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Ausgabe:

1985

Spalte:

752-754

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Schleiermacher, Friedrich

Titel/Untertitel:

Schriften aus der Berliner Zeit, 1796 - 1799 1985

Rezensent:

Nowak, Kurt

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Theologische Literaturzeitung I 10. Jahrgang 1985 Nr. 10

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Anathema der Bischöfe über Palladius in der Form eines römischen
Kognitionsprozesses geführt hat" (68). Campenhausen hatte dies „ein
unerfreuliches Schauspiel" genannt. F. kritisiert dieses Urteil und verteidigt
Ambrosius: „Ambrosius war von der Richtigkeit der Lehre des
Konzils von Nicäa zutiefst überzeugt. Jedes Abweichen vom überlieferten
Glauben bedeutete aufgrund der kaiserlichen Gesetzgebung
und nach seiner persönlichen Überzeugung ein sacrilegium" (68).

Beim Streit um den heidnischen Altar im römischen Senatssaal
polemisiert F. gegen die Bezeichnung des Ambrosius als Hofbischof
oder Hofprediger. Er meint: „Im Bewußtsein seiner Verantwortung
für die Kirche und die Zukunft des Glaubens bemüht sich der Bischof,
heraufsteigende Gefahren zu erkennen und rechtzeitig Schaden abzuwenden
" (71). Der Abschnitt endet mit den Sätzen: „Die christlichen
Senatoren - es ist umstritten, wie stark ihre Partei im Senat war -
wurden nicht mehr dem Zwang des heidnisch-römischen Kultes ausgesetzt
. Die Freiheit des christlichen Glaubens blieb für sie gewahrt"
(75). Man muß fragen: Warum haben die christlichen Senatoren diese
Sache nicht in Rom selbst durchgefochten? Warum konnten die
Bischöfe von Rom die Frage nicht lösen - weder Damasus noch Siri-
cius, denen es doch an Energie nicht fehlte? Ambrosius mußte von
Mailand aus eingreifen, weil er Hofbischof und Hofprediger war! Im
Mailänder Kirchenstreit war Ambrosius „nicht eigentlich tolerant
gegenüber Andersdenkenden und Andersglaubenden. Wie für ihn
blieb ja Toleranz durch alle Jahrhunderte innerhalb der Kirche
suspekt, bis das 2. Vatikanische Konzil mit der Forderung nach Religionsfreiheit
diese als ein positives Gut anerkannt hat" (78). Muß man
darauf hinweisen, daß es neben der römisch-katholischen Kirche
andere Kirchen gibt, denen die Religionsfreiheit ein hohes Gut war
schon vor dem 2. Vatikanum? Zur konfessionellen Beurteilung des
Ambrosius sagt F.: „Daß für ihn (Ambrosius) die sichtbare Institution
Kirche und ihr Recht identisch sind mit der von Gott gestifteten
Kirche und dem göttlichen Recht, war und blieb katholische Auffassung
. Für den Protestanten Campenhausen ist dagegen die äußere Gestalt
der Kirche weniger wesentlich" (81). Ein Brief des Ambrosius
über die Freiheit aus dem Jahre 387 zeigt, daß die stoische Freiheit
ihre Erfüllung findet in der paulinischen Freiheit: Freiheit besteht im
Dienen. Ambrosius zitiert lKor9,19: Da ich also von niemand abhängig
war, habe ich mich für alle zum Sklaven gemacht, um möglichst
viele zu gewinnen (88). Aber Ambrosius schweigt über die Essener
, die seine Ideale verwirklicht hatten: „Da die Essener keine auf
Christus ausgerichtete Gemeinschaft bildeten, vermied er es, sie überhaupt
zu erwähnen" (96).

Selbst für das Verhalten des Ambrosius zum Synagogenbrand in
Kallinikum 388 bringt F. Verständnis auf: „Eine gewisse Erklärung
für das uns zweifellos befremdende Verhalten des Bischofs gegenüber
den Juden im Jahre 388 dürfte aber in einer für die damalige Kirche
nicht ungefährlichen Missionskonkurrenz zwischen Christen und
Juden liegen. Toleranz im Sinne der Aufklärung und Freiheit der
Religionsausübung als ein Menschenrecht suchen wir bei Ambrosius
vergebens" (105). Das Blutbad von Thessalonich 390 sieht F. im
Zusammenhang mit Schriften des Ambrosius über David: „Der
Parallclismus David-Theodosius, die aktuelle Bezogcnheit des in
Sünde verstrickten und Gott um Vergebung bittenden Königs David
auf den zur Kirchenbuße aufgerufenen Kaiser Theodosius macht die
einmalige Bedeutung dieses Werkes aus" (117). Aus der Schrift „De
offieiis" des Ambrosius erörtert F. einen Absatz, der im Sinne einer
Aufforderung zum Selbstmord mißverstanden werden konnte
(120-123). Der Satz des Ambrosius, daß allein die Jungfräulichkeit
Freiheit geben könne, wird ebenso untersucht wie der, daß der Tod
kein Übel ist, weil er die Freiheit wiederherstelle. Das letzte Kapitel
erörtert die Frage nach der Freiheit des Willens. F. sieht eine Entwicklung
: „Die optimistische Beurteilung des asketischen Bemühens, wie
sie in den Schriften zur Jungfräulichkeit 377 unter dem Einfluß von
Philo zu finden ist und Ambrosius eine dem Semipclagianismus vergleichbare
Position einnehmen läßt, ist in den Spätschriften einer von
Paulus beeinflußten und der Gnadcnlehrc Augustins nahekommenden
Haltung gewichen" (136). Der Abschnitt endet mit dem Satz:
„Die höchste Form des Zusammenwirkens menschlicher Freiheit mit
der Gnade Gottes umschreibt Ambrosius mit den Worten: Christo,
cui servire libertas est" (137).

F. hat eine gründliche Quellenstudie vorgelegt. Er hat sich intensiv
in die Gedanken des Ambrosius hinein gedacht, um ihn voll zu verstehen
. Diese gute Absicht verführt freilich dazu, daß nun auch alles
entschuldigt werden soll, was bei Ambrosius vorgekommen ist. Die
Probleme nennt F. sehr klar, den Unterschied zu heutigen Maßstäben
ebenso. Aber die allzu apologetische Parteinahme für Ambrosius, die
jede Kritik an ihm primär als protestantisch abtut, wird bei so manchen
Lesern Widerspruch hervorrufen.

Rostock Gert Haendler

Schleiernlacher, Friedrich: Schriften aus der Berliner Zeit
1796-1799. Hrsg. v. G. Meckcnstock. Bcrlin-New York: deGruy-
ter 1984. XCI, 429 S. gr. 8' = Kritische Gesamtausgabe, I.Abt.
Bd. 2. Lw. DM 198,-.

Nachdem G. Meckenstock Ende 1983/Anfang 1984 innerhalb der
KGA Bandl/l („Jugendschriften von 1787-1796") vorgelegt hat
(vgl. ThLZ 109, 1984,918-926:9240. edierte er in kurzer Zeit einen
weiteren (Teil-)Block aus dem Oeuvre des jungen Schlciermacher.
Der Ende 1984 ausgelieferte Band KGA 1/2 enthält folgende Druckschriften
Schleiermachers: 1. Die Fragmente aus dem „Athcnaeum"

(1798) . 2. Versuch einer Theorie des geselligen Betragens (1799). 3.
Über die Religion (1799). 4. Briefe bei Gelegenheit der politischtheologischen
Aufgabe und des Sendschreibens jüdischer Hausväter

(1799) . 5. Rezension von Immanuel Kant: Anthropologie (1799). -
Von den 1796 bis 1799 entstandenen bzw. begonnenen Handschriften
, sämtlich im Zentralen Archiv der Akademie der Wissenschaften
der DDR aufbewahrt, sind folgende Stücke ediert: 1. Vermischte Gedanken
und Einfälle (Gedanken I) (1796-1799). 2. und 3. Notizen
und Exzerpte zur Vertragslehre sowie Entwurf zur Abhandlung über
die Vertragslehre (1796/97). 4. und 5. Leibniz I und Leibniz II
(I 797/98). 6. Gedanken II (I 798). 7. Gedanken III (I 798 bis 1801). 8.
Zum Armenwesen (vermutlich 1798).

Besonders hinzuweisen ist auf das von Dilthcy lediglich erwähnte
Ms.: Leibniz II und auf das Ms.: Zum Armenwesen, ein Stichwort-
und Gedankenkonzept, das offenbar die erste Stufe einer nicht ausgeführten
Studie darstellt. Weitere Mss. bzw. literarische Projekte -
Essais über Treue und Scham, Skizze über die Immoralität aller bisherigen
Moral - müssen als verloren gelten. Abgerundet wird die Edition
durch zwei Schriften, die nichts aus Schleiermachers Feder stammen
: I. Politisch-theologische Aufgabe über die Behandlung der
jüdischen Täuflinge (1799). 2. [David Friedender]: Sendschreiben an
Seine Hochwürden, Herrn Oberconsistorialrath und Probst Teller zu
Berlin, von einigen Hausvätern jüdischer Religion (1799). Damit wird
die bereits in KGA 1/7.3. geübte Praxis fortgesetzt, schwer zugängliche
Texte, sofern sich Schlciermacher in seinen Schriften relevant
aufsic bezieht, mitzudrucken.

Die Edition der Druckschriften stellte den Editor nicht vor besonders
weitreichende Probleme, da die Mss. nicht mehr zur Verfügung
stehen und somit kritisch-philologische Vergleiche entfallen. Einige
kleinere Probleme werfen die Fragmente im „Athcnaeum" auf. Bekanntlich
sind die 451 Fragmente des „Athcnaeum" gemäß dem frühromantischen
Ideal der Symphilosophie anonym zum Druck gekommen
. Die quellenkritische Zuweisung der Stücke an die Gebrüder
Schlegel, Novalis und Schleiermacher läßt nach den Arbeiten Dil-
theys, Minors und Eichners relativ wenige Fragen offen. Doch bieten
sich immer noch Spielräume für unterschiedliche Zuweisungen an.
Meckenstock hat gegen Dilthey und Eichner, in diesen Fällen m. E.
zu Recht, die Fragmente 333 und 361 Schlciermacher zugewiesen;
desgleichen die Fragmente 276 und 358. Hingegen werden die Fragmente
86 (nur gegen Minor), 378 und 407 nicht für Schlciermacher
beansprucht. Leitend dabei ist der „restriktive Grundsatz", für