Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1985

Spalte:

742-743

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Henß, Walter

Titel/Untertitel:

Der Heidelberger Katechismus im konfessionspolitischen Kräftespiel seiner Frühzeit 1985

Rezensent:

Koch, Ernst

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

741

Theologische Literaturzeitung 110. Jahrgang 1985 Nr. 10

742

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Sonntag, Franz Peter: Ruhelose Zeit. Das Jahrhundert der Reformation
und der Reform. Leipzig: St. Benno 1984. 391 S., 24 Taf. gr.
8*. Lw. M 16,30.

Der Vf. lehrt an dem Philosophisch-Theologischen Studium der
römisch-katholischen Kirche in Erfurt Kirchengeschichte und ist seit
längerem in der wissenschaftlichen Öffentlichkeit durch einige Arbeilen
bekannt, die sich teils mit territorialkirchengeschichtlichen Fragen
, teils mit bestimmten Gestalten des Spätmittelalters und der
Reformationszeit befassen1. Insbesondere hat Sonntagauch einen Beitrag
über ..Luther in katholischer Sicht" geliefert, in welchem er im
Sinne der neueren katholischen Lutherforschung dem Reformator
aufgeschlossen und mit einem sehr weitgehenden Bemühen um Verständnis
begegnet2.

Von diesem Geist ist auch seine jetzt erschienene Darstellung der
Reformationsgeschichte bestimmt. Der Titel „Ruhelose Zeit. Das
Jahrhundert der Reformation und der Reform" enthält kein Werturteil
gegen eine der damals miteinander ringenden Richtungen, sondern
weist auf die vielen ungelösten Fragen des Spätmittelalters wie
der Reformationszeit hin. Sonntags Schilderung bringt keine neuen
Forschungen. Sonntag weiß sich, was das moderne protestantische
Lutherverständnis betrifft, nach seinen Worten und in der von ihm
genannten Reihenfolge den Arbeiten von Franz Lau, Otto Scheel.
Karl Holl, Heinrich Bornkamm, Ulrich Kühn, Ingetraut Ludolphy,
Walther v. Loewenich, Leif Grane und Martin Bogdahn verpflichtet.
Hinsichtlich der katholischen reformationsgeschichtlichen Forschung
stützt er sich besonders auf die Studien von Sebastian Merkle, Adolf
Herte, Joseph Lortz, Hubert Jedin, Erwin lserloh sowie auf das theologische
Bemühen von Gottlieb Söhngen, Daniel Olivier, Robert Gro-
sche, Hans Küng, Joseph Ratzinger, Otto H. Pesch, Albert Brandenburg
und Heinrich Fries. Was die allgemeine Geschichte angeht, so
fußt Sonntags Darstellung auf den Arbeiten von Karl Brandi und
Stephan" Skalweit, und für die Geschichte der Kurie resümiert er die
Forschungen von Karl August Fink (10). Ihren Wert hat Sonntags
Darstellung, die aus Vorlesungen hervorgegangen ist, in der anschaulichen
Schilderung mancher Aspekte der damaligen Epoche sowie in
der ausführlicheren Würdigung der wichtigeren theologischen Streitfragen
des 16. Jahrhunderts.

Der erste Hauptteil. „Zeitenwende" (12-148), behandelt ein „sterbendes
Zeitalter". Hier werden erörtert u. a. das avignonesische Exil
des Papsttums, das abendländische Schisma um 1400, die konziliare
•dee und die Reformkonzilien des 15. Jahrhunderts, das Renaissance-
Papsttum, die spätmittelalterliche Frömmigkeit, der Humanismus,
die Wandlungen in Wirtschaft und Recht sowie „Kaiser und Reich".
Ein besonderer Schwerpunkt ist hier die Erörterung des Isenheimer
Altars unter frömmigkeitsgeschichtlichem Aspekt (84-92).

Der zweite Hauptteil, „Martin Luther" (150-252), behandelt die
frühe reformationsgeschichtliche Entwicklung im engen Sinne, wobei
der Vf. schwerpunktmäßig die Gestalten Luthers und Karls V. würdigt
.

Der dritte Hauptteil, „Die Geburt des konfessionellen Zeitalters"
(254-338), ist der Entwicklung von 1521 bis 1555 gewidmet. Im Mittelpunkt
steht die konfessionelle und politische Geschichte im großen.
Etwa die Richtungen des „linken Flügels" werden kaum behandelt.

Ein kurzer vierter Hauptteil, „Das Konzil von Trient und kirchliche
Reform" (340-360), beschließt die Darstellung. Es folgen ein
Literaturverzeichnis, ein Register der genannten Personen sowie 24
gut ausgewählte und sorgfältig reproduzierte Abbildungen zur Reformationsgeschichte
.

An manchen Stellen ist dem Vf. anscheinend neuere Literatur noch
nicht zugänglich gewesen; auf jeden Fall müssen gegen bestimmte
Partien der Schilderung kritische Bedenken geltend gemacht werden,
von denen hier nur einige genannt werden können. Was das Spätmittelalter
betrifft, so wird etwa der Konflikt zwischen Ludwig dem

Bayern und dem Papsttum kaum behandelt (21,25). Hingegen dürften
die politischen und kirchenpolitischen Ideen von Wilhelm von
Ockham und Marsilius von Padua zu stark herausgestellt worden sein
(22-26, 57). Insbesondere dürfte die These, Ockham und Marsilius
seien „die alleinigen Väter des sogenannten Konziliarismus" (57), viel
zu weit gehen; sie berücksichtigt u. a. nicht die wichtigen Forschungen
von Brian Tierney (bes.: Foundations of the Conciliar Theory, Cambridge
1955). Zu den Auswirkungen des Konziliarismus im 16. Jh.
vermißt man die wichtigen Ergebnisse von Remigius Bäumer, Nachwirkungen
des konziliaren Gedankens in der Theologie und Kanoni-
stik des frühen 16. Jh., Münster 1971. Auch zu Johannes Paltz (1640
werden die verschiedenen neueren Forschungen nicht herangezogen,
die doch ein recht anderes Bild ergeben; s. zuletzt Berndt Hamm,
Frömmigkeitstheologie am Anfang des 16. Jahrhunderts. Studien zu
Johannes von Paltz und seinem Umkreis, Tübingen 1982. In ähnlicher
Weise vermißt man an nicht wenigen anderen Punkten die
Berücksichtigung von neueren Forschungen. Was Darstellungen zur
gesamten Reformationsgeschichte betrifft, so hätte unbedingt auch
das Buch von Bernd Moeller, Deutschland im Zeitalter der Reformation
, Göttingen l.Aufl. 1977, 2. Aufl. 1982, benutzt werden
sollen. Auch Martin Brecht, Martin-Luther. Sein Weg 1481-1521,
Stuttgart 1981, ist nicht herangezogen worden.

Im einzelnen finden sich manche Ungenauigkeiten und Fehler, von
denen hier einige genannt seien. 13 Z. 2 v. u. 380, nicht 381 wurde das
Christentum im römischen Reich Staatsreligion. - 17 Z. 11 v. u. I.
„Apocalypsim".-207 Z. 12 v. o. muß ein „nicht" ergänzt werden; 1.:
„Hat der Thesenanschlag nicht stattgefunden ...". - 247 letzte Z.: I.
statt „Hindernis" „Hinweis". - 289 Die Bannbulle gegen Luther
stammt vom 3. I. 1521, nicht 1522. - 298 Z. 13 v. o. Der kursächsische
Kanzler wird hier versehentlich als „Bayer" zitiert. - 301 Z. 9 v.
u. Die endgültige Fassung der katholischen Widerlegung des Augsburgischen
Bekenntnisses sollte mit dem offiziellen Titel „Confutatio
Confessionis Augustanae", nicht mit dem ungenauen Titel „Confutatio
catholica" genannt werden. - 320 Z. 6 v. o. 1. „De emendanda
ecclesia". - 350 Z. 20 v. u. 1. statt „Primitialgewalt" „Primatial-
gewalt". - Im Literaturverzeichnis finden sich manche Fehler. Mehrfach
ist nicht die neueste Auflage genannt. - Bei Heinrich Bornkamm
sollte auch, wie in anderen Fällen, das Todesjahr (1977) genannt
werden (377a).

Der ökumenische Geist, in dem die engagierte Darstellung Sonntags
geschrieben ist, verdient volle Anerkennung. In einer hoffentlich bald
notwendig werdenden neuen Auflage sollten die Ungenauigkeiten und
Fehler korrigiert werden.

Hamburg Bernhard Lohse

1 Sonntag, F. P., Das Kollcgiatstift St. Marien zu Erfurt von 1117-1400. in:
Erfurter Theologische Studien 13, Leipzig 1962; ders. (Hg.), Hieronymus
Savonarola. Leipzig 1964; ders. (Hg ). Katharina von Siena. Leipzig 1967; ders.
(Hg ). Die Briefe des Franciscode Xavier. Leipzig 1977.

Sonntag, F. P., Luther in katholischer Sicht, in: Kirchen im Gespräch.
Akzente2.1971, 114-139.

Hcnss, Walter: Der Heidelberger Katechismus im konfessionspolitischen
Kräftespiel seiner Frühzeit. Historisch-bibliographische Einführung
der ersten vollständigen deutschen Fassung der sog. 3. Aufl.
von 1563 und der dazugehörigen lateinischen Fassung. Zürich:
Theologischer Verlag 1983. 78 S. m. Abb. 8". Kart.sfr 12.-.

„Eine Art bibliographischer Historienmalerei", vergleichbar dem
Charakter von historischen Ausstellungen, nennt der Vf. das vorliegende
Büchlein in seinem Weihnachten 1979 datierten Vorwort. Insofern
verspricht der Obertitel des Büchleins mehr als er halten kann.
Denn es handelt sich bei ihm wirklich um eine vorwiegend bibliographisch
orientierte, kaum neue Forschungsgesichtspunkte erbringende
, aber sowohl in ihrer Anschaulichkeit - verwiesen sei auf die