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Ausgabe:

1985

Spalte:

802-804

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Lauha, Risto

Titel/Untertitel:

Psychophysischer Sprachgebrauch im Alten Testament 1985

Rezensent:

Seidel, Hans

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Theologische Literaturzeitung 1 10. Jahrgang 1985 Nr. 1 1

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nicht hinreichend herausarbeiten, wenn man wie B. Köster solche
wissenschaftsgeschichtlichen Werke ignoriert.

Das eigentliche Interesse der Vfn. gilt den verschiedenen Ausgaben
und Autlagen der Lutherbibel im Pietismus. Die Autorin betrachtet es
mit Recht als ein wesentliches pietistisches Anliegen, billige Bibeln
massenweise unters Volk zu bringen. Sie hält es für eine völlige Fehleinschätzung
der Lage, wenn Spcner und Winckler meinten, es sei
kaum jemand so arm, daß er sich eine (Folio)bibel nicht leisten könne
(S. 40.75). Aber das bleibt natürlich eine bloße Behauptung, wenn
keinerlei Angaben darüber gemacht werden, was denn eine solche
Bibel kostete, und welches Einkommen einer haben mußte, um sie
Sich leisten zu können. Hier ist ein Punkt, an dem deutlich wird, daß
heutzutage auch Kirchen-, Frömmigkcits- und Geistesgeschichte der
Sozial- und Wirtschaftsgeschichte nicht entraten können. Beate
Köster macht kernen Versuch, ihre mehrfach verwendeten Begriffe
teuer und billig, arm und reich zu konkretisieren und anschaulich zu
machen. Auch wo Preise genannt werden: zwei, sechs, acht oder zehn,
achtzehn und einundzwanzig Groschen; 2 II. und 45 Kr. bleibt das
nichtssagend, weil keine Vergleichspreise für Nahrungsmittel. Haustiere
oder Kleidungsstücke und keine Löhne genannt werden. In
Franckes Schrift „Fußstapfen des noch lebenden und waltenden, liebreichen
und getreuen Gottes ..." (1 701) kommen mehrfach Angaben
Über Kosten und Löhne vor, z. B. versprach Francke einem armen
Studenten für täglich zwei Stunden Unterricht in der Armenschule
einen Wochenlohn von sechs Groschen. Schon den Auszügen aus der
genannten Schrift, die E. Beyreuther in seiner Biographie ..August
Hermann Francke" (Marburg 1956) bringt, ist das zu entnehmen.
Aber die Autorin hat beide Bücher nicht zur Kenntnis genommen,
•adelt aber Beyreuther wegen flüchtigen Arbeitens.

Ihr eigenes Opus ist in sechs Teile gegliedert. Der erste Teil berichtet
über die orthodoxen Bibelausgaben des I 7. Jahrhunderts. Man
erfahrt, wie Wittenberg als Stadt des Bibeldrucks 1626 abgelöst wird
von Lüneburg (Stern) und Nürnberg (Endter) und wie die gegen Ende
des Jahrhunderts erschienenen Ausgaben versuchen, einen zuverlässigen
Luthertext anstelle des üblich gewordenen verwilderten zu bieten.
Die drei nächsten Abschnitte von Kösters Buch behandeln die Bibelausgaben
Speners. Wincklcrs und Franckes. Ein Kapitel ist der
Canstcinschen Bibelanstalt gew idmet und das letzte den Ansätzen zur
' extkritik und der Rev ision der Lutherbibel bei Spcner. Francke und
Hedinger. Am Schluß wird Bengel genannt, der I 753 mit seiner Übersetzung
des Neuen Testamentes Luthers Übersetzung ergänzen, nicht
ersetzen wollte.

Bei den vielen Ausgaben und Aullagen, die da vorkommen, muß
ein einzelner Verlässer, der in einer begrenzten Zeit seine Arbeit abschließen
will, wie das bei einer Dissertation notwendigerweise der
Fall ist. sich zur Charakterisierung dieser Ausgaben auf Stichproben
beschränken. B. Köster richtet ihre Aufmerksamkeit hauptsächlich
•hiI jene wenigen Stellen, die in Luthers eigenen Bibelausgaben - im
Neuen Testament entsprechend den ursprünglichen textkritischen
Entscheidungen von Erasmus - fehlen und in den postum erschienenen
Lutherbibeln allmählich ergänzt wurden, oft zusammen mit
einem Luthers Intention widersprechenden Anhang zum Alten Testament
(3. und 4. Buch Esra und das 3. Buch der Makkabäer) und auf
die von Johannes Dieckmann in seiner Vorrede zur Bibelausgabe von
1703 genannten acht Verse, in denen er nach dem Vorbild früherer
Ausgaben Ergänzungen vorgenommen habe. In der Bibelausgabe
Franckes von I 708. die als verschollen galt, von der die Vfn. aber antiquarisch
ein Exemplar erwerben konnte (ein anderes belindet sich
noch in der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart), hat siedle
33 Stellen, die Francke in den .,Observationen biblicae" als erbes-
serungsbedürttig in Luthers Übersetzung anführt, nachgeprüft mit
dem überraschenden Ergebnis, daß nur drei davon in Franckes Ausgabe
auch v erbessert worden sind.

Es gibt einige bemerkenswerte Ergebnisse in B. Kösters Buch. Dazu
zählt der Nachweis, daß Spener trotz seiner bedächtigen Art und seiner
Ratschläge zu behutsamem praktischem Vorgehen eine kritische

Grundhaltung gegenüber der Übersetzung Luthers einnahm und die
Berechtigung ihrer Verbesserung auch mutig und nachdrücklich in
einer Leichen predigt aus dem Jahre 1695 vertreten hat. Ferner konnte
die Vfn. eine einleuchtende Erklärung dafür anführen, wie die Angabe
Cansteins aus dem Jahr 1713 über eine ..vor wenigen Jahren" von
Bernhardi herausgegebene, zu Helmstedt und Stendal erschienene
Foliobibcl zu verstehen ist angesichts der Tatsache, daß ein Helmstedter
Bibeldruck in der fraglichen Zeit nicht nachgewiesen wurde. Überzeugend
erscheinen mir auch die angeführten Gründe dafür, daß die
1712 anonym erschienene Schrift „Kurtzes Proiect unparteiischer
prrvat =Gedancken von einer Emendation der Tcutschen Bibel", vom
Herausgeber A. Nebe und von K. Aland zweifelsfrei für eine Arbeit
Franckes erklärt, nicht von diesem stammen kann, weil er kein Programm
einer durchgreifenden Bibelrevision aufstellte.

Eine knappe und gute Information wird dem Leser in dem Kapitel
über die Cansteinsche Bibelanstalt geboten mit präzisen Angaben,
von welcher Aullage an erst sie das Prinzip, das den Anlaß zu ihrer
Gründung gab. den Druck vom stehenden Satz, zu verwirklichen vermochte
. Es wird klar, daß der eigentliche Initiator Francke war und
daß zu seinem Schutz C. H. v. Canstein die Leitung übernahm, wobei
die Notwendigkeit. Genehmigungen von ihm brieflich einzuholen, zu
Zeitverlust und finanziellen Nachteilen führte.

Verdienstvoll an dieser Arbeit ist auch das instruktive Referieren
des Inhalts von Franckes einzelnen Heften der „Observationes
biblicae". besonders auch seine Auseinandersetzung mit Th. Dassov,
ein Glanzstück in der Literaturgattung der Streitschriften. Die Polemik
gegen Hedinger dagegen bietet das Beispiel einer unsachgemäßen
und von Vorurteilen bestimmten Gegnerschaft und ist kein Ruhmesblatt
fürJ. G. Neumann und J. F. Mayer.

Der Autorin ist entgangen, daß Francke von Luther abweichende
Übersetzungen auch in anderen Schrillen vorgetragen hat. z. B. ist
seine Verdeutschung von Eph 5,16 mit ..Seid Auskauffer der Zeit"
statt ..Schicket euch in die Zeit" ein wichtiger Bestandteil seiner
Schrift „Der rechte Gebrauch der Zeit" (1713). B. Köster hat einen
bedeutsamen Tcilaspekt ihres Themas behandelt, nämlich die Ausgaben
der Lutherbibeln, wozu sicher noch manche Ergänzungen möglich
und nötig sind; vor allem aber verlangt das Gesamtthema ..Die
Lutherbibel im frühen Pietismus" weitere Forschungen in einem
wesentlich erweiterten Rahmen.

Düsseldorf Rudoll'Moht

Altes Testament

Lauha. Risto: Psychophysischer Sprachgebrauch im Alten Testament.

Eine Strukturalse man tische Analyse von Ib. nps und rwh. Helsinki:
Suomalainen Tiedeakatemia 1983. III. 273 S. gr. 8" = Annales
Academia Scientiarum Fennicae. Dissertationes Humanorum Lit-
terarum, 35.

Der Vf. geht davon aus. daß es sich bei den im Untertitel genannten
Wörtern um .psychophysische Lexeme' handelt, die im Alten Testament
sowohl die physische wie auch die psychische Seite des Menschen
bezeichnen. Man trifft häufig auf die Ansicht, daß diese Lexeme
den begrifflichen Grundbestand der alttestamentlichcn Anthropologiebzw
. Psychologie ausmachen und in besonderer Weise das Denken
der Menschen im Alten Testament widerspiegeln. Die einzelnen morphologischen
, syntaktischen oder lexikalischen Züge der Sprache weiden
als Zeichen eines bestimmten eigenständigen Denkens angesehen.
Diese .Weltansehauungstheorie" Wilhelm von Humboldts sei bis in
die Gegenwart in der Sprachwissenschaft verbreitet (Weisgerber.
Whorf), könne aber seit der generativen Transformationsgrammatik
von Chomsky und auf Grund neuerer Forschung als überholt gelten.
Das .Weltanschauungsmodell- sei auch in deralttestamentlichcn Wissenschaft
wirksam(Betram, Boman, H. W. Wolff). aber es weide auch
energisch hinterfragt (Pedersen, Barr. Itkonen u. a.). Einen Abschnitt