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1985

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

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Neuerscheinungen

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Theologische Literaturzeitung 110. Jahrgang 1985 Nr. 10

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den menschlichen Willen zu bestimmen. Die Atemporalität der Vernunft
könne nun sinnvoll erfaßt werden, nachdem der Dualismus von
•ntclligibilitä't und Phänomenalität mit der herausgearbeiteten Differenz
von Sein und Geltung überwunden worden ist. Damit freilich
wird eine Entwicklung eingeleitet, an deren Ende die Vernunft nur
noch auf die Autonomie bezogen wird und nicht mehr auf die spontane
Wirkmächtigkeit der intclligiblcn Kausalität. In der „Metaphysik
der Sitten" bestimmt Kant die praktische Vernunft allein als das
ermögen der Autonomie, Spontaneität spricht er aber nur noch der
Willkür zu.

Die Freiheit wird in der „Religion innerhalb der Grenzen der
bloßen Vernunft" zur Willkür, zwischen dem Sittengesetz und den
Anreizen der Sinne zu wählen. Noch deutlicher wird es damit, daß der
Mensch Tür alles, was er tut, verantwortlich ist. Das Böse wird hier
nicht mehr als Mangel verstanden, sondern als eine gegen das Gute
gerichtete Kraft. Selbst der Charakter eines Menschen kann nicht als
angeboren entschuldigt werden, sondern er wird dem Menschen zugerechnet
. Das Intelligible wird hier Tür Vf. zu einer Art präexistenter
Seele, die das Leben der Menschen von vornherein willkürlich als
moralisch oder unmoralisch festlegt. Warum aber die Entscheidung so
Stallen ist und nicht anders, läßt sich nicht mehr erklären. Grundlos
irrational ist die Entscheidung. Die Willkürfreihcit bekommt hier
••gefährlich fatalistische Züge" (152). die dem Anliegen der Autonomie
doch gerade widersprechen.

Dieser Schwierigkeit eingedenk hat Kant in seiner „Metaphysik der
Sitten" die Theorie der Willkürfreiheit wieder zurückgenommen.
Damit wird aber die Zurechnung der bösen Tat wieder problematisch.
Um sowohl der Verantwortlichkeit Tür Gutes und Böses als auch der
Autonomie des Menschen gerecht zu werden, unterteilt Kant wieder
den Menschen in Vernunft- und Sinnenwesen. Die Freiheit deserste-
ren sieht er in der Befolgung des autonom gegebenen Sittengesetzes,
die des letzteren aber in der Möglichkeit, sich in empirisch gegebenen
Handlungsalternativen zu entscheiden. Offen bleibt Tür Vf., wie dabei
noch die Einheit der Person bewahrt werden kann.

Die vorliegende Arbeit gibt mit ihren radikalen Fragen eine Fülle
von Denkanstößen.

Nicht zu Lasten des Vf., sondern des Verlages gehen die vielen
Druckfehler, die das Lesen ziemlich erschweren.

Neinstedt Hans Schleift"

Albert, Karl: Der Scinsgcdankc in der modernen Religionsphilosophic
(NZSTh 27, 1985 S. 42-56).

Bleiekert, Günter: Der „llimmclsstürmcr". Zum Jesus-Bild von Ernst Bloch
<GuL 58.1985 S. 259-264).

WafMr, Falk: Der Geist neuzeitlicher Subjektivität - Realisator oder Konkurrent
der christlichen Freiheit?(ZThK 82, 1985 S. 71-87).

Watson. G.: The Problem of the Unchanging in Greek Philosophy
<NZSTh 27. 1985 S. 57-70).

Systematische Theologie: Allgemeines

Ritschi, Dietrich: Zur Logik der Theologie. Kurze Darstellung der
Zusammenhänge theologischer Grundgedanken. München: Kaiser
1984.368 S.8 Lw. DM 48,-.

Das Buch ist ganz aus der Perspektive und Welt der „englisch-
sprachigen Theologie und Kirche" (USA und England) und unter
dem Einfluß der dort herrschenden „Analytischen Philosophie"
geschrieben. Es argumentiert mehr empirisch und induktiv als deduktiv
, wendet sich aber gegen den Vorwurf des Positivistischen (28). Eine
Systematik von drei Schritten liegt ihm zugrunde: die Sichtung des
Gegenstandsfeldes der Theologie, die theoretische Erörterung der
Probleme, (Suche nach der Wahrheit) und der Weg zu Ethik und
Doxologie. Oder kurz: das Feld, die Theorie, die Bewährung. Oder

auch die drei Fragen: Was ist der Fall?, Was soll ich denken?. Was soll
ich tun? (25).

Teil I greift recht verschiedenartige Dinge auf, die etwas äußerlich
aneinandergereiht erscheinen. Er beginnt mit der Konstaticrung, daß
die klassische Theologie wichtige Probleme aus ihrem Gegenstandsfeld
ausgeklammert habe: die Kosmologie, Fragen um die Entstehung
des Universums, des Lebens, des Menschen (29, vgl. 275ff); ebenso
mangele es an Einsicht in die Grenzen der Nutzung der Natur und in
die Gefahren ihrer Zerstörung. „Eigentlich theologische Gedanken
sind über die Natur kaum gedacht worden, weil wir - mindestens im
Westen - Theologie auf die Beziehung zwischen Gott und Mensch
und Mitmenschen reduziert haben. Das Dreieck Gott-Mensch-
Natur ist uns als Thema noch nicht gelungen" (33). Wichtig erscheint
auch die Option R.s für die „Analytische Philosophie" im Gegensatz
zur „von Martin Heidegger kommenden deutschen Sprachphilosophie
" (44) oder zum hermeneutischen Vorgehen. Es habe sich „ein
Gegensatz zwischen den beiden Methoden ergeben" (68). „Das analytische
Vorgehen beginnt deskriptiv und verleugnet nicht seine Sympathie
Tür einen empiristischen Ansatz." Es fragt „nach dem, ,was der
Fall ist', wie es so hat kommen können, welche Regeln darin ollen
oder heimlich entdeckt werden können" (69). An der Kirchcnge-
schichtc konstatiert R. ein „Janusgesicht". Einerseits spricht er von
„drei entscheidenden Fehltritten - der Lösung der christlichen Kirche
vom Judentum, der Assimilation der Kirche an politische Machtstrukturen
" (93) und der „Entwicklung der Kirchen . . . auf eine intellektuell
anspruchsvolle Denkweise und ökonomisch hochstehende
Lebensweise hin" (94), wodurch der Kontakt zu den unteren Bildungsschichten
und wirtschaftlich Schwachen erschwert wurde. Doch
steht dem gegenüber eine Anzahl von Gegeninstanzen: Werke der
Barmherzigkeit, der Versöhnung, der Seelsorge und des Trostes,
soziales Engagement, „die selbstlose Arbeit der Missionare, denen
auch die skeptischsten der heutigen Intellektuellen und Politiker der
Dritten Welt größeres Lob spenden als man es im Westen oft wahr- 1
haben will" (95). - Eine Vielzahl weiterer Probleme wird angeschnitten
(meistens in der Tendenz, den Finger auf Schwachstellen und
Defizite der herkömmlichen Theologie zu legen oder eingefahrenen
Vorurteilen zu widersprechen): Ist die Bibel als Basis nicht eine
Fiktion? (98), die Vernachlässigung der Patristik (105), logische
Aporien an dogmatischen Sätzen wie der Allmacht Gottes oder am
Theodizeeproblem (67). „Nicht alte Texte, und seien sie uns noch so
lieb und vertraut, gilt es für die Gegenwart .relevant' zu machen,
sondern die Gegenwart mit ihren Rätseln, Nöten und Angeboten soll
gegenüber den alten Texten . . . relevant, durchsichtig und nutzbar
gemacht werden" (135).

Der Teil II (Die Theorie: Die Suche nach der Wahrheit) skizziert
die „innere Logik" (162) christlicher Glaubenslehre in vier Schritten.
Er setzt an den Anfang die Erwählungslehre im Zusammenhang der
Ekklesiologie. Das heißt: Mit der empirischen Kirche beginnen, mit
„ihren Aufgaben und Traditionen, ihren Spannungen und ihrem Versagen
" (163), vor allem an der „Einheit und Versöhnung zwischen
Juden und Heiden" (161). Besonderen Schwerpunkt legt R. auf die
Erwählung Israels (und praktisch gesehen auf den jüdisch-christlichen
Dialog wie heute sehr ausgeprägt in den USA, 165).

Der zweite Themenkomplex ist „die Identität der Rede von Gott
(Trinitätslehre)". Er entwickelt sie in der Abgrenzung gegen den „philosophisch
konzipierten Theismus" (176), der besonders dem Leiden
und Bösen in der Welt nicht standhält (1760- Das biblische Verständnis
von Gott, das in die Trinitätslehre mündet, will von Gott nicht
sprechen „unter Absehung seiner Beziehung zu den Menschen, seiner
Teilnahme am Leiden Israels und aller Menschen, seiner Übernahme
des Todes und seiner Gabe des Geistes" (177). Wiederum darf mit der
Absage an den philosophischen Theismus nicht eine Verachtung der
Gottesvorstellungen anderer Kulturen verbunden sein. Aber die Missionstätigkeit
der Kirche muß versuchen, den spezifisch biblischen
Vorstellungsrahmcn des Gottescrlebens auf die fremdreligiöse Wirklichkeit
zu übertragen (206).