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Ausgabe:

1985

Spalte:

768-771

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Schillebeeckx, Edward

Titel/Untertitel:

God is new each moment 1985

Rezensent:

Slenczka, Reinhard

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Theologische Literaturzeitung 1 10. Jahrgang 1985 Nr. 10

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Die Christologie (Die eingelöste Rede von der Versöhnung) bildet
den dritten Themenkomplex. R. leitet sie insofern aus der Trinitäts-
lehre ab, als er Erkenntn is Christi - als des Christus praesens - ganz an
den Geist Gottes, der in der Gemeinde gegenwärtig ist, bindet
(IKor 12,3) (214fl). Die aktuelle Grundfrage lautet: „Was ist durch
sein Kommen anders geworden?" (222). Primär: die Versöhnung mit
Gott, ja eine Veränderung in Gott (wie R. in Anlehnung an die
Prozeßtheologie die Behauptung wagt, 225). Sekundär: „Die Freiheit
ist entstanden, ohne Gott Gegengaben anzubieten, sich seiner Ge-
schöpflichkeit zu erfreuen .. ., die Hoffnung auf die Aufrichtung von
Gottes Recht und Gerechtigkeit, d. h. auf den Sieg der Liebe über den
Haß . . .; daß ... in Gott selbst etwas anders geworden . .. ist: daß er
jetzt teilhat an allem Leiden und Sterben der Menschen . . ." (224).

Vom vierten Themenkomplex: Die Freiheit zur Menschlichkeit
(Anthropologie) sei folgendes hervorgehoben: Wurzelt das Böse im
Mensehen oder in den Verhältnissen der Gesellschaft! Beides bringt
Wahres zum Ausdruck. Doch die biblische Symbolik des Bösen
„greift tiefer" (255). „Das Böse wohnt im Mißbrauch der Kräfte und
Merkmale, die den Menschen vom Tier unterscheiden." „Das Böse ist
die Hybris" (257). - Vom neuen Menschen bzw. der Veränderbarkeit
des Menschen will R. voller sprechen als reformatorische Theologie
in ihrer Frontstellung gegen eine objektivierbare Heiligung(259f). Der
Teil schließt mit einer Betrachtung über: „Die Einheit der Kirche und
die Einheit der Menschheit" (264). Mehr die gemeinsamen Gefahren,
die dem Überleben der Menschheit drohen, als gemeinsames Herkommen
(insofern doch die Solidarität in der Sünde wie bei Augustin
'?) begründen sie.

Vom Teil III (Die Bewährung: Der Weg zur Ethik und Doxologie)
sei folgendes hervorgehoben. Die theologische Ethik begibt sich in ein
Ghetto, wenn sie ausschließlich theologische Begründungen gelten
läßt und schon rein sprachlich allgemein-ethische Begriffe wie .das
Gute', das Gewissen, den .guten Willen' und das Wort .Moral' meidet.
„Worum sonst soll es in der Ethik gehen, wenn nicht um ,gute
Werke"? Um was, wenn nicht um ,das Gute', um gute Vorsätze und
gewissenhafte Entscheidungen'?" (290). Und es geht heute auch um
intellektuelle Klärung des richtigen Verhaltens (296). Rationalität und
Barmherzigkeit - das ist das „Doppelerbe Athens und Jerusalems".
Beides ist zur Therapie unserer Welt unverzichtbar. Neben genuiner
Entscheidung und Rechtfertigung des ethischen Routincverhaltens,
was von vornherein zu unterscheiden ist (292), zielt theologische
Ethik aber auch auf „Ausbildung von Grundhaltungen im Leben der
Gläubigen" (313). Solche wie Vergebungsbereitschaft, Zuhörenkönnen
, Mut zur Rationalität. Ehrlichkeit im Alltäglichen, Barmherzigkeit
und Hilfsbereitschaft sind die erkennbaren Merkmale der Gläubigen
(313). Zusammenfassend gesagt ist es eine therapeutische und (im
Blick auf eine ausstrahlende Spiritualität) eine doxologische Grundhaltung
, in der sich christliche Ethik realisiert. Zur erstcren gehört
„Eintreten in die Solidarität mit anderen, besonders Kranken, Armen
und Entrechteten, Bösen und Verirrten" (319). Wenn aber kein Zweifel
an dem Satz denkbar ist. „daß die Kirche für Kranke, Schwache,
Arme, Entrechtete, Diskriminierte, Gefangene und Verfolgte eintreten
muß" (323), so darf dieser Parteilichkeit doch nicht entsprechen,
daß sich die Kirche auf eine politische Ideologie festlegt und im Interesse
dieser an der Lüge teilhat. Sie muß den „Mut zu Objektivität und
echter Neutralität" (323) haben. - „Hoffnung . . ., daß es uns wirklich
gelingen wird, nicht nur den Krieg abzuschaffen, sondern auch einen
seiner hauptsächlichen Gründe, die Vorstellung nationaler Souveränität
" (312).

Als kurzes abschließendes Wort noch folgendes zur allgemeinen
Beurteilung dieses durchaus hervorragenden Werkes. Drei Stärken
und eine kritische Anfrage. (1) Eine deutliche kritische Linie der
herkömmlichen Theologie gegenübergeht durch das Buch: der blinde
Fleck der Theologie hinsichtlich naturkundlicher Probleme wie Kosmologie
, aber auch Anthropologie, hinsichtlich ökologischer Krise
(die nicht einfach ethisch zu bewältigen ist), das ganze Trauerspiel der
Judenfrage und überhaupt das Versagen und Verschulden der Kirchengeschichte
und eine starke Betroffenheit von Leid und Not „in
dieser Welt voller Haß, Krieg, Hunger und Menschenverachtung". (2)
Und doch ist das Buch nicht negativistisch, sondern enorm konstruktiv
: Auch positive Seiten der Kirchengeschichte werden herausgestellt
und sogar an der Missionierung der heute sog. Dritten Welt, ein
Abrücken von modischer Selbstverachtung (325); Zutrauen zur
Rationalität in der Weltbemeisterung und Glaube an eine Menschlichkeit
, die Barmherzigkeit kennt. (3) Wesentliches wird an der Glaubenslehre
herausgestellt: Was ist das Neue mit Jesus Christus'? Unde
malum'? Ein spezifisch christlicher Gottesbegriff (von der Tradition
her als der .trinitarische' benannt), der neue Mensch, die Einheit der
Kirche als Modell für die einheitliche Menschheit. -

Die Anfrage des Rez. ist: ob zu dem allem die sog. Analytische
Philosophie (auf die sich zu beziehen im Referat nicht besonders hervorzuheben
war) wirklich eine wesentliche Voraussetzung oder doch
nur eine begleitende und ausschmückende Zutat (vielleicht ein „läuterndes
Feuer", 290) ist. Der Theologie eignet ja die Neigung, aus
irgendwelchen Komplexen heraus, sich gern mit einer exakten formalen
Philosophie zu verbinden, offenbar um ein empfundenes Gefälle
zu bloßer Rede zu kompensieren. Das Buch markiert den Wechsel
von der Hermeneutik zur Analytischen Philosophie. Ob aber etwas
nun nur mit deren Hilfe eigentlich zu leisten ist, ist dem Rezensenten,
offen gestanden, nicht deutlich geworden.

Berlin Hans-Georg Fritzsche

God is New Each Moment. Edward Schillebeeckx in conversation
with Huub Oosterhuis and Piet Hoogeveen. Translated by Daniel
Smith. Edinburgh: T. & T. Clark Limited. 1983. XIII, 129 S. 8".
Kart.

Grelot, Pierre: Eglise et ministeres. Pour un dialogue critique avec
Edward Schillebeeckx. Paris: Les Editions du Cerf. 1983. 282 S. 8*.
Kart. ITr 1 10,-.

Wenn man durch Jahre hindurch das Werk des Dominikaners
Edward Schillebeeckx kritisch zu begleiten hatte (vgl. ThLZ 103,
1978, 423-426; 104, 1979, 294-298; 106, 1981, 57-58; KuD27,
1981, 131-148), hat die gemeinsame Besprechung dieser beiden
gegensätzlichen Bücher einen besonderen Reiz. Denn beide berühren
eine Grenze im theologischen Ansatz von Schillebeeckx mit der
Frage, die im ersten Buch durch seine eigenen Äußerungen im
Gespräch mit Freunden aufgeworfen und im zweiten Buch von einem
verständnisvollen Kritiker an ihn gerichtet wird, ob dieser Ansät/
nicht letztlich zu einer völligen Auflösung des Christlichen in das
Allgemein-Humanitäre führt.

Die interne römisch-katholische Debatte ist keineswegs ohne
direkte Beziehung zur evangelischen Theologie. Auf manche Parallelen
zwischen Schillebeeckx und z. B. der Ritschlschen Schule ist
mehrfach hingewiesen worden. Das wesentliche Merkmal in der
Theologie von Schillebeeckx liegt darin, daß die historische Methode
und die durch sie erreichten Ergebnisse als dogmatische Grundlage
dafür dienen, die Wirklichkeit des Glaubens im Wandel der geschichtlichen
und sozialen Voraussetzungen zu entfalten. Dies führt zu der
bekannten Frage, was in der Zufälligkeit geschichtlicher und gesellschaftlicher
Veränderungen sowie deren Erhebung und Beurteilung
als theologische Norm noch gelten kann, wenn anders nicht der
geschichtliche Wandel selbst zum Prinzip erhoben werden soll. Daß
diese Konsequenz nicht nur auf Vermutungen beruht, zeigen Äußerungen
in früheren Werken wie diese: „Jede Zeit hat ein eigenes Jesusbild
" (Jesus, 55) oder: „Der aktuelle Lebensbericht von Christen ist
ein 5. Evangelium: Es gehört zum Kern der Christologie" (Christus
und die Christen, 2). Wie unter dem Primat der individuellen Jesus-
Erfahrungen die Identität der Christusoffenbarung festgehalten werden
kann, wie vor allem dann nicht nur das Verbindliche, sondern
auch das für die Kirche Verbindende bestimmt werden kann, das ist
die dogmatische Frage, die freilich nicht auf die Theologie von Schillebeeckx
beschränkt ist. Wo es um so mancherlei Bewegungen in der