf. dem Einfluß der Linguistik auf die alt-
testamentliche Forschung. Hier wurden die Kritik Barr's hervorgehoben
und die Veröffentlichungen von T. Donald, P. Fronzaroli,
S. Balentine, J. F. Sawyer, I. Riesener, D. Lys, J. Scharbert und
G. Andre besprochen. Es handle sich bei der Anwendung linguistischer
Methoden nicht um eine Modeströmung, sondern um einen
bleibenden „methodischen Fortschritt, der bei der Erforschung des
alttestamentlichen Hebräischen dauernd beachtet werden muß" (39).
Der Vf. sieht sich darin mit Kedar (Biblische Semantik, 1981) und
Gibson (Biblical semantic logic, 1981) einig. Sein methodischer Ansatz
sei. auf der pragmatischen Ebene in den semantischen Zirkel einzusteigen
und zunächst zu untersuchen, wie der psychische Aspekt
überhaupt im Alten Testament zum Ausdruck gebracht werde. Auf
der syntagmatischen Ebene gehe es um die Verknüpfung der erkannten
Phänomene mit den psychophysischen Lexemen und um die Erforschung
jedes Lexems in seiner sprachlichen Umgebung.

Wer nach dieser Einleitung völlig Neues erwartet, wird zunächst
enttäuscht, denn die Darstellung der psychophysischen Lexeme besteht
in der Skizzierung des bisher darüber Veröffentlichten und in
einer Frequenzanalyse, die das übersichtlich ordnet, was aus Konkordanzen
und Lexika (z. B. Art. lb ThWAT IV) leicht entnommen werden
kann. Die eigenständige Leistung des Vf. zeigt sich in den Abschnitten
III - VI (S. 71-231), in denen die genannten Lexeme in Bedeutungsfelder
eingetragen werden. Es sind die Felder von Freude und
Trauer. Mut und Furcht. Stolz und Demut. Liebe und Haß, wobei
unter Haß auch Abscheu. Verachtung, Zorn, Ärger und Wut genannt
werden. In einem Schlußabschnitt sind die Ergebnisse zusammengefaßt
. Einige seien genannt: Psychophysische Lexeme sind oft - wie
Pronomina - semantisch leere Hin weisworte (235). Mit dieser semantischen
Leere hängt der Gebrauch als Halbpräpositionen zusammen
(237). In Kommentaren wird oft behauptet, die psychophysischen
Lexeme dienten der Intensivierung der Emotion. Das kann nicht
bestätigt werden (238). In der Bedeutung der Lexeme läßt sich kein
Unterschied untereinander finden (239). Die Untersuchung hat
ergeben, daß die psychophysischen Lexeme überwiegend in der Dichtung
zur Schilderung von Emotionen benutzt werden. Ihr Gebrauch
als rhetorische Figur ist sicher. „Also kann die Ableitung des altisraelitischen
Denkens aus Metaphern, Metonymen, der Synekdoche
usw. nicht sinnvoll sein. Ebenfalls ist es unwahrscheinlich, daß hinter
dem Gebrauch gerade dieser Lexeme das angeblich .holistische' Denken
steckt." (240/241) Eine Anthropologie oder Psychologie des
Alten Testaments sollte man nicht darauf aufbauen (241).

Es ist das Verdienst dieser Untersuchung, erneut semantische
Fragestellungen in den Blick der alttestamentlichen Forschung
gerückt und an drei bzw. vier Lexemen durchexerziert zu haben. Man
wird auch den kritischen Anfragen des Vf. an anscheinend gesicherte
Positionen nachgehen wollen. Aber in bezug auf den methodischen
Aufbau und die Ergebnisse lassen sich kritische Rückfragen nicht umgehen
.

Der Vf. zitiert die karrikierende Bemerkung von Leech "one may
read two books on semantics, and find scarcely anything in common
between them" und dessen Rat, sich deshalb seinen eigenen Pfad in
der Wildnis zu treten. Vor diesem Hintergrund wäre es sinnvoll gewesen
, die benutzte Terminologie zu klären (Morpheme, Lexeme,
Wörter, Bedeutungsfeld usw.) und darüber hinaus die Bezeichnung
„psychophysische Lexeme" erst zu verwenden, wenn die Untersuchung
ihre Bedeutung geklärt hat. Der dritte Abschnitt der Einleitung
trägt die Überschrift „Moderne Linguistik und die alttestament-
liche Forschung". Sie verspricht mehr, als sie hält. Der Vf. stellt
hauptsächlich die Kritik Barr's dar und bespricht einige nur mit
semantischen Fragen beschäftigte Untersuchungen bzw. Aufsätze.
Wenn schon das Stichwort .Linguistik' gewählt wurde, hätte man sich
einen Hinweis auf einiges mehr erwarten dürfen (z. B. Altpetcr, G„
Textlinguistische Exegese alttestamentlicher Literatur, 1978; Hard-
meier, Chr., Texttheorie und biblische Exegese. 1978). Zur Bedeutung
der Farbentermini nennt der Vf. besonders den Aufsatz von Fronzaroli
(29), aber die wichtigere Arbeit von A. Brenner (Colour terms in
the Old Testament, Sheffield 1982) scheint er nicht zu kennen.

Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen die .Bedeutungsfelder der
Emotionen'. Eine genaue Definition von .Bedeutungsfeld' sei nicht
notwendig (43), da der Begriff sehr einfach verstanden werde als "a
group of words closely related in meaning often subsumed under a
general term" (Zitat aus: Lehrer, A., Semantic Heids and lexical struc-
ture, 1974). Dieses .einfache' Verständnis zeigt sich darin, daß unter
deutschen Stichworten (z. B. Freude, Trauer, Furcht usw.) herbräi-
sche Lexeme zusammengestellt werden, die primär und sekundär
Freude, Trauer usw. bezeichnen. Warum diese Listen .Bedeutungsfelder
' genannt werden können, wird nicht begründet. Wenn der
Vf. die Erarbeitung von Wortfeldern und ihren Wert für die semantische
Analyse anhand der Untersuchung von 1. Riesener vorführt
(S. 330, warum hat ersieh dieses Modells nicht bedient?

Daß es die Semantik nicht nur mit der Wortebene, sondern auch
mit der Satz- und Textebene zu tun hat, bleibt unerwähnt. Der linguistische
Ansatz, mit dem der Vf. so verheißungsvoll antrat, kommt leider
nur teilweise zur Geltung.

Am Ende bleibt die Frage, ob die Ergebnisse trotzdem wichtig und
überzeugend sind. Das mag für den statistisch-strukturellen Bereich
zutreffen. Ob die - meist negativen - Schlußfolgerungen für die
Anthropologie und Psychologie des Alten Testaments gezogen werden
müssen und ob die untersuchten Lexeme meist nur .semantisch
leere Hinweiswortc' sind, wird zu prüfen sein. Den Anstoß dazu hat
diese Arbeit gegeben.

Leipzig Hans Seidel

Lohfink, Norbert [Hrsg.]: Gewalt und Gewaltlosigkeit im Alten Testament
. Freiburg-Basel-Wien: Herder 1983. 256 S. 8" = Quaestiones
Disputatae,96. Kart. DM 48,-.

Dieser auf Grund von Vorträgen und Diskussionen einer Tagung
der „Arbeitsgemeinschaft deutschsprachiger katholischer Alttesta-
mentler" (August 1981) von N. Lohfink zusammengestellte und redigierte
Aufsatzband, der zugleich eine Geburtstagsgabe für den ^jährigen
Vinzenz Hamp sein soll, will auf ein nach Meinung des Hrsg. in
der alttestamentlichen Fachwissenschaft vernachlässigtes Thema eindringlich
aufmerksam machen, auf das Thema von Gewalt und
Gewaltlosigkeit im Alten Testament. Die Fragestellung ist aktuell
und kommt sozusagen von .außen' auf den Tisch. Sie begegnet
unabweisbar in der kirchlichen Praxis und wird dem Theologen
aus der wie auch immer gearteten gesellschaftlichen Öffentlichkeit
heraus energisch annonciert. Der moderne Bibelleser begegnet im
Alten Testament einer überraschend großen Anzahl von Texten, in
denen von Gewalt und Vernichtung die Rede ist. und der darin beschriebene
Gott verzichtet in den meisten Fällen seinerseits nicht auf
die gewaltsame Durchsetzung seiner Macht. Dieser Sachverhalt ist
nicht nur Außenstehenden, sondern auch vielen Christen der Gegenwart
problematisch, was zur (sicherlich mitunter unsachgemäßen)
Ablehnung des Alten Testaments führt. Von dorther fühlen sich Lohfink
und seine Kollegen (die Alttestamentler Ernst Haag. Lothar Rup-
pert und der Systematiker Raymund Schwager) zu einer Stellungnahme
herausgefordert, und man kann bei der Lektüre ihrer Beiträge der
Auffassung nur zustimmen, daß es sich bei dieser Thematik um eine
wichtige und dringliche handelt. Die Verfasser sind der Meinung,
daß ihre Untersuchungen erst Anfänge einer detailliert zu führenden
Debatte seien, die zur Mitbeteiligung an der Klärung
der aufgeworfenen Probleme einladen sollen. Deswegen schickt Lohfink
einen Aufsatz voraus, in welchem er eine ausführliche Problem-
anzeige erstattet und eine erste Literaturdurchsicht bisheriger Stellungnahmen
zur angeschnittenen Thematik vornimmt (S. 15-50). Da
es zu den Stichwörtern .Gewalt' und .Gewaltlosigkeit' keine Spezial-
bibliographien gibt, legen die Autoren großen Wert auf die Publikation
ihrer eigenen gesammelten Literaturübersichten und bieten