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Ausgabe:

1985

Spalte:

797-799

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Titel/Untertitel:

Arbeitspapiere zur Verdeutschung der Schrift 1985

Rezensent:

Schreiner, Stefan

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Theologische Literaturzeitung 110. Jahrgang 1985 Nr. I 1

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Concerning a Cilician Revision of the Armenian Biblc (209-222); L.
■>• Perkins, The Place of SyhT within the LXX Textual Tradition of
Deuteronomy (223-232); M. K. H. Peters, The Textual Affiliations of
Genesis 1:1-4:2 according to Papyrus Bodmer III (233-246).

K.-H. B.

Bibelwissenschaft

Rosenzweig, Franz: Sprachdenken. Arbeitspapiere zur Verdeutschung
der Schrift. Hrsg. von R. Bat-Adam. Dordrecht-Boston-
Lancaster: Nijhoff 1984. XXXII, 361 S. gr. 8' = Franz Rosenzweig,
Der Mensch und sein Werk. Gesammelte Schriften, IV. 2. Bd. Lw.
hfl. 175.-.

In seiner Ansprache während der Feierstunde anläßlich des Abschlusses
der Bibelübersetzung, die M. Buber und Fr. Rosenzweig in
der Mitte der zwanziger Jahre begonnen hatten, nannte G. Scholem
diese Übersetzung das „Gastgeschenk, das die deutschen Juden dem
deutschen Volk in einem symbolischen Akt der Dankbarkeit noch im
Scheiden hinterlassen konnten", ja mehr noch „das Grabmal einer in
unsagbarem Grauen erloschenen Beziehung"; denn, so Scholem an
Buber sich wendend weiter: „Die Juden, für die Sie übersetzt haben,
8'bt es nicht mehr. Die Kinder derer, die diesem Grauen entronnen
Und, werden nicht mehr Deutsch lesen. Die deutsche Sprache selber
hat sich in dieser Generation tief verwandelt (...)- und nicht in der
Richtung jener Sprachutopie, von der Ihr Unternehmen so eindrucksvolles
Zeugnis ablegt."' Dabei hatte es zunächst gar keine neue Übersetzung
werden sollen; denn, so berichtet Buber in der Rückschau auf
die mit Rosenzweig gemeinsam unternommene Arbeit,' es sei damals,
als er der Bitte des Verlegers Lambert Schneider um Neuherausgabe
°der Bearbeitung des „Alten Testaments" für dessen Verlag folgend,
an Rosenzweig mit der Frage herantrat, ob er da mitmache, dieser als
seine Grundanschauung geäußert habe, „daß Luthers großes Werk
noch immer die Grundlage für alle Versuche in deutscher Sprache
sein müsse, daß also keine Neuübertragung, sondern nur eine Luther-
Revision unternommen werden könne, freilich eine unvergleichlich
umfassendere und eindringendere als alles, was bisher so bezeichnet
worden ist". Und - so berichtet Buber weiter - „natürlich begannen
wir mit dem Versuch. Luther zu revidieren. Wir nahmen einen Vers
nach dem anderen vor und änderten, was uns von unserem Sprachwissen
und Sprachbewußtsein aus änderungsbedürrtig erschien. Nach
einem Tag Arbeit standen wir vor einem Trümmerhaufen. Es hatte
sich erwiesen, daß man auf diesem Weg nirgends hinkam. Es hatte
sich erwiesen, daß Luthers 'Altes Testament' in alle Dauer ein herrliches
Gebild blieb, aber schon heute keine Übertragung der Schrift
mehr war."

Diese Erfahrung gab den Anstoß, nun doch eine Neuübertragung in
gemeinsamer Arbeit zu beginnen, und als Rosenzweig am 10. Dezember
1929 starb, „waren wir" - wie Buber schreibt „am Übersetzen des
53. Jesaja-Kapitels". Sah Rosenzweig seine Rolle beim Übersetzungs-
Werk auch anfänglich als „wahrscheinlich nur die der gründlichen
Muse (Diotima und Xanthippe in einer Person)" an, die Buber als
„ein Meisterstück helfender Kritik" empfand, so sollte sie doch bald
Schon mehr sein als dies, und Buber nannte die gemeinsame Arbeit
nicht von ungefähr ein Hellwerden lassen der Schrift „im Raum einer
Wechselwirkung".

Welchen Anteil Rosenzweig am gemeinsamen Übersetzungswerk
tatsächlich hatte, und wie dieser Anteil aussah, das wollen und sollen
die im vorliegenden Band abgedruckten Arbeitspapiere dokumentieren
, mit dem zugleich die prachtvolle Werkausgabe, rechtzeitig genug
zu Rosenzweigs 100. Geburtstag (am 25. Dezember 1986), abgeschlossen
wird." Arbeitspapiere - das sind jene Blätter, die Rosenzweig
, mit seinen Übersetzungsvorschlägen, Korrekturen, exegetischen
Bemerkungen und/oder philologischen Erörterungen etc. beschrieben
, im Laufe der Jahre der gemeinsamen Arbeit an Buber

gesandt hat: denn der größte Teil der gemeinsamen Arbeit wurde per
Korrespondenz diskutiert, nur einmal wöchentlich, wenn Buber zu
seinen Vorlesungen nach Frankfurt/M. fuhr, im mündlichen Gespräch
. Aus der Fülle dieser Arbeitspapiere, die heute im Bubcr-
Archiv der Hebräischen Universität in Jerusalem liegen, hat die Herausgeberin
für diesen Band 209 ausgewählt. Bubers Antworten auf
das, was ihm Rosenzweig schrieb, oder seine Fragen, auf die er ihm
antwortete, sind nicht mit abgedruckt, bis auf eine Ausnahme, nämlich
das letzte gemeinsam übersetzte Kapitel Jes 52.13-53.12
(S. 275-294), so gleichsam illustrierend, was Buber in seiner o. e.
Rückschau schrieb: „Die Blätter, die in diesen Jahren hinüber und
herüber gegangen sind, ergeben zusammen den lebendigsten Kommentar
: die Schrift hell werdend im Raum einer Wechselwirkung."

Doch auch in ihrer „monologischen" Gestalt bieten die Arbeitspapiere
eine außerordentlich interessante und aufschlußreiche Lektüre
, indem sie sozusagen einen Blick in die Werkstatt des Übersetzers
und einen Einblick in seine Arbeitsweise gestatten. Die Arbeitspapiere
sind so abgedruckt, daß sie zunächst den masoretischen Text,
dann den Luther-Text (in der revidierten Fassung von 1912. wie sie
Rosenzweig vorgelegen hat [?]) und schließlich die Buber-Roscn-
zwcig-Übcrsetzung der entsprechenden Perikope bieten, an die sich
Rosenzweigs Anmerkungen anschließen, aus denen man als Leser
nicht nur erfahrt, wie die Übersetzung eines Verses oder einer Perikope
zustande gekommen ist. sondern warum gerade so übersetzt
worden ist. So sind denn diese Anmerkungen zugleich eine permanente
Rechenschaft, die der Übersetzer zunächst sich selbst, nun aber
auch dem Leser seiner Arbeitspapiere über die eigene Arbeit ablegt.
Natürlich kann im Rahmen dieser Buchanzeige die Methodologie, die
Buber und Rosenzweig ihrer Übersetzung zugrunde gelegt hatten,
nicht dargestellt werden.4 Einige Grundsätze daraus seien dennoch
hiergenannt und veranschaulicht.

Über allem Verdeutschungsbemühen stand das Ziel, „von der Ge-
schriebenheit des Wortes auf seine ursprüngliche und in jeder echten
Vorlesung wieder laut werdende Gesprochenheit zurückzugehen.
Daraus ergab sich, daß der Text der Übertragung in natürliche, von
den Gesetzen des menschlichen Atems regierte, sinnmäßig geschlossene
Sprechabsätze, die sogenannten Kola (daher die typographische
Anordnung Kolometrie genannt) zu gliedern war. von denen jeder
eine leicht sprechbare und leicht merkbare, also rhythmisch geordnete
Einheit bildet, wie ja schon alle frühe mündliche Überlieferung auf
das leicht Sprechbare und leicht Merkbare ausgeht, also rhythmusbildend
wirkt." Zu nennen ist sodann das Slrukturprinzip. das Buber
als „Leitwortstil" bezeichnet hat. worunter „das Bezogenwerden
zweier oder mehrerer Textstellen, sei es im gleichen Abschnitt, in ver-
schiedenen Abschnitten, sei es auch in verschiedenen Büchern, aufeinander
durch Wiederholung von Wörtern. Wortstämmen. Wort-
gefügen. und zwar solcherweise, daß die Stellen im Verständnis des
Hörers einander erläutern, die neugehörte die altbekannte verdeutlicht
, aber auch diese die neue zulänglicher erfassen hilft". So kommen
etwa die beiden Bilder vom „schwingenden Adler" (Dtn 32.1 1)
und vom „schwingenden Braus Gottes" (Gen 1.2) nebeneinander zu
stehen (S. XVII.5). Hierher gehört weiter, was Rosenzweig als das
„Formgeheimnis der biblischen Erzählung" definiert hat. was meint,
daß der Sinn einer Erzählung etwa durch „ein Wurzelwort abwandelnde
oder ganze Sätze refrainartig vervielfachende Wiederholungen
" verdeutlicht wird. „Wenn z. B. gesagt werden soll, daß der Gottesbote
dem Bilam auf eben die Art gegcnübertrilt. wie Bilam seiner
Eselin gegenübergetreten ist. so geschieht das dadurch, daß in beiden
Fällen immer wieder dieselben (zum Teil recht seltenen) Wendungen
gebraucht werden" (S. XIII). Schließlich sei hier „das Aufgraben des
hebräischen Gehalts des einzelnen Worts" und das darauf aulbauende
Prinzip der Wortwahl genannt, also die Pflicht, „irgend wichtige wur-
zclglciche Worte durch wurzelgleiche wiederzugeben, damit die
gegenseitigen Bezogenhciten auch in der Übersetzung offenbar werden
" (S. XVIII). Für Rosenzweig bedeutete das. daß er alle hebräischen
Worte, die von der Wurzel s-cl-q abgeleitet sind, im Deutschen