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Ausgabe:

1985

Spalte:

747-748

Kategorie:

Kirchengeschichte: Territorialkirchengeschichte

Titel/Untertitel:

Babylonische Gefangenschaft 1937 - 1938 1985

Rezensent:

Meier, Kurt

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Seite 1

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747

Theologische Literaturzeitung 1 10. Jahrgang 1985 Nr. 10

748

neue Einsichten ergeben, ohne sie stringent in eine Gesamtschau der
Entwicklung einzubringen. Doch derartige Desiderata treten hinter
den Vorzügen der ausgezeichneten Arbeit mit ihren exakten Untersuchungen
und ihrer soliden Urteilsbildung zurück.

Münster Wolf-Dieter Hauschild

Schäfer, Gerhard: Die evangelische Landeskirche in Württemberg
und der Nationalsozialismus. Eine Dokumentation zum Kirchenkampf
. Bd. 5: Babylonische Gefangenschaft 1937-1938. Stuttgart:
Calwer 1982. XXIII, 1180 S. gr. 8°. Lw. DM 56,-.

Die territorialgeschichtlich vorbildliche Kirchenkampf-Dokumentation
der württembergischen Landeskirche wurde in den bisherigen
Bänden auch nach ihren editorischen Vorzügen bereits vorgestellt
(ThLZ98, 1973 Sp. 305-307; 100, 1975 Sp. 693-696; 104, 1979
Sp. 842 f). Nach dem Rücktritt des Reichskirchenausschusses erwies
sich die reichskirchliche Gleichschaltungsstrategie endgültig als
Fiasko. Kerrls staatskirchliche Verordnungspläne Mitte Februar 1937
wurden von Hitler durch den überraschenden Erlaß zur Abhaltung
einer freilich nie zustandegekommenen Kirchenwahl desavouiert.
Die unterschwellig angelegte Distanzierungs- und Ausschaltungstendenz
des NS-Regimes gegenüber Kirche und Christentum, propagandistisch
als „Entkonfessionalisierung des öffentlichen Lebens" firmiert
, wird auf der ganzen Linie sichtbar. Auch dazu wird reichlich
interessantes Archivmaterial geboten, wobei Korrespondenzen, Aufrufe
, Berichte, Denkschriften u. a. repräsentativ und aspektreich ausgewählt
sind. Schon die instruktive Einleitung des Herausgebers bietet
einen konzeptionellen Durchblick. Die Dokumentation ist so angelegt
, daß sie auch von bekannten Vorgängen vielfach unveröffentlichtes
neues Material aus dem Landeskirchlichen Archiv Stuttgart bietet.
Material- und Literaturverweise zu analogen, anderwärts bereits
edierten Texten sind in den Anmerkungen gegeben. Der Bandtitel hat
zeitgenössischen Bezug in einer Denkschrift des Evangelischen Gemeindedienstes
in Württemberg Ende 1937, die so betitelt ist (vgl.
S. 424). Auch der bayerische Oberkirchenrat Breit hat damals von
einer „Babylonischen Gefangenschaft" (S. 251) gesprochen, in die die
Kirche versetzt sei, und zu Illusionslosigkeit aufgefordert. Der Hauptfeind
wurde schon jetzt nicht mehr in den Deutschen Christen gesehen
, mit deren radikalen Vertretern (so Dr. Immanuel Schairer, Georg
Schneider) es durch Suspendierung zum Bruch kam; vielmehr mußte
man sich immer stärker der Machinationen des NS-Weltanschau-
ungsstaates erwehren. Bezeichnend für den fortschreitenden Ernüchterungsprozeß
, wie er hier eindrücklich belegt ist, war, daß zwar die
Hoffnung noch nicht aufgegeben war, „daß die maßgebenden Stellen
sich zur Aufgabe einer verfehlten .Kirchenpolitik . . . entschließen"
(S. 96). Gleichwohl wurde in der württembergischen Kirchenleitung
schon 1937 der resignative Standpunkt vertreten, daß Staat und NS-
Partei „sich für einen antichristlichen Kurs entschieden haben"
(S. 172).

Apologetische Berufung auf kirchenpositiv klingende Zitate aus
Hitlers „Mein Kampf und anfänglichen Reichstagserklärungen
wurden damals mit Hinweis auf Gestapoverfügung vom 9.4. 1937
untersagt; verwendete Zitate dieser Art seien genehmigungspflichtig
(S. 458). Für ein schließlich eingestelltes Strafverfahren gegen Wurm
im Zusammenhang mit Auseinandersetzungen um die freikirchliche
Stellungnahme auf der Weltkirchenkonferenz in Oxford 1937 wurde
ein hier abgedruckter umfangreicher Schriftsatz (S. 590-630) erstellt,
der die Kirchenpolitik seit 1933 rekapituliert und den Nachweis
rechtswidriger Eindämmung kirchlicher Wirksamkeit erbringt. Auch
sonst besitzen nicht wenige Texte übergreifend-exemplarischen
Belegcharakter für die spezielle Phase der unmittelbaren Vorkriegsjahre
1937-1938.

Umfangreiche Passagen dokumentieren Bemühungen um bekenntniskirchliche
Frontverbreiterung in Württemberg und im Reich,
sofern und soweit ein landeskirchlicher Bezug gegeben ist: angesichts
der bedrängenden Lage eine kirchliche Lebensnotwendigkeit. Zugleich
werden die konträren theologischen Prämissen und entsprechenden
kirchlichen Folgeprobleme mancher Konflikte deutlich, wie
sie sich in Württemberg vor allem zwischen Oberkirchenrat, Landes-
bruderrat und Kirchlich-Theologischer Sozietät Hermann Diems
abzeichneten. Wurde in der Sozietät die barmenianisch-dahlemi-
tische Bekenntnislinie konsequent verfolgt, so verstand sich die Autorität
des Landesbischofs Wurm weniger von Barmen her, als vielmehr
von seiner biblisch gesättigten geistlichen Autorität im Rahmen eines
volkskirchlich geprägten Frömmigkeitshabitus. Übertragung eines
notrechtlichen Kirchenregiments bekenntnissynodaler Observanz
wies der von Wurm geleitete Oberkirchenrat, dabei im ganzen vom
Landesbruderrat verständnisvoll-kritisch begleitet, durchaus zurück,
weil nur Berufung und Stützung auf die Restbestände staatskirchen-
rechtlich gesicherter kirchlicher Legalitätsstrukturen die Landeskirche
funktionstüchtig zu erhalten schien. Berufung auch auf staatliche
Rechtsgrundsätze dienten der Abwehr der religionspolitischen
Restriktionstendenz des NS-Staates, wobei nicht selten argumentativ
zunächst auch auf den Nutzen hingewiesen wurde, den der NS-
Staat aus einer Wiederherstellung von Rechtspositionen auch im
Kirchlichen selber hätte. Analog dazu versteht sich dann die spätere
Eingabenpolitik gegen die Judenvernichtung während des Zweiten
Weltkrieges (vgl. ThLZ 95,1970 Sp. 687-689).

Im Kapitel „Der alltägliche Kampf um das kirchliche Leben"
(S. 399-697) geht es auch um das Verhältnis der Pfarrer zur NSDAP,
zu deren konkurrenzhafter Feiergestaltung, um den Kampf um
Rosenbergs „Mythus" und andere Fragen eines Weltanschauungswiderstandes
, auch um Verhaftungen und Maßregelungen. In anderem
thematischem Zusammenhang kommen Probleme des Religionslehrer
- und des Pfarrereides, der Gemeinschaftsschule, die für Württemberg
im Unterschied zu Baden ein Novum war, der Kürzung und
Sperrung von Staatsleistungen für die Kirche (S. 698-853) sowie
übergreifende Probleme im Reichs- und Landeskirchenmaßstab zur
Sprache.

Der gesamtkirchliche Aspekt ist sinnvoll eingebracht, nicht nur in
den knappen, kursiv gesetzten Orientierungshinweisen des Herausgebers
vor den jeweiligen Dokumenten, die den Kontext aufleuchten
lassen, sondern auch durch eine Reihe von übergreifend relevanten
Texten selbst. Der abschließende Band 6 soll die Jahre 1939 bis 1945
dokumentieren.

Leipzig Kurt Meier

Vlemmesheimer, Anton: Zur älteren Geschichte der lutherischen Gemeinde
Windesheim (MEKGR 33, 1984 S. 1-20).

Menk, Gerhard: Die Hohe Schule Herborn, der deutsche Kalvinismus und
die westliche Welt (JHKGV 35, 1984 S. 351-369).

Perlitt, Lothar: Professoren der Theologischen Fakultät in Göttingen als
Äbte von Bursfelde (JGNKG 82,1984 S. 7-25).

Dogmen- und Theologiegeschichte

Livingstone, Elizabeth A. [Ed.]: Studia Patristica, XV. Papers presen-
ted to the Seventh International Conference on Patristic Studies
held in Oxford 1975. Part I: Inaugural Lecture, Editiones, Critica.
Biblica, Historica, Theologica, Philosophica, Liturgica. Berlin:
Akademie-Verlag 1984. XIV, 585 S. gr. 8' = Texte und Untersuchungen
zur Geschichte der altchristlichen Literatur, 128. Kart.
M 107,-

Im 25. Jahre seit ihrer Gründung trat die Internationale Konferenz
für Patristische Studien in Oxford 1975 zum siebenten Male zusammen
. Seit der zweiten Konferenz (1955) wurden die meisten der eingereichten
Papers in den „Texten und Untersuchungen" veröffentlicht.
Diese Sammelbände wurden jeweils gruppenweise in der ThLZ 88,
1963 Sp. 905; 94, 1969 Sp. 596; 104, 1979 Sp. 561 angezeigt. Da die
Veröffentlichung zur 7. Konferenz erst sehr spät begonnen hat, soll
der jetzt erschienene erste Teil sogleich vorgestellt werden, ohne das
Erscheinen des zweiten Teils abzuwarten. Es kann sich dabei nur um