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Ausgabe:

1985

Spalte:

743-745

Kategorie:

Kirchengeschichte: Territorialkirchengeschichte

Autor/Hrsg.:

Groth, Friedhelm

Titel/Untertitel:

Die "Wiederbringung aller Dinge" im württembergischen Pietismus 1985

Rezensent:

Spindler, Guntram

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Theologische Literaturzeitung I 10. Jahrgang 1985 Nr. 10

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vielen faksimilierten Titelblätter, Textproben und zeitgenössischen
Porträtstiche und Bildnisse - wie auch in der Zusammenstellung des
Materials eindrückliche und nützliche Übersicht über die Druckproduktivität
im Kontext der Entstehung des Heidelberger Katechismus
und seiner Wirkungsgeschichte bis ins 17. Jh. hinein. Der Vf. schließt
sich der Deutung des Heidelberger Katechismus als auf melanchtho-
nischem Boden gewachsen an, einer Deutung, die in ihrer Einlinigkeit
schwerlich zu halten sein wird. Ich bin auch geneigt, den konfessionspolitischen
Ereignissen der Jahre 1560 und 1561 ein stärkeres Gewicht
zuzumessen als der Vf. es erkennen läßt. Wichtig ist der Hinweis
auf die konfessionskundlich interessanten Sammeldrucke, bei denen
der Katechismus nur ein Bestandteil neben anderen ist (S. 32-38).
Hier ergeben sich interessante Analogien zur Confession de foi (vgl.
die Untersuchung von Hannelore Jahr von 1964). Wichtig sind ferner
die Hinweise auf die frühe Auslegungsgeschichte des Heidelberger
Katechismus, obwohl gerade an dieser Stelle erneut bekannte Forschungslücken
bewußt werden:

Es fehlt für den Heidelberger Katechismus-ebenso wie teilweise für
den Kleinen Katechismus Luthers, in jedem Falle aber für die Confes-
sio Augustana - eine Auslegungsgeschichte, für die die bibliographischen
Vorarbeiten noch nicht geleistet sind. Auch verlangt die kir-
chen- und buchgeschichtliche Darstellung, wie Henss'sie bietet, nach
einer Ergänzung durch den religionspolitischen Aspekt, wie Volker
Preß ihn mit vielen nachdenkenswerten Hinweisen und Ergebnissen
aufgezeigt hat.

Das Büchlein ist angeregt worden durch die Ausstellung zum Jubiläum
des Heidelberger Katechismus im Jahre 1963 und versteht sich
als Beiheft zur gleichzeitig erscheinenden Faksimileausgabe der
3. Auflage des Katechismus von 1563 und seiner ersten lateinischen
Fassung. Es macht drucktechnisch einen sorgfältig gearbeiteten Eindruck
, wobei der Druckfehler ausgerechnet auf dem Titelblatt fast der
einzig bemerkbare ist.

Leipzig F.rnst Koch

Territorialkirchengeschichte

Groth, Friedhelm: Die „Wiederbringung aller Dinge" im württembergischen
Pietismus. Theologiegeschichtliche Studien zum cschatolo-
gischen Heilsuniversalismus württembergischer Pietisten des
18. Jahrhunderts. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1984.
432 S. gr. 8° = Arbeiten zur Geschichte des Pietismus, 21. geb.
DM 76,-.

In einigen pietistischen Kreisen Württembergs, so vor allem in der
Pregizer-Gemeinschaft, der Michael-Hahnschen Gemeinschaft, aber
auch in Gruppen der Altpietisten, die alle ihre Entstehung dem Wirken
der „Schwäbischen Väter" des 18. und auch des 19. Jh. verdanken
, ist bis heute die Vorstellung vom Tausendjährigen Reich sowie
besonders auch von der „Wiederbringung aller Dinge" lebendig
geblieben. Diese Tatsache ist gewissermaßen der „Sitz im Leben" für
das Buch von Friedhelm Groth mit dem Titel „Die . Wiederbringung
aller Dinge' im württembergischen Pietismus. Theologiegeschichtliche
Studien zum eschatologischen Heilsuniversalismus württembergischer
Pietisten des 18. Jahrhunderts", das im Jahre 1984 als
21. Band der „Arbeiten zur Geschichte des Pietismus" bei Vandenhoeck
u. Ruprecht in Göttingen erschienen ist.

Der sehr sorgfältig gearbeiteten und informativen Studie liegt eine
Dissertation zugrunde, die 1981 vom Fachbereich Evang. Theologie
der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster angenommen worden
ist. Sie legt im wesentlichen dar, welche Gestalt und welchen
Stellenwert die Lehre vom Tausendjährigen Reich Gottes bzw. Christi
auf der Erde und von der schließlichen Allvcrsöhnung (apokatastasis
panton) als letztem eschatologischen Geschehen in den „Systemen"
führender und einflußreicher pietistischer Theologen im Württemberg
des 18. Jh. und darüber hinaus gehabt haben. Es handelt sich

dabei vor allem um Johann Albrecht Bengel (1687-1752), Friedrich
Christoph Oetinger (1702-82), Magnus Friedrich Roos (1727-1803,
er steht der Lehre von der Wiederbringung kritisch gegenüber).
Philipp Matthäus Hahn (1739-90), Christian Gottlob Pregizer
(1751-1824) und Michael Hahn (1758-1819). Die Fortführung seiner
Untersuchungen bis in das 20. Jh. hinein, die den Schlußteil seiner
Doktorarbeit bildet und in der Groth die Bedeutung von „Chiliasmus
und Apokatastasishoffnung in der Reich-Gottes-Verkündigung der
beiden Blumhardts" darstellt, ist von ihm in dem Jahrbuch „Pietismus
und Neuzeit", Band 9, Göttingen 1983. S. 56ffbzw. S.671Tveröffentlicht
worden.

Bevor Groth aber die Bedeutung der Vorstellungen vom Tausendjährigen
Reich und von der „Wiederbringung aller Dinge" bei den
wichtigsten Repräsentanten des württembergischen Pietismus behandelt
, geht er ausführlich auf Speners Aussage von der ..Hoffnung besserer
Zeiten" ein, in der er den entscheidenden Einfluß für die Herausbildung
chiliastischer Ansichten in der Frühzeit des Pietismus in
Württemberg (bis ca. 1720) und ihrer Ausformung bei Bengel als der
ersten Gestalt seiner Blütezeit sieht. Aber schon in seinem Einleitungskapitel
, in dem er unter anderem die wichtigste neuere Literatur
zum Problem der „Apokatastasis panton" vorstellt und dabei eine
grundsätzliche „Wiederentdeckung der futurischen Eschatologie" mit
dem Trend zu einem „eschatologischen Heilsunivcrsalismus" in der
systematischen Theologie seit Mitte der 60er Jahre konstatiert, weist
Groth auf die Bedeutung des 17. Artikels der Confessio Augustana
von 1530 für die gesamte Problematik hin. Dort werden sowohl die
Lehre von der schlicßlichen „Apokatastasis panton" als auch gewisse
chiliastische Anschauungen in Form von Vorstellungen von einem
weltlichen Reich der Frommen vor der Totenauferstehung verworfen
und der „doppelte Ausgang" nach dem Jüngsten Gericht als rechte
Lehre von den letzten Dingen betont. Während diese Position auch
von der Orthodoxie eingenommen wurde, findet sich demgegenüber
bei Spener immer wieder die Aussage von der „Hoffnung besserer
Zeiten für die Kirche", einer Gnadenzeil vor dem Weltende. Das
lebenslange Eintreten Speners für diesen Gedanken hat dann nach
Groth maßgeblich mit dazu beigetragen, „daß sowohl chiliastische
Vorstellungen wie andererseits z. T. auch die - mit dem Chiliasmus
verwandte - Lehre von der Apokatastasis in kirchlich-pietistischen
Kreisen und darüber hinaus gefördert und verstärkt wirksam geworden
sind" (S. 39). Das gilt nun auch für den Pietismus in Württemberg
, dessen entscheidende Beeinflussung durch Spener unbestritten
ist (S. 51 IT). Verstärkt wurde diese Wirkung des Spencrschen eschatologischen
Gedankenguts durch die Überzeugungen und Schriften des
Ehepaares J. W. Petersen (1649-1726) und J. E. Petersen
(1644-1724), das zu entschiedenen Vertretern einer streng chiliasti-
schen Konzeption und der Lehre von der „Wiederbringung aller
Dinge" wurde und mit dem der Begründer des Pietismus bis zu seinem
Lebensende (1705) kritisch-solidarisch verbunden blieb.

Im Mittelteil seines Buches, den Kapiteln III und IV, legt Groth
dann dan wie Bengel unter Aufnahme der Spenerschen „Hoffnung
besserer Zeiten" eine dezidierte Lehre vom Tausendjährigen Reich
unter der Herrschaft Christi herausgebildet und sich zugleich - nun
auch unter dem Einfluß von Vorstellungen des Ehepaars Petersen -
dem Gedanken von der „Apokatastasis panton" genähert hat, und wie
dann beide Motive von Oetinger unter der Einwirkung seines Lehrers
und Freundes aufgenommen, verstärkt und mit neuen Elementen versehen
worden sind. Dabei wird gezeigt, daß die Lehre von einem -
zweifachen - Tausendjährigen Reich, dessen Beginn auf das Jahr 1836
festgesetzt wurde, bei Bengel eine konstitutive Bedeutung für seine
Eschatologie und für sein gesamtes theologisches Denken gewonnen
hat und daß dieser Chiliasmus wie auch die damit zusammenhängende
und diesen vollendende .Vorstellung von der Allversöhnung in
der rechten Erkenntnis der Heiligen Schrift, und hier besonders in der
richtigen Deutung der Offenbarung des Johannes wurzelt, die diesem
„Schwäbischen Vater" nach dessen Selbstcinschätzung erstmals geschenkt
worden ist. Die eschatologischen Ereignisse, deren chronolo-