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Ausgabe:

1985

Spalte:

771-773

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Martini, Carlo Maria

Titel/Untertitel:

Was allein notwendig ist 1985

Rezensent:

Behnisch, Martin

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Theologische Literaturzeitung I 10. Jahrgang 1985 Nr. 10

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Im wesentlichen geht es Grelot um eine Überprüfung der exegetischen
und historischen Argumente. Besonders wird die Problematik
der hermeneutischen Prinzipien berührt, und das betrifft vor allem
den Konflikt zwischen Tradition auf der einen Seite und Zeiterfahrung
bzw. „neuer Praxis" auf der anderen Seite als kirchlicher Norm
für die Gestaltung des Amtes. Grelot selbst argumentiert keineswegs
als Traditionalist, sondern ebenfalls als Vertreter historischer Forschung
. In den für diese Besprechung gesetzten Grenzen ist es nicht
möglich, auf Einzelheiten einzugehen. Über die interne römischkatholische
Debatte hinaus werden jedoch in dieser Auseinandersetzung
Probleme berührt, die auch für das ökumenische Gespräch für
das kirchliche Amt wichtig sind, wo allenthalben die Tendenz zu
beobachten ist, daß das Amt nur noch funktional und im Sinne einer
Delegation durch die Gemeinde aufgefaßt wird, während zugleich die
im apostolischen Auftrag und den Gnadenmitteln begründete Vollmacht
völlig zurücktritt. Auch hier bestätigt sich, daß diese Themen
nicht konfessionsspezifisch sind.

Die theologische Auseinandersetzung richtet sich unmittelbar auf
die Verhältnisse in den Gemeinden. Wie ist angesichts der Begeisterung
für eine alternative Praxis die Prüfung und Scheidung der Geister
vorzunehmen? In einem Nachwort hat Grelot versucht, die Möglichkeiten
liturgischer Erneuerungen und ihre Grenzen abzustecken. Mit
Recht sieht er eine substanzielle Veränderung beim Abendmahl,
wenn die Einsetzungsworte durch eine Gebctsformel ersetzt werden,
was zur Folge hat, daß das Gegenüber von Herr und Gemeinde aufgehoben
wird, und die Gemeinde sich nur noch selbst als die Gegenwart
des Herrn darstellt. Ein anderer Punkt betrifft die Ordination
verheirateter Männer. Hier sieht Grelot einen Weg zwischen dem
Amts- bzw. Pflichtzölibat und der von Schillcbeeckx geforderten völligen
Freigabe. Grelot schlägt vor, bei weiteren Überlegungen zum
Stand des Priesters theologisch bei der vocatio einzusetzen, die jeweils
zu prüfen und über deren Annahme zu entscheiden ist. Dies kann
Unverheiratete sowie Verheiratete betreffen, und Grelot schließt
nicht aus, daß es „wahrhaft apostolische Imperative" geben könne,
manches unter veränderten Verhältnissen anders zu sehen.

Die beiden Bücher sind Hinweise auf tiefgreifende und schmerzliche
Auseinandersetzungen innerhalb der römisch-katholischen
Kirche. Aber sie können auch zeigen, daß es für die ökumenische
Begegnung nicht nur die Aufgabe gibt, bestehende Differenzen zu
überwinden, sondern auch gemeinsame Probleme im Bemühen um.
theologische Klärung und Entscheidung zu bewältigen. Vielleicht
sind sogar die gegenwärtigen Spaltungen in den Kirchen eine wesentlich
wichtigere ökumenische Aufgabe als lediglich die Überwindung
geschichtlicher Spaltung zwischen den Kirchen.

Erlangen Reinhard Slcnczka

Kcarius, Hermann: Die dunkle Welt ist doch hell. Die Funktion des Glaubens
als Erkennungsmittel für das Leben und die Welt. München-Basel: Reinhardt
1985. 50 S. kl. 8'. Kart. DM 14,80.

Ktiennc, Jacques: Sagessc humaine et Ibi chreiiennc. L'agir humain selon la
revelation et la raison (RTL 16, 1985 S. 163-173).

Lohfink, Gerhard: Gottes Taten gehen weiter. Geschichtstheologie als
Grundvollzug neutestamentlicher Gemeinden. Freiburg-Bascl-Wien: Herder
1985.142 S. 8'. geb. DM 16,80.

Lohse, Eduard: Die evangelische Kirche vor der Theologie Rudolf Bull-
nianns(ZThK 82, 1985 S. 173-191).

Praktische Theologie: Allgemeines

/

Martini, Carlo M.: Was allein notwendig ist. Jesusnachfolge nach
dem Lukasevangelium. Aus dem [tat. übers, v. A. Berz. Freiburg-
Basel-Wien: Herder 1984. 239 S. 8'. geb. DM 29,80.

Anders als der deutsche Titel möglicherweise erwarten läßt, bietet
der als Textforschcr und Mitherausgeber des Greek New Testament

bekannte Vf. keine exegetische Studie zum Lukasevangelium, für dessen
Text er mit seiner Arbeit über den Papyrus Bodmer XIV einst
Wesentliches geleistet hat (vgl. ThLZ92. 1967 Sp. 895-897). Der
Originaltitel zeigt genauer, was der Mailänder Erzbischof in diesen
Betrachtungen vorlegt, die auf einen Exerzitienkurs zurückgehen und
als „zweite, nach dem vollständigen Text der Tonbandaufzeichnung
erweiterte Auflage" unter dem Titel »Gli esereizi ignaziani alla luce
del vangelo di San Luca« bei den Edizioni Comunitä di vita cristiana
(Rom 1983) erschienen sind (6). Auch die (leicht gestraffte) deutsche
Übersetzung läßt noch die Intensität spüren, mit der geistliche Führung
in diesen Exerzitien wirksam geworden ist.

Zwölf Meditationen (1-XII) bilden eine Linie, welche „die Bedeutung
der Buße, der Person Jesu, der Nachfolge Jesu, des Kreuzes und
der Auferstehung im Leben des Menschen" erschließen soll. Veranschaulicht
wird das als Weg, „den Theophilus durchlaufen soll, um
den Herrn verstehen zu lernen" (13). Nach einer Einführung (1), die
den „Zustand des Gebets" sucht, das „unser ureigenes Wort" werden
soll (II), und einem Überblick über die Heilsbotschaft des Lukas (II)
wird die Emmausgeschichte zum ersten geschlossenen Meditationstext
, der den Auferstandenen die Antwort auf „die bloß halbe Botschaft
" bringen läßt, in der die Jünger das Geschehene zu sagen wußten
, ohne seinen Sinn zu schauen (III). Den Büß- und Beichtmeditationen
(V, VI) geht eine große Betrachtung der Barmherzigkeit Gottes
anhand von Lk 15 voraus (IV). Es folgt die Meditation der Ver"
suchungsgeschichte (VII), die darin einübt, „das widrige Schicksal des
Gotteswortes zu teilen" (95). Daß Jesu „erbarmende Predigt" in
Nazaret zurückgewiesen wird (Lk4,16ff), führt den Jünger weiter,
sich „dem gedemütigten und zurückgewiesenen Jesus" (117) beizugesellen
(VIII). Ein Durchgang durch Lk 5-18 stellt Jesus als „Erzieher
und Bildner" (119) vor Augen (IX). Mit Jesu Weinen über Jerusalem
(X), seinem Gebet (XI) der Befreiung von Sorge und Lebensangst
(XII) und den Leidensankündigungen (XIII) führen die Meditationen
immer tiefer in die Passion Jesu hinein und gipfeln in dem „Drama
des Petrus" (195), der „sich immer geweigert hatte, ^sich wirklich
lieben zu lassen" (206) (XIV) und dem „Kreuz Marias" (XV), die
schon Lk 1,38 „sich unbeschützt, gänzlich Gott anvertraut" und doch
erst noch den Schmerz erfahren und gefühlsmäßig leisten muß (213).
den „ihr tiefes Mithineingenommensein in den Widerspruch, auf den
Jesus trifft", ihr bringen wird (216). Den Beschluß bildet die Meditation
der Auferstehung entsprechend der ignatianischen Bitte „um die
Gnade, mich intensiv zu freuen und fröhlich zu sein über die so große
Herrlichkeit und Freude Christi unseres Herrn" (223; I. v. Loyola.
Geistliche Übungen, Freiburg i. Br.51981, Nr. 221). In der hier erfahrenen
Erwärmung des Herzens schließt sieh der Ring zu Lk 24.32 und
Öffnet sich zugleich für das „Zeugnisgeben im Heiligen Geist" (235).

Schon in diesem Weg lassen sich unschwer Leitlinien der Exercitia
spiritualia des Ignatius von Loyola erkennen. Auf sie wird in den einzelnen
Meditationen immer wieder zurückgegriffen. Neben den ausdrücklichen
Zitaten aus den „Geistlichen Übungen" sind es vor allem
die immer erneute Meditation des pro me und die unermüdliche Vcr-
gegenwärtigung im Jetzt des persönlichen und kirchlichen Lebens, die
dem Ganzen.ihren andringenden und intensiven Charakter einprägen.
Ein Beispiel: „Deswegen müssen wir den Herrn um die Gnade bitten,
daß schon unser Gebet eine mystische, doch reale Beteiligung am
Leben Jesu ist, daß schon unser Leben darin besteht, daß wir in Jesus
hineingezogen werden und uns in ihn verlieren. Ich möchte an dieser
Stelle der Exerzitien auch einladen, uns zu fragen: .Wie steht es gegenwärtig
um mein Gebet? Bete ich im Glauben mit seinen Ungewißheiten
, seinen Härten, seiner Trockenheit? Bejahe ich das Gebet oder
wehre ich mich dagegen?'" (1260- Der von Anfang an betend eröffnete
Intimraum geistlicher Entfaltung und Prägung wird so stetig gefüllt
und erweitert.

Noch stärker aber sind die Auslegungen der biblischen Texte (vor
allem des Lk-Ev) substantielle Träger der mitgeteilten geistlichen Erfahrungen
. Der bewußte, sensible Umgang mit den biblischen Texten,
der diese Meditationen prägt, steht auf dem Grund exegetischer